266Kersti:

Sofort springt Jora auf, kommt herüber, schaut euch beide an und sagt lachend:
"Ihr seht euch ja ähnlich wie Zwillige. Seid ihr verwand?"
"Nein", antwortet der Fremde, "ich kannte euren Wächter bisher nicht einmal."

Der Leiter der Karawane, der inzwischen auch herübergekommen ist, läd den Fremden ans Feuer ein. Die anderen freuen sich über die Abwechslung. Da sie gerade in den Schlafsack kriechen wollten, wird eine neue Wache eingeteilt, so daß du mit am Feuer sitzen kannst. Nachdem ihr euch noch lange angeregt unterhalten habt, geht ihr spät schlafen. Am nächsten Morgen kommt der Fremde mit euch. Abwechselnd reitet er mit jedem auf dem Pferd mit. Abends hilft er bei der Arbeit. Am Lagerfeuer drängen die anderen ihn, zu erzählen, wo er herkommt und was er alleine in der Steppe macht.

"Ich heiße Turin, und habe dieses Land durch ein großes, rotes Tor betreten, dasin der Steppe steht. Der Torbogen aus rotem, verwitterten Naturstein ist nicht von Ruinen umgeben. Wenn man hindurchschaut sieht man auch dahinter nur die endlose, wellige Ebene der Steppe. Dennoch kommen manchmal Menschen heraus und erzählen von merkwürdigen Orten, an denen sie waren, bevor sie jenes Tor durchschritten. Auch ich lebte vermutlich in einer anderen Zeit, wahrscheinlich auf einer anderen Welt, vielleicht sogar in einer ganz anderen Wirklichkeit, als dieser. Ich war eine Frau und lernte von einer alten, weisen Heilerin. Es war eine anstrengende, interresannte und schwierige Zeit. Nach Jahren hartem Studiums war ich schließlich so weit, daß sie mich nicht wesentliches mehr lehren konnte. So schickte sie mich durch eine kleine, rote Tür, die an einem geheimen Ort mitten in den Berg zu führen schien. Dahinter fand ich Jumala, die Hexe, die das Zauberschloß zu dem Ort des Lernens gemacht hat, der es jetzt ist. Alle begegnen ihr, wenn sie das Zauberschloß durch eine rote Tür betreten. Sie gab mir den Zaubermantel und die anderen Dinge, die alle ihre Gäste erhalten und schickte mich auf meine Reise durch das Zauberschloß. Seither habe ich viele Male meine Gestalt, das Geschlecht und meinen Namen gewechselt und mancherlei Abenteuer erlebt. Ich sah Orte, die meiner Heimat sehr ähnelten, aber auch fremdartige Gegenden, die meine Fantasie nicht hätte erfinden können. Ich habe gelernt und viel erlebt. Oft überlebte ich nur, weil diemächtige Zauberin Bardalon dafür sorgt, daß niemand im Zauberschloß umkommt. Einst wird mich eine rote Tür des Schlosses wieder heimführen, so daß ich meinem Volk mit meinen Zauberkräften als Heilerin und weise Frau dienen kann. Ich weiß nicht, ob ich dann älter oder jünger sein werde als heute, ob ich früher oder später meine Heimat erreiche, als ich sie verlassen habe. Doch es heißt, wenn ein Mensch alles erlebt hat, was im Zauberschloß erfahrbar ist und jede Lehre erfaßt hat, die das Zauberschloß lehren kann, verläßt mensch es genau in dem Augenblick, in dem er oder sie es betreten hat, ist genauso alt, wie beim ersten Betreten und sieht auch fast genauso aus, nur das Haar ist schneeweiß durch die Weisheit, die auf der Reise erworben wurde." Als er fertig ist, beginnen die anderen wie üblich jedes Wort der Geschichte mit ihrer Kritik zu zerpflücken, so lange, bis Turin schließlich ganz verwirrt fragt, warum sie seine Geschichte eigentlich so schlecht machen würden. Da lacht Torajin der Sänger. Er erklärt:
"In Wahrheit ist deine Geschichte nicht unbedingt schlecht erzählt. Ganz egal, wie gut du sie erzählt hättest, es wäre immer möglich gewesen, sie noch besser zu erzählen. Wir kritisieren uns, wenn wir mit einer Karawane unterwegs sind, immer gegenseitig, weil wir fast alle gelegentlich durch Erzählen Geld verdienen und deshalb auf erzählerisches Können angewiesen sind."
Danach hört Turin der weiteren Kritik ernsthaft zu.

Was machst du, nach der nächsten Tagesreise abends am Feuer?
 
Kersti / 419: Du erzählst eine Geschichte.
Kersti / 425: Du hältst dich ein wenig im Hintergrund.


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