vor 26.2.01
Der Arzt öffnete die Tür des Operationssaales und ließ mich eintreten. Auf den Operationstisch gefesselt, mit schmerzverzerrtem Gesicht und vor Entsetzen aufgerissenen Augen lag eine hübsche, junge Frau. Sie konnte nicht einmal mehr schreien. Die Ärzte hatte die entsprechenden Nerven durchtrennt. Manche Götter sagen, daß diese Schreie zu unästhetisch seien. Sie hätten ja Mitleid, aber es sei nötig - we- gen der Wissenschaft und für den Fortschritt der Medizin. Welch eine Menschenverachtung!
Ich hob den Kopf und sah die Götter - einen Arzt
und mehrere Stundenten - an, die das verbrochen hatten.
*Macht das ihr rauskommt!* dachte ich und legte meinen ganzen Zorn in die
machtvoll ausgestrahlten Gedanken.
Die Götter fuhren erschrocken und erstaunt zurück. Ich ließ
mich sonst nie genug gehen, um anderen meine Wut an den Kopf zu werfen. Bei
einigen spürte ich Mitleid. Seltsamerweise verließen sie alle
gehorsam den Raum und schlossen die Tür hinter sich ab. Ich hatte fest
damit gerechnet, daß irgendjemand mich mit dem Strafer quälen
würde. Normalerweise fand sich immer jemand, der sich dazu nicht zu
schade war. Zumal ich diesmal wirklich unverschämt war.
Ich atmete tief durch, entspannte mich und öffnete meinen Geist weit.
Dann entfernte ich das Gerät von der Stirn der Frau, das ihre
Ausstrahlung abschirmte. Eine Welle ihrer Panik und Schmerzen schlug
über mir zusammen. Eisern zwang ich mich zur Ruhe, ließ
Schmerzen, Panik und Zorn ohne Gegenwehr in mich hinein. Ich umhüllte
ihren Geist mit meiner Ruhe, fühlte, wie sie sich zitternd entspannte
und an meiner inneren Stärke anlehnte. Ihr Energiefeld war jetzt so eng
mit meinem verschmolzen, daß selbst ein Mensch meine Gedanken
würde hören können. Sanft löste ich ihre Fesseln
und fragte in ihre Gedanken hinein:
*Kannst du es ertragen?*
Mein Mitgefühl konnte sie spüren. Sie sah mich mit großen
Augen an und dachte:
*Es tut so weh.*
*Ich weiß.* dachte ich und zeigte ihr daß ich ebenfalls ein
solches Fenster in der Brust hatte.
Tatsächlich spürte ich auch ihre Schmerzen in vollem Ausmaß.
Aber das konnte sie sich bestimmt nicht vorstellen. Von meinen Schmerzen
schirmte ich sie dagegen ab. Sie hatten, seit ich vor einem halben Jahr aus
der Narkose nach der Operation erwacht war, kaum nachgelassen.
*Ich dachte, du bist ein Gott* wunderte sie sich.
*Mein Vater hätte mich nur anzuerkennen brauchen. Er steht hoch genug.*
antwortete ich sachlich.
Ich hatte als Kind nicht einmal gewußt, daß mein Herr mein Vater
war. Vermutlich hätte ich mir als Gott ebensoviele Probleme
eingehandelt wie als Mensch. Die junge Frau lehnte sich an mich. Tränen
flossen ihre Wangen herunter. Sie weinte, doch kein Ton war zu
hören.
*Aber du bleibst doch bei mir?* fragte sie flehend.
*Nein.* antwortete ich voller Mitleid.
Bei dem Gedanken an meine Zukunft kam mir das Grauen. Ich verdrängte es
so gut wie möglich, um sie nicht auch noch damit zu belasten. Ihre
eigenen Probleme waren beinahe mehr, als sie ertragen konnte.
Ich fragte ernst:
*Willst du wissen, was auf dich zukommt?*
Sie spürte, daß ich ihr die volle, grauenhafte Wahrheit sagen
würde und überlegte, schließlich antwortete sie:
*Ja.*
Ich begann zu erklären:
*Die Sichtscheibe dient dazu, daß Studenten dein Herz bei der Arbeit
beobachten können. Ein Film würde denselben Zweck genausogut
erfüllen. So eine Scheibe wird innerhalb weniger Wochen
undurchsichtig. Danach wirst du durch einen anderen ersetzt und in die
Versuchslabore geschickt, wo Menschen durch unsinnige Versuche langsam
zu Tode gequält werden. Zumindest wären alle Versuche, deren
Berichte ich gelesen hatte, durch eine einfache Frage genauso
geklärt gewesen. Es wird für dich schlimmer werden, nicht
besser und die Schmerzen lassen nicht wesentlich nach.*
*Bist du dir sicher, daß die Versuche wirklich unsinnig sind?* fragte
die junge Frau ungläubig.
*Ja und ich habe mehr Ahnung vom Fach, als die meisten Professoren, die ich
kenne.* antwortete ich ernst.
Die junge Frau wunderte sich. Wie die meisten Menschen, hätte sie es
nie gewagt, die Überlegenheit der Götter in Frage zu stellen. Ich
weiß nicht, warum ich anders war. Ich hatte eine so tief verwurzelte
Selbstachtung, daß auch ein ganzes Leben voll Erniedrigung sie nicht
hatte ankratzen können. Ich hatte immer das Gefühl gehabt
irgendwie stärker oder älter als die meisten Götter und
Menschen zu sein.
Und ich hatte mir dieses Gefühl nie erklären können. Sanft
hielt ich die junge Frau in den Armen, die sich immer noch an meiner
Schulter ausheulte.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
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