"Deine Männer kämpfen besser als die meisten
ausgebildeten Krieger, mit denen ich mich bisher gemessen habe. Aber
niemand bildet einen Mann so aus, wie wir Amazonen. Und sie haben auf
Befehl gekämpft, ich aber kämpfte um mein Leben."
Das war eine sachliche Erklärung, denn der Vorwurf war
lächerlich. Um einen Menschen lebend zu fangen, der bereit ist,
bis zum Tod zu kämpfen, braucht es wirklich eine große
Übermacht. Ich fand nicht, daß die Männer diese Art von
Vorwürfen verdient hatten. Der Offizier warf mir einen
überraschten Blick zu. Er hatte ganz offensichtlich nicht erwartet,
daß ich seine Partei ergreifen würde. Langsam begann ich vor
Erschöpfung, Schmerz und Anspannung zu zittern.
"Hast du Angst, Mädel?" fragte der Fürst hämisch.
"Nein. Ich bin nur verletzt." antwortete ich kalt, obwohl mir
langsam danach zumute war, mich in die Ecke zu legen und zu heulen.
Konnte er nicht zur Sache kommen, damit ich schlafen konnte?
"Du wirst meine Tochter im Schwertkampf unterrichten. Wenn du deine
Sache gut machst, lasse ich dich dann nachher vielleicht wieder
frei." sagte er in einem gönnerhaften Ton.
"Warum sollte ich? Vielleicht habe ich ja in deine Versprechungen
nicht das geringste Vertrauen." antwortete ich abfällig.
Doch mein Interesse war geweckt. Warum sollte sie ausgerechnet von
einer Amazone ausgebildet werden? Das war nun wirklich kein Gedanke,
auf den ein Fürst von sich aus kam!
"Sie wollte zu den Amazonen. Wir haben drei Tage gebraucht, um sie
wieder einzufangen." erklärte der Offizier, was der Fürst
nicht gesagt hatte.
Mir flößte diese Entscheidung Achtung ein: wer so etwas wagt, hat bewiesen, daß er im Geiste eine Amazone ist. Wenn ihr diese Flucht gelungen wäre, hatten wir allerdings ein Problem. Unsere Gesetze schreiben vor, daß wir jede Frau für ein Probejahr aufnehmen, die es aus eigener Kraft zu unserer Burg schafft. Doch wenn wir eine Fürstentochter gegen den Willen der Eltern aufgenommen hätten, hätte das einen Krieg gegeben. Außerdem würde es uns eine große diplomatische Chance bieten, wenn eine spätere Fürstin Freundinnen unter uns Amazonen hatte, da sie mit Erlaubnis der Eltern von mir ausgebildet worden war.
"Bringt das Mädel her. Ich will mit ihr sprechen."
beschloss ich.
Das Mädchen mochte etwa zehn Jahre alt sein, starrte, als es das
Zimmer betrat, entsetzt mein verbundenes Auge an und fragte:
"Was ist denn mit deinem Auge passiert?"
Ruhig erzählte ich von dem Kampf, bei dem ich verletzt wurde und
wie ich dann hierhergeschleppt wurde. Wobei ich es allerdings
tunlichst vermied, ihrem Vater den Namen zu geben, den er verdient
hatte. Er hörte schließlich zu. Sie begann zu weinen.
"Aber ich wollte doch nicht, daß das passiert! Und alles nur
wegen mir..."
Ich hätte sie gerne umarmt.
"Hast du den Männern befohlen, eine Amazone hierherzubringen?" fragte ich.
"Nein."
"Hast du mich selber gefangengenommen?" fragte ich.
"Nein."
"Wofür machst du dir dann Vorwürfe? Du hast doch nichts Böses getan." fragte ich.
"Warum wolltest du zu uns kommen?" fragte ich nach einer Pause.
Sie warf einen ängstlichen Blick zu ihrem Vater und sagte:
"Ach nur so..."
Ich nickte um zu zeigen, daß ich verstanden hatte, daß sie
nicht vor ihm offen reden konnte und sagte:
"Wir werden uns noch einmal in Ruhe darüber unterhalten."
Für mich jedoch waren ihre Reaktionen auf bestimmte
Gesprächsthemen schon eindeutig. Sie hatte das an sich, was die
Mädchen, die von zu Hause geflohen waren, von den Töchtern
der Amazonen und den Mädchen, die mit Erlaubnis und auf Wunsch
ihrer Eltern bei uns ein paar Jahre Ausbildung erhielten, unterschied.
Eine gewisse Ängstlichkeit, Verzweiflung die oft dazu führte,
daß sie gegen alles und jeden ankämpften.
Als der Offizier mich wegführte, fragte er mich flüsternd:
"Hättest du nicht ein bißchen weniger unverschämt
zum Fürsten sein können? Er hätte dich umbringen können."
"Nein. Von einer Amazone erwartete er Arroganz und wenn ich die
nicht gezeigt hätte, hätte er mich umbringen lassen und als
Abfall weggeworfen, weil ich für ihn keine richtige Amazone
gewesen wäre." antwortete ich.
Er sah mich überrascht an. Offensichtlich hatte er nicht damit
gerechnet, daß ich mir dabei etwas gedacht hatte.
"Abgesehen davon war ich sehr höflich zu ihm. Ich habe ihm
nicht gesagt, daß er ein absolut feiger, nichtsnutziger,
schwachköpfiger Kinderschänder ist." fuhr ich leise fort.
"Kinderschänder?" fragte der Mann schockiert.
"Ja. Was glaubst du denn, weshalb sie vor ihrem eigenen Vater
davonrennen wollte? Hast du nicht gesehen, welche Angst sie vor ihm hat?" fragte ich.
"Das glaube ich nicht. Das glaube ich einfach nicht..." sagte er.
"Ja. Anständige Männer können sich das nie
vorstellen. Die ganz jungen Mädchen in ihrem Alter, die zu uns
kommen wurden praktisch alle wiederholt von Erwachsenen vergewaltigt.
Manche vom Vater, manche von einem Lehnsherrn. Du kannst dir nicht
vorstellen, was für Verletzungen an der Vagina ich schon gesehen
habe. Und wieviele kleine Kinder bei uns bei der Geburt von ihrer
Babys sterben, die durch solche Vergewaltigungen gezeugt wurden."
antwortete ich.
Ich wurde mit einer langen Kette an einem Ring angeschmiedet, der in den Boden der Kampfübungshalle eingelassen war, bekam meine Waffe zurück und durfte mich dann in einer an die Halle angrenzenden kleinen Kammer ins Bett legen.
Quelle: Erinnerungen an eigene frühere Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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