F29.

Die Amazonenprinzessin

Zeitdruck

In den nächsten Tagen fiel mir auf, daß die Fürstentochter viel zu viel bei mir herumhing. So interessant, daß sie stundenlang neben mir hocken und mich anbetteln müßte, daß ich sie nicht wegschicke, war weder ich noch diese kleine Kammer. Ganz offensichtlich hatte sie Todesangst, das Zimmer zu verlassen.

Drei Tage hielt ich die verordnete Bettruhe durch, dann stand ich auf, zog mich an - vorsichtig, immer bemüht eine Körperhaltung zu finden, bei der mein verletztes Bein nicht belastet wurde und ging zusammen mit ihr raus in die Kampfübungshalle. Das waren nur drei Schritte, doch war mein gesamter Körper von einer dünnen Schweißschicht bedeckt. Der Arzt hatte vollkommen recht gehabt: es war noch zu früh um aufzustehen. Ich sah mich um, entdeckte einen Jungen in der Kleidung der Garde am anderen Ende der Halle und fragte das Mädchen, wie er hieß.
"Claudio." antwortete sie mir.
"Claudio, komm her!" befahl ich ihm.
Er kam her und fragte mich, was ich wolle.
"Du gehst in die Waffenkammer und holst zwei Holzschwerter. Eines für dich und eines für die Prinzessin." sagte ich.
"Aber der Arzt hat doch gesagt, daß du im Bett bleiben mußt." widersprach der Junge.
"Ich weiß, was der Arzt gesagt hat. Du holst jetzt die Schwerter und ich setze mich auf die Bank." wiederholte ich meinen Befehl.

Er holte die Schwerter und den Offizier.

"Kalischdra, geh sofort wieder ins Bett. Der Arzt meinte, wenn du dich noch einmal so überforderst, wie auf dem Ritt hierher, holst du dir den Tod." befahl der Offizier mir streng.
"Damit hat er recht." stimmte ich ruhig zu und fuhr unbeirrt fort "Gib der Prinzessin das Schwert, Claudio. Wir fangen an."
"Du gehst sofort ins Bett du närrisches..." fing er an und trat auf mich zu.
Ihm war anzusehen, daß er mich am liebsten verprügelt hätte, damit ich vernünftig werde.
"Faß mich nicht an." sagte ich ganz leise.
Der ruhige Ernst in meiner Stimme hielt ihn sofort auf.
"Salia hat eine Todesangst. Sie muß so schnell wie möglich lernen, sich gegen ihren Vater zu verteidigen." erklärte ich.
"Dann kann ich sie ausbilden..." bot er an.
"Ach ja? Das ist auch eine Methode, dir den Tod zu holen. Ich habe den ausdrücklichen Befehl, sie in der Kampfkunst auszubilden. Du nicht. Was meinst du, macht der Fürst, wenn du sie ausgebildet hast und dann bedroht sie ihn?" fragte ich.
Er wurde blaß.
"Außerdem hast du deine Familie hier - ich habe sie weit weg in der Amazonenburg." fuhr ich fort.
Er biß sich auf die Lippen.
"Also übernehme ich die Ausbildung, auch wenn ich kaum mehr tun kann, als hier rumsitzen und Befehle erteilen." beendete ich meine Argumentation.
Er sah mich auf eine Weise an, daß ich ihn am liebsten getröstet hätte. Ganz offensichtlich bedeutete ich ihm wesentlich mehr, als er je zugegeben hatte.
"Geh jetzt. Und glaub mir: ich mache keine einzige unnötige Bewegung. Das tut viel zu weh." sagte ich sanft.
Er verließ mit hängendem Kopf den Raum.

Das Training verlief wie immer, wenn wir einem neu zu uns gekommenen Mädchen das erste mal ein Schwert in die Hand gaben. Sie war recht begabt, aber viel zu zaghaft, so als hätte sie Angst, der Luft wehzutun, wo sie hinschlug. Ich ließ die beiden zwei Stunden lang gemeinsam üben, und korrigierte jede Kleinigkeit, dann kamen die anderen Jungen für ihre Übungsstunde in die Halle. Claudio mußte zu seinem Ärger dort gleich noch einmal mitmachen. Bei uns Amazonen wäre es ihm genauso ergangen, denn von Zeit zu Zeit ist es gut, wenn man seine Willenskraft üben muß, um solche Dinge durchzuhalten.

Mich aber brachte der Offizier ins Bett und befahl mir streng, dort auch zu bleiben. Von ihm ließ ich es mir gefallen, mit dem Arzt und seinem Gesundheitsvortrag hatte ich danach leider viel weniger Geduld.

Kersti

Quelle: Erinnerungen an eigene frühere Leben


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