10/06
Drei Tage lang ging das mit meinen Gesprächen im Zuschauerraum gut, dann kam die Polizei. In der Firma hatte man uns erzählt, wenn wir der Polizei etwas erzählen, sperren sie uns ganz allein in einen dunklen Raum. Ich traute der Geschichte nicht so ganz, weil die Firma uns ja immer belog. Trotzdem bekam ich einen Schreck, als ich die Uniform sah und machte mich ganz klein, damit sie mich nicht sahen.
Aber sie kamen genau zu mir und sagten:
"Würden sie bitte ihren Paß vorzeigen?"
Ich wußte natürlich, daß mein Herr den Paß hatte. Trotzdem war ich mir gar nicht sicher,
ob es klug war, das zu sagen. Also sah ich die Polizisten nur erschrocken an und sagte erst
mal gar nichts.
"Meine Herren, der Kleine ist Mitglied meiner Truppe und schon volljährig. Wenn sie mit in mein Büro kommen, läßt sich das Problem sicher schnell klären."
"Wo sind seine Papiere?"
Der Herr händigte sie den Polizisten aus, die kurz einen Scanner an den Code hielten, mein
Gesicht mit dem Bild verglichen, was auf dem Display erschien und ärgerlich meinten:
"Das scheint in Ordnung zu sein. Dennoch würden wir gerne unter vier Augen mit dem Kleinen reden."
"Selbstverständlich." antwortete der Herr, dann wandte er sich mir zu: "Du kannst ihnen alles erzählen, was du weißt. Die Polizisten wollen dir nichts Böses. Aber nicht herumalbern, hörst du?"
Ich nickte und entspannte mich etwas, da der Herr sich offensichtlich gar keine Sorgen wegen der Polizisten machte.
Er ließ mich mit dem einen Polizisten im Büro und nahm den anderen mit in die Küche. Ich setzte mich auf meinen kleinen Stuhl, der immer noch da stand und sah den Polizisten erwartungsvoll an.
"Was weißt du über das Kinderschutzgesetz?"
"Bei Firma Festrana haben sie gesagt, daß es nicht für mich gilt, weil ich schon zu alt bin." antwortete ich.
"Leider!" antwortete der Polizist und er klang wieder verärgert.
Ich sah ihn nachdenklich an und kam zu dem Schluß, daß eine direkte Frage, wohl am ehesten etwas bringen würde.
"Warum ärgert dich das?"
"Weil es verdammt noch mal für Dich gelten MÜSSTE!"
Ich sah ihn verwirrt an.
"Was weißt Du über die Rechte und Pflichten von Sklaven?"
"Bei Festrana sagen sie Sklaven hätten keine Rechte." antwortete ich.
"Da haben sie euch belogen. Kannst du lesen?"
Ich lächelte, weil mir bewußt wurde, daß die von der Firma bestimmt gar nicht darüber
glücklich waren, daß es einen Grund gegeben hatte, uns das beizubringen und antwortete:
"Ja - ich muß doch die Bücher mit den Schauspielen lesen können."
"Hier ist ein Buch, in dem kurz erklärt ist, welche Rechte Sklaven haben. Und hier ist
ein Buch mit dem Kinderschutzgesetz. Wenn dein Herr etwas Böses mit dir tut, dann rufst
du uns an und wir bestrafen ihn." erklärte er.
"Mein Herr tut mir nichts böses." sagte ich.
Ich sah den Mann kurz nachdenklich an und kam dann zu dem Schluß, daß er eigentlich
ganz umgänglich war, und daß es deshalb vielleicht klug war, ihm noch ein paar Fragen zu
stellen.
"Stimmt es, daß ihr mich einsperrt?"
"Nein. Außer du hast jemanden umgebracht oder verletzt oder so."
"Und wenn ich euch erzähle, daß die von der Firma Festrana was böses getan haben, geht
ihr dann auch dahin und sperrt sie ein?"
"Das dürfen wir leider nicht."
Er schien ärgerlich darüber zu sein.
"Warum nicht?"
"Sie leben in einem anderen Land und dort dürfen wir niemanden gefangennehmen."
"Schade." sagte ich.
Er lachte.
"Du magst die gar nicht, wie?"
"Ich bin froh, daß ich da weg bin. Hier ist es viel besser." antwortete ich.
Mein Gespräch mit den Polizisten führte dazu daß ich mir die Bücher durchlas - und da ich nicht alle Worte verstand vom Herrn ein Lexikon in die Hand gedrückt bekam. Außerdem gaben die anderen von der Truppe mir Unterricht, damit ich eine richtige Bildung bekam.
Als ich begriff, wie vieles von dem, was sie uns angetan hatten, als wir noch klein waren, hier verboten war, fand ich es sehr schade, daß ich damit nicht zur Polizei gehen konnte, weil es in einem anderen Land war und sie die Leute von der Firma Festrana deshalb nicht gefangennehmen durften. Außerdem gibt es ja die Mörder.
Als ich begann meine Herrn Fragen über draußen zu stellen nahm er mich öfter mit raus und zeigte mir alles. Mir wurde dabei klar, warum mein Herr sich keine Mühe gab, uns hier einzusperren. Niemand wollte davonlaufen, weil es schön war, bei ihm zu leben.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
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