5/09

Das Drachenreich: Der erste Drache

F73.

Wissensdurst

Wieder ein, zwei Wochen später änderte es sich erneut: Mein Drache gab sich nicht mehr zufrieden, wenn ich etwas nicht wußte. Als ich mich an etwas erinnert hatte, das ich in der Schule nicht verstanden hatte, forderte der Drache, ich solle zu dem Lehrer hingehen und ihn fragen, wie er es eigentlich gemeint hätte. Das ging nicht, denn ich durfte nicht mit Leuten außerhalb der militärischen Versuchsanstalt Kontakt aufnehmen.

Also fragte ich den Wissenschaftler, der die Drachen entwickelt hatte, ob es irgendwo ein Lexikon gäbe, in dem ich das nachschauen könnte. Der Wissenschaftler schaltete es umgehend frei. Das Lexikon war wesentlich umfangreicher, als es die Wikipedia heute ist - doch es war eine Übung in Frustration, da nach Informationen zu suchen - die Drachen stellten ständig Fragen, die dort nicht beantwortet waren. Wir gewöhnten uns an, unsere Drachen wann immer möglich zu anderen Menschen zu schicken, damit sie die ausfragen und wir mal eine kurze Pause von den Fragen haben. Der Wissenschaftler, der die Drachen entwickelt hatte, klagte immer öfter über Kopfschmerzen.

Zu der Zeit sollten die Drachen von Wissenschaftlern untersucht werden. Es war eigentlich geplant, daß die Untersuchungen sich über zwei Wochen hinziehen sollten. Und da ich den ältesten Drachen hatte, war ich zuerst damit dran, meinen inzwischen grün gewordenen Drachen dem ersten Spezialisten vorzuführen.

Ich klopfte also mit meinem kleinen Drachen an die Labortür und es wurde geöffnet. Mein Drache warf einen kurzen Blick hinein und überhäufte mich augenblicklich mit unendlich vielen Fragen zur Laborausrüstung. Ich sagte ihm, daß der Wissenschaftler, dessen Labor es war, wüßte, wozu das alles gut ist. Der Drache fragte also den Wissenschaftler aus. Und der Wissenschaftler wirkte bald ziemlich konfus und abgelenkt, während er geistesabwesend die geplanten Untersuchungen durchführte.

Als sie das mitbekamen, wurden die anderen Drachen unruhig und quengelten bei ihren Reitern, daß sie sofort auch so eine Untersuchung haben wollten. Offensichtlich gefiel ihnen die Art, wie der Wissenschaftler die Fragen meines Drachen beantwortet hatte. Sie bekamen ihren Willen - und sämtliche geplanten Untersuchungen wurden innerhalb eines Tages durchgeführt, während die Drachen drängelten und noch schneller drankommen wollten.

"Sag mal weißt du, warum alle Wissenschaftler, die gestern Drachen untersucht haben, sich heute wegen starker Kopfschmerzen krank gemeldet haben?" fragte der Wissenschaftler, der die Drachen entwickelt hatte.

"Ja. Die Drachen haben sie ausgefragt und es dabei wohl etwas übertrieben." antwortete ich.
"Sie haben mir nichts von Fragen erzählt."
"Das durchschauen die meisten Menschen auch nicht. Es dauert etwas, bis man eigene und fremde Gedanken voneinander unterscheiden gelernt hat. Vorher denkt man immer, man selber wäre so zerstreut, daß man über lauter seltsame Dinge nachdenkt." sagte ich.
"Ach. Dann machen sie das mit mir auch." meinte der Wissenschaftler.
"Ja natürlich. Sie fragen jeden aus, den sie in die Finger bekommen. Und wir sind jedesmal froh, wenn sie jemanden finden, der von irgendetwas Ahnung hat, was die Drachen noch nicht kennen. Dann sind sie für ein paar Stunden etwas besser gelaunt. Sie brauchen einfach viel mehr Informationen, als wir liefern können, um geistig ausgelastet zu sein." erläuterte ich.
"Was machen sie, wenn sie nicht genug Informationen bekommen?"
"Sie werden traurig und reizbar und quengeln ... wir sind froh wenn wir irgendjemanden finden, den sie ausfragen können."
"Es geht aber nicht, wenn jeder, den die Drachen ausfragen, dann drei Tagen zu nichts zu gebrauchen ist."
"Die Wissenschaftler wurden doch stundenlang ausgefragt. Da muß ihnen beinahe das Gehirn durchgebrannt sein. Wenn man den Drachen nur eine Stunde erlaubt, müßte es gehen, ohne gleich in Folter auszuarten."
"Warum geht es denn mir nicht so schlecht?" erkundigte der Wissenschaftler sich.
"Am Anfang waren die Drachen noch zu klein, um so viele Fragen zu haben und jetzt wissen sie schon fast alles, was Du weißt." erklärte ich.
"Sagt mir, zu welchen Themen eure Drachen gerne Antworten haben würden, und ich werde dafür sorgen, daß ihr die entsprechenden Fachleute für eine Stunde zur Verfügung habt. Und sorgt dafür, daß sie es melden, wenn irgendwelche gesundheitlichen Probleme auftauchen."

Vorübergehend entlastete uns diese neue Regelung, aber mit der zunehmenden Intelligenz der Drachen, war einfach nicht Schritt zu halten. Nach und nach kam ich zu dem Schluß, daß man erwachsene Drachen bräuchte, um die Neugier eines jungen Drachens auch nur annähernd befriedigen zu können.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


F74. Kersti: Fortsetzung: Die friedlichen Drachen
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FI7. Kersti: Inhalt: Der erste Drache
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Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de
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