erste Version: 10/2018
letzte Bearbeitung: 10/2018

Chronik des Aufstiegs: Weimarer Republik und Drittes Reich - Die Pforten der Hölle - Aufstieg aus der Hölle

F1154.

"Keks Zwergenbrot." sagte er und lächelte

Vorgeschichte: F1153. Karon: Man fragt sich, warum Menschen regelmäßig die Nachhilfe einen Fachmanns für Besessenheit brauchen, um zu erkennen, daß ein Mensch einfach körperlich krank ist

Der Schwarze Ritter Karon erzählt:
Als wir wegen einer Besessenheit zu einer Irrenanstalt für Kinder gerufen wurden, waren wir überrascht, denn überlicherweise sind die Mitarbeiter solcher Anstalten zu abgebrüht, um sich durch Dämoneninkarnationen in irgendeiner Weise beeindrucken zu lassen.

Aus der Geschichte, die uns per Brief übermittelt worden war, wurden wir auch nicht wirklich schlau, denn danach sollte ein fünfjähriger Junge sich in einen Wolf verwandelt und zwei zehnjährige Kinder tot gebissen und aufgefressen haben. Außerdem sollte er ein Rudel Geisterwölfe gerufen haben. Während die Geisterwölfe noch denkbar waren, erschien mir der Rest unglaubwürdig.

Wir fuhren also hin und sahen uns die Angelegenheit an. Es handelte sich um ein abgelegenes von einer hohen Mauer umgebenes Gehöft. Schon von außen sah ich, daß die Mauer nicht gut gepflegt war. Auf unser Klingeln wurde uns geöffnet und als wir im Schritt reinfuhren schlug mir der Anblick auf den Magen. Ich hatte damit gerechnet, daß viele der Kinder in irgendeiner Form behindert waren, aber nicht damit, daß sie halb verhungert aussahen. Ich hatte damit gerechnet, daß die Kleidung alt und geflickt wäre, aber nicht damit, daß viele der Kinder nackt herumliefen - oder krochen. Ein ärmliches Aussehen hätte mich nicht gewundert - aber daß sie aussahen als würden sie nie gewaschen und ihre Haare nie gekämmt oder geschnitten, fand ich erschreckend.

Als wir vom Kutschbock stiegen, wechselten wir einen Blick.
"Kein Hafer." sagte ich.
Mein Partner nickte.
Wir gaben den Pferden also nur Heu, nicht das was sie normalerweise nach einer Kutschfahrt bekamen, aber ernsthaft schaden würde es ihnen nicht. Wir brachten es nicht über uns, vor den Augen von halb verhungerten Kindern etwas an Pferde zu verfüttern, was die Kinder auch hätten essen können. Wie hatten auch nicht genug zu Essen dabei, um allen eine kleine Malzeit zu geben.

Dann wurden wir von der Heimleitung zum Abendessen eingeladen, das tatsächlich reichlich war. Wir hatten beide keinen Appetit, aßen nur das Minimum, was die Höflichkeit gebot und behaupeten dann in dem Wissen, daß die Kinder wahrscheinlich noch weniger bekamen, satt zu sein. Während des Essens fragten wir, wie sie denn auf den Gedanken gekommen waren, der Junge hätte zwei ältere Kinder totgebissen. Dabei stellte sich heraus, daß er öfter biß, einige Male mit dem Ergebnis, daß eine von den nur drei Betreuerinnen danach zum Arzt mußte. Aller Logik nach, hätten dann natürlich auch Kinder so gebissen worden sein müssen, denn daß ein Kind nur Betreuer beißt ist unwahrscheinlich. Sie erwähnten aber keinen solchen Fall und behaupteten, die Kinder wären doch alle gierige Monster. Das sahen sie dann als Beweis, daß er ältere und stärkere Kinder totgebissen hätte. Beobachtet hatten sie aber nur, daß er das Fleisch der toten Kinder gegessen hatte. Nachdem ich gesehen hatte, wie die Kinder aussahen, ging ich davon aus, daß die älteren Kinder schlicht verhungert waren und daß das jüngere unterernährte Kind auf den Gedanken gekommen war, die Toten zu essen. Unappetitlich, ja. Aber mehr letztlich auch nicht. Woher bei einem Kind, das laut Aussage der Betreuerinnen nicht sprechen konnte, da das Unrechtsbewußtsein kommen sollte, war mir schleierhaft.

Am nächsten Morgen gingen wir in den Keller, wo sie das arme Kind eingesperrt hatten. Da ich nur in den Raum sehen mußte, um zu merken, daß das Kind Angst vor mir hatte, gab ich meinem Kollegen einen Wink, draußen zu bleiben und ging in die Knie, um nicht so groß zu erscheinen. Der Junge verkroch sich in die hinterste Kellerecke. Der Kleine sah nicht aus, als wäre er fünf. Er war so klein wie ein Zweijähriger und wirkte so mager, daß man sich fragte, warum er überhaupt noch lebte.

Ich sah sofort, daß er tatsächlich eine Dämoneninkarnation war und es waren auch wirklich Geister anwesend, die jemand, der nicht genau hinschaut, möglicherweise für Wölfe hätte halten können, auch wenn sie in Wirklichkeit eher wie fellbedeckte Zwerge wirkten. Ich lud die Wesen feinstofflich ein, mitzukommen und hatte das Gefühl, daß sie in meine Hosentasche gingen. Damit hatte ich eine Hälfte meine Auftrags bereits erfüllt.

Mit dem Jungen mußte ich etwas länger reden, bis er schließlich zu mir kam und sich von mir an die Hand nehmen ließ. Außerdem hat er mich tatsächlich gebissen, als ich ihn zuerst anfaßte. Als ich ihm sagte, daß er das bleiben lassen sollte, hörte er aber auf. Er setzte sich auch zufrieden in das vergitterte Wagenabteil, was mich sehr erleichterte, denn ruhig und freundlich bleiben ist wesentlich einfacher, wenn man nicht ständig aufpassen muß, daß einen ein Kind nicht beißt.

Nachdem wir abgefahren waren, gab ich ihm einen Keks. Nicht, weil wir nicht mehr gehabt hätten, aber wenn man einem halb verhungerten Menschen plötzlich zu viel gibt, kann er daran sterben.
"Zwerg Keks." sagte er.
Ich horchte auf. Er konnte also doch sprechen.
"Magst du Kekse?" fragte ich.
"Keks Zwergenbrot." sagte er und lächelte.
"Ja das hat genau die richtige Größe, nicht wahr."
Er nickte betont.

"Wer hat dich denn Zwerg genannt?" fragte ich.
"Schneewittchen."
"Du kennst das Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen?" fragte ich.
"Jaa. Mama sagt."
Die Mutter hatte ihm also Märchen erzählt? Dann hatte es also wenigstens einen Menschen gegeben, der dieses Kind geliebt hatte, trotz seiner zwergenhaften Gestalt und was immer ihn sonst noch in dieses furchtbare Heim gebracht hatte.

Ich gab ihm nach einer Weile noch einen Keks und aß selber auch einen. Wegen dem furchtbaren Kinderheim mußte man etwas unternehmen. Das ging so nicht. So weit sie erzählten, reichte as Geld, was sie bekamen, nicht einmal, um genug zu essen zu kaufen für alle Kinder. Es gab zusätzliche Spenden aber nicht genug, daß auch nur das Lebensnotwendigste zusammenkam. Ausreichend Betreuer, um die Kinder auch nur zum regelmäßigen Waschen anzuhalten, gab es auch nicht.

Kersti

Fortsetzung:
F1155. Karon: Da er nicht begriffen hatte, daß das beißen ein zentrales Problem war, das andere mit ihm hatten, entschieden wir daß jeder der gebissen wurde, sofort rausgehen und bis zehn zählen würde