erste Version: 2/2019
letzte Bearbeitung: 2/2019

Chronik des Aufstiegs: Die Pforten der Hölle - Die Beschützer der Menschheit vor den Geistern der Verzweiflung

F1215.

Der Japaner bemerkte meinen Blick und auch das telepathische Gespräch zwischen mir und dem Pferd und sah mich wissend an

Vorgeschichte: F1234. Khar: Was ich bei Astor lernte, kann man als eine spirituelle Weltgeschichte bezeichnen

Khar erzählt:
Es war das erste mal seit langen, daß ich mir einen ganzen Tag frei nehmen konnte. Ich entschied, daß ich diesen Tag einfach nur allein in der Natur sein wollte, sattelte die Stute und ritt hinaus in den Wald. Mittags machte ich auf einer kleinen Lichtung am Wegesrand Pause. Wie ich das auch immer mit dem Hengst gemacht hatte, sattelte ich sie ab, legte den Sattel über einen Ast und ließ sie laufen. Die Stute blieb in der Nähe und graste, während ich mich auf einen Baumstumpf setze und aß.

Ich genoß es endlich mal wieder richtig alleine zu sein und blieb daher länger sitzen als ich eigentlich zum essen brauchte. Irgendwann hörte ich sich nähernde Schritte und blickte auf. Ein kleiner fremdartig aussehender Mann sah zu mir herüber und ich spürte daß er Hunger hatte. Er sah auch sehr mager aus. Ich fragte ihn, ob er etwas von dem Brot abhaben wollte. Eigentlich war das, was ich noch übrig hatte, für das Abendessen vorgesehen, weil ich sehr spät hatte nach Hause kommen wollen. Aber ich konnte ja einfach etwas später essen.
"Ich suche Arbeit." meinte der Mann.
Ich fragte ihn, was er denn so können würde.
"Ich mache alles." sagte er.
Das bedeutete normalerweise, daß der Betreffende keinen Beruf gelernt hatte.
"Für die Malzeit reicht es mir, wenn sie mir aus ihrem Leben erzählen. Woher kommen sie denn?" antwortete ich.
Er sagte, daß er aus Japan kam. Er konnte sich in der Landessprache verständigen, sprach sie aber nur gebrochen und mit starkem Akzent. Er erzählte daß seine Eltern ihn als Kind zu einem Ort gebracht hatten, für den er nicht das richtige Wort wußte, aber er beschrieb, daß sie dort täglich viele Stunden gesessen und geschwiegen hatten. Er sagte, daß er gerne wieder dort wäre.
"Dann war es wahrscheinlich ein Kloster oder so etwas Ähnliches." sagte ich und fragte mich, ob es in Japan Kloster gab.
Ich erzählte ihm von unseren täglichen fünf Gebetszeiten und fragte ihn, ob es so war. Er war sich nicht ganz sicher und fragte mich, was ich denn denken würde, während ich bete.
Ich versuchte ihn in möglichst einfachen Worten zu beschreiben, in welchen Geisteszustand ich dabei gehe, um mich mit meinen höheren Anteilen zu verbinden.
"Dann ist es wirklich so ähnlich." antwortete er.
Ich fragte ihn, ob er mit mir kommen wollte und er wollte.

Dann fragte ich ihn, ob er mit Pferden umgehen könnte. Er behauptete, er könnte es. Ich sagte ihm, das solle er mir zeigen, indem er meine Stute holt und mir sattelt. Der Mann stand nicht auf, sondern sah die Stute nur an. Sie hob daraufhin den Kopf und kam her. Ich fragte sie telepatisch, warum sie denn gekommen war, denn eigentlich war sie sehr scheu und ließ sich von Fremden gar nicht einfangen. Ich hatte sehen wollen, wie er damit umgeht, daß sie Menschen nicht an sich ranläßt.
*Das ist ein lieber Hengst. Er wird mir nichts tun. Er ist wie du.* antwortete sie.
Ich sah ihn nachdenklich an. Er bemerkte meinen Blick und auch das telepathische Gespräch zwischen mir und dem Pferd und sah mich wissend an. Dann entdeckte er, die inzwischen verheilten Wunden an den Flanken der Stute und fragte zornig, wer denn dem armen Tier das angetan hatte.
"Jemand, der den Tag nicht überlebt hat, an dem er das getan hat." sagte ich.
Der Mann sah mich an und fragte sich offensichtlich, ob ich ihn deshalb ermordet hatte. Er fand das unangemessen.
"Ja, ich habe ihn getötet, aber nicht deshalb. Die Stute ist eine Kriegsbeute und wenn ich ihn nicht getötet hätte, hätte er uns getötet. Wir gehen nicht so mit Pferden um." erklärte ich.
Er nickte und sattelte sie, was sie sich von ihm gefallen ließ. Er war, seit ich sie eingefangen hatte, der erste andere Mensch, den sie an sich heranließ und ich sagte ihm das auch.

Ich schlug vor, daß wir beide zu Fuß gehen, weil man sich so am Besten unterhalten kann, denn ich würde dem Pferd nicht ohne Not zwei Reiter zumuten.

Wir haben unterwegs aber nicht geredet sondern die ganze Zeit geschwiegen. Er strahlte eine so tiefe Ruhe aus, als wäre er immer tief versenkt. Ich fragte mich, ob er heilen konnte.

Als er am Tor nach dem Paß gefragt wurde, wirkte er erschrocken, daher sagte ich:
"Keine Sorge. Ich bin hier der Chef. Wenn sie bei uns bleiben, können wir ihnen einen Paß ausstellen. Wenn sie das nicht wollen, ist das nicht so einfach, weil der Paß sie zum Ordensmitglied machen würde, aber sie können jederzeit frei das Haus verlassen, ohne daß wir sie an die Behörden melden."
Er reagierte sehr erleichtert.
Tatsächlich war es natürlich schwieriger, denn wenn er keine Papiere hatte, würde ich mir auch, wenn er gehen will, überlegen müssen, wie man für ihn eine Lösung findet, die ihn mit einer Arbeit und einer Aufenthaltserlaubnis versorgt.

Ich fragte ihn also beim Abendessen, was er zuhause denn so gemacht hatte und da er erwähnte, daß er dort viel gelesen hatte, fragte ich ihn ob er denn Gelegenheit gehabt hatte, unsere Sprache lesen und schreiben zu lernen. Er meinte, er hätte nach jemanden gesucht, der ihm die Buchstaben einmal aufschreibt und erklärt, damit er die japanischen Buchstaben daneben schreiben kann. Er hätte aber bisher niemanden gefunden.

Kersti

Fortsetzung:
F1216. Takumondo: Die paar Brocken der europäischen Sprachen, die ich aufgeschnappt hatte, reichten gerade mal, damit mich der durchschnittliche Wanderarbeiter für dumm hielt