erste Version: 2/2019
letzte Bearbeitung: 2/2019

Chronik des Aufstiegs: Die Pforten der Hölle - Der im Nachtmeer wohnt

F1216.

Die paar Brocken der europäischen Sprachen, die ich aufgeschnappt hatte, reichten gerade mal, damit mich der durchschnittliche Wanderarbeiter für dumm hielt

Vorgeschichte: F1215. Khar: Der Japaner bemerkte meinen Blick und auch das telepathische Gespräch zwischen mir und dem Pferd und sah mich wissend an

Takumondo, der buddhistische Mönch erzählt:
Ich bin als Sohn von vergleichsweise wohlhabenden Bauern zur Welt gekommen und wurde als Kind in den Tempel gegeben um Mönch zu werden. Ich hatte zwar zunächst Heimweh, wie das bei kleinen Kindern zu erwarten ist, wenn sie weit von Zuhause fortgeschickt werden, doch grundsätzlich bin ich mit dem Leben im Tempel zufrieden gewesen, denn dort gab es Bücher und ich entdeckte mit der Zeit, daß die stundenlagen Meditationen die mir anfangs - als sie meinem Alter gemäß noch kürzer gewesen waren - nur langweilig erschienen waren, tatsächlich eine Quelle der tiefen Freude und Weisheit darstellen, die ich heute als erwachsener Mensch nicht mehr missen möchte.

Der Tempel, in dem ich den größten Teil meiner Kindheit verbracht hatte, wurde in einem Krieg mit der heutigen Regierung Japans praktisch vernichtet und da die Verteidiger auch die Verlierer des Krieges gewesen waren, floh ich letztlich außer Landes und landete in China. Im Tempel hatte ich zwar chinesisch gelernt, konnte in China aber nicht wirklich Fuß fassen und nahm jede Arbeit an, mit der ich mein Überleben sichern konnte. Irgendwann stellte mich ein Chinese, der auf der Seidenstraße Handel betrieb, an, um seine Bücher zu führen. Ich habe ihm zwei Jahre gedient und er war auch ein guter Arbeitgeber, nur wurde seine Karawane fast in Europa durch Kosaken überfallen, so daß ich wieder auf dem Stand war, daß ich jede Arbeit annehmen mußte, von der ich leben konnte. Nur nützten mir an dieser Stelle meine guten Chinesischkenntnisse gar nichts und die paar Brocken der europäischen Sprachen, die ich aufgeschnappt hatte, reichten gerade mal, damit mich der durchschnittliche Wanderarbeiter für dumm hielt, weil ich seine Sprache nicht richtig beherrschte.

Ich war also mal wieder unterwegs und auf der Suche nach neuer Arbeit, als ich im Wald an einem Jugendlichen vorbei kam, der dort offensichtlich picknickte. Er war mit der Malzeit wohl eigentlich schon fertig und betrachtete versonnen das Laub der Bäume über ihm. Ich sah, daß er noch Brot übrig hatte und konnte nicht anders als stehen zu bleiben und mir zu wünschen, ich könnte das einfach nehmen, schließlich hatte ich seit drei Tagen nichts mehr gegessen. Er sah meinen Blick und fragte, ob ich auch etwas wollte. Es war natürlich unklug bei freundlichem Menschen nur um essen zu betteln, denn niemand ist dauerhaft großzügig zu einem Menschen, der gesund ist, eigentlich arbeiten könnte und sich nur füttern läßt, daher sagte ich, daß ich Arbeit suche. Der Jugendliche meinte, daß es ihm für den Augenblick reichen würde, wenn ich ihm erzähle, woher ich komme und bot mir wieder das Brot mit Wurst und Butter an. Ich überlegte, was für ihn möglicherweise die interessanteste Geschichte ist und begann von dem Kloster zu erzählen, in dem ich aufgewachsen bin. Er hörte mir zu und erzählte, daß er auch in einem Kloster lebt, wo man täglich viele Stunden meditiert und versprach mir, er würde eine Arbeit für mich finden. Ich hatte so meine Zweifel, denn welchen Einfluß hat schon ein Jugendlicher?

Trotzdem begleitete ich ihn zu seinem Zuhause. Es war auch wirklich ein Kloster, denn er hatte unterwegs zwei mal Pause gemacht um eine Stunde zu meditieren. Als wir uns nachher über unsere Erfahrungen dabei unterhielten, redete er tatsächlich wie ein spiritueller Meister und äußerte sich auch beeindruckt durch meine Kommentare in gebrochendem Ungarisch. Das war nur dadurch zu erklären, daß er direkt spüren konnte welche Erfahrung ich auf dem Gebiet hatte, denn meine Sprachkenntnisse reichten definitiv nicht, um das adequat auszudrücken. Auch einfach nur neben ihm zu sitzen, war schon eine beeindruckende Erfahrung, denn durch seine bloße Anwesenheit schien sich der eigentlich völlig normale Wald in einen heiligen Ort zu verwandeln. Er war ein spiritueller Meister, das war klar. Ich erkenne so etwas, wenn ich es sehe.

Das Kloster war ein prächtiges Gebäude, wie es in Europa die Mächtigen und Reichen haben. Als wir an das Tor kamen, wurde ich nach dem Paß gefragt und war erschrocken, ich hatte nämlich keinen. Khar, wie der Jugendliche sich vorgestellt hatte, stellte in einem Satz drei so unglaubliche Behauptungen auf, daß ich überzeugt war, ich hätte da aufgrund meiner schlechten Sprachkenntnisse etwas mißverstanden. Er behauptete nämlich, er wäre hier der Chef, könne mir einen Paß ausstellen oder mir auch ohne Paß Gastfreundschaft gewähren, ohne daß ich mit den Behörden Probleme bekommen könne. Da er aber offensichtlich mit drei Sätzen an die Wache das Paßproblem zumindest für den Augenblick lösen konnte, ging ich davon aus, daß ich mir zumindest für die nächsten Tage keine Sorgen machen mußte.

Beim Abendessen war er dann einen Schritt weiter und redete, als hätte er tatsächlich eine Aufgabe für mich im Blick, für die es einen gebildeten Mann braucht und wollte prüfen, ob ich ein für diesen Job geeignet war. Ich sah mir diesen offensichtlich noch nicht ganz erwachsenen Jungen an, der gerade begann, einen Bart zu bekommen, beantwortete seine Fragen und fragte mich, was das zu bedeuten haben könnte. Das war noch irritierender, da es offensichtlich für seine Begriffe eine unbedeutetende Kleinigkeit war, daß ich offensichtlich die deutsche Sprache lesen schreiben und sprechen lernen mußte, ehe ich für diese unbekannte Aufgabe voll qualifiziert war. Ich ging davon aus, daß er meine spirituelle Erfahrung als das erkannt hatte, was sie ist, schließlich hatte ich ihn auch als Meister erkannt. Aber was wollte er von mir? Und warum meinte er, er könnte mir einfach so eine Arbeit anbieten? Abgesehen davon: in Japan war die Staatsreligion der Buddhismus, in den europäischen Staaten das Christentum. Ein europäisches Kloster war daher ein christliches Kloster und dann mußte es irgendwelche Probleme aufwerfen, wenn ich als Buddhist in einen christlichen Orden aufgenommen wurde - was eine weitere unglaubliche Behauptung war, die er aufstellte. Ich kramte in meinen Gedächtnis, bis mir geeignete Worte einfielen um die Frage zu formulieren und faßte mir ein Herz, um sie auch auszusprechen.
"Das ist einfach. Sie lesen die Bibel - auf deutsch oder ungarisch, je nachdem was sinnvoller erscheint - und diskutieren den Inhalt mit mir. Gegenüber Ordensmitgliedern in Ordenskleidung dürfen sie jede Meinung vertreten, die ihnen in den Sinn kommt. Dazu, welche Aussagen in Gesprächen mit Außenstehenden zu ernsten Problemen führen könnten, gebe ich ihnen während unserer religösen Diskussionen Auskunft. Mich interessieren aber gerade die Teile des Wissens des Buddhismus, die in Europa unbekannt sind oder auch als frevlerisch gelten, weil das genau die Teile sind, aus denen ich etwas Unbekanntes lernen kann." erklärte er.

Kersti

Fortsetzung:
F1217. Takumondo: "Als Beschützer der Menschheit vor den Geistern der Verzweiflung erinnere ich mich, was ich in früheren Zeiten getan habe, denn ich brauche dieses Wissen, um in diesem Leben meine Pflicht erfüllen zu können." sagte Khar in einem Japanisch, wie man es aus alten Büchern kennt