erste Version: 9/2019
letzte Bearbeitung: 9/2019

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Das Leben des perfekten Kriegers

F1445.

"Meine Güte, er gibt sein Leben für seine Kameraden - wenn das nicht Liebe ist, was ist es denn sonst?"

Vorgeschichte: F1444. Geson XZB12-56-78: Da ich nicht an die Existenz von mythologischen Orten glaube, kam ich zu dem Schluß, daß das wohl eine Art Krankenhaus sein mußte

Geson XZB12-56-78 erzählt:
Ich sagte, daß ich als Gruppenführer ja das Recht hätte, über die anderen Patienten von meinem Schiff zumindest grundlegende Daten abzufragen, wie man das denn tun müßte, um die Daten zu erhalten, die ich lesen darf. Sie zeigte es mir und ich sah mir die Angaben über den Gesundheitszustand an, die vorlagen. Im Großen und ganzen sah alles vernünftig aus, aber es gab fünf Leute, die sterben würden, weil ihnen lebensnotwendige Organe fehlten, wenn man nicht einen von ihnen ausschlachtete, um die anderen am leben zu halten. Ich fragte die Krankenschwester, warum da noch keine Entscheidung getroffen worden war und erntete einen entsetzten Blick. Dann meinte sie, mit einer Miene, als wäre sie sehr froh, ein solches Argument gefunden zu haben, das ginge doch gar nicht, weil sie sonst alle an den Abstoßungsreaktionen sterben würden.
"Nein, es wird keine Abstoßungsreaktionen geben, da wir alle genetisch identisch sind. Wir sind uns so ähnlich wie eineiige Zwillinge, da wir alle Clone eines der ersten Überlebenden einer Schlacht sind." antwortete ich und nannte den Rufnamen und die Seriennummer meines Ahnen.
"Ach deshalb seht ihr alle gleich aus!" rief sie aus.
Ich bestätigte das, obwohl ich nicht fand, daß wir alle gleich aussahen. Ich wußte aber, daß die Freigeborenen Schwierigkeiten hatten, uns zu unterscheiden, weil sie es nicht gewöhnt waren auf die feinen Unterschiede zu achten. Daher riet ich ihr, einfach auf das Namensschild zu sehen, wenn sie sich unsicher sei, mit wem sie es zu tun hätte und erklärte ihr bei der Gelegenheit auch gleich, daß Geson mein Rufname sei, den sie wie einen Vornamen verwenden könnte und XZB12-56-78 meine Seriennummer sei, die bei formalen Gelegenheiten wie ein Nachname verwendet würde. Sie fragte mich, ob ich es denn nicht beleidigend fände, mit einer Seriennummer angesprochen zu werden, als wäre ich eine Maschine.
"Nein. Ich finde nämlich nicht, daß mit und Zuchtmenschen irgendetwas falsch wäre, daher fühle ich mich auch nicht beleidigt, wenn ich mit einem Attribut angesprochen werde, das darauf hinweist, das ich nach einem bestimmten Prinzip gezüchtet worden bin." antwortete ich und erklärte ihr XZB bedeutet, daß wir zu der Krieger-Zuchtlinie gehören, daß die 12 besagt, daß wir Clone des Gensatzes des Überlebenden 12 sind, daß 56 die Nummer meiner Mutter in dieser Clonlinie ist und daß die 78 besagt, daß ich ihre 78. und letztes Kind bin.
"Kann eine Frau wirklich 78 Kinder bekommen?" fragte sie mich.
"Das ist möglich, aber wirklich außergewöhnlich. Es gibt bisher nur eine Mutter, die noch mehr Kinder bekommen hat, nämlich 80. Normaler ist es, daß Zuchtmütter etwa 40 Kinder zur Welt bringen und aufziehen, ehe sie in die Menopause kommen oder solche Schäden in der Gebärmutter haben, daß es einfach nicht mehr geht." antwortete ich.
"Wenn eine Frau so viele Kinder zur Welt bringt, vergißt sie dann ich irgendwann wie sie alle hießen oder bringt sie durcheinander?" fragte sie mich.
"Nein", antwortete ich, "Zumindest hat meine Mutter sich immer sehr gefreut, wenn nach Hause gekommen bin und sie erfahren hat, daß ich wieder eine Schlacht überlebt habe."

Mein Zugführer hatte mir nämlich geraten, über die Besuche bei den Müttern zu reden, wenn Freigeborene solche Fragen stellen, weil sie dann am ehesten begreifen, daß wir alle Menschen sind und ähnliche zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen wie sie auch. Warum dieser psychologische Trick dermaßen gut funktioniert, ist mir allerdings völlig unklar, schließlich sollte man eigentlich schon bei einem normalen Gespräch merken, daß wir alle Menschen sind.

Ich sagte ihr dann, daß ich mit der verantwortlichen Ärztin reden mußte. Nachdem ich die Ärztin begrüßt hatte und festgestellt hatte, daß sie genauso freundlich war, als wäre sie ein Zuchtmensch, kam ich auf mein eigentliches Anliegen zu sprechen. Die reagierte genauso entsetzt auf meinen Vorschlag wie die Krankenschwester, sah aber ein, daß es so am Besten war, weil sonst alle fünf sterben mußten. Als ich dann sagte, daß ich mit dem sprechen mußte, der ausgeschlachtet werden sollte, wirkte sie irgendwie erstaunt. Ich verstand das nicht, denn das war doch selbstverständlich, oder?

Ich wurde in einen Rollstuhl gesetzt und zu ihm hingefahren. Als erstes beantwortete ich seine Fragen zum Krankenhaus und wer dafür verantwortlich war, daß wir gerettet wurden, dann erklärte ich ihm, was Sache war und warum ich entschieden hatte, daß er sterben mußte, damit die anderen leben konnten. Er akzeptierte die Entscheidung und bat mich, einem der anderen schwer Verletzten Grüße auszurichten und daß er ihm ein langes Leben wünscht. Ich versprach das und blieb dann bei ihm, bis er durch die Operationen die Besinnung verlor. Ich hätte bei so etwas schließlich auch nicht allein bleiben wollen.

Nachher nahm mich die verantwortliche Ärztin zu Seite und meinte auf eine Weise, die mir sagte, daß sie irgendetwas ziemlich verwirrte:
"Wie du mit ihm geredet hast, das hat ja so liebevoll gewirkt."
Ich verstand nicht wirklich, was sie damit sagen wollte und antwortete:
"Meine Güte, er gibt sein Leben für seine Kameraden - wenn das nicht Liebe ist, was ist es denn sonst?"
Diese Antwort schien sie noch mehr zu verwirren. Ich verstand das nicht. Als sie mich fragte, was wir denn besprochen hätten, sagte ich ihr, daß ich ihm zuerst seine Fragen beantwortet hatte, ihm dann erklärt hatte, was ich entschieden hatte und daß er mich schließlich gebeten hätte, einem der Leute, denen durch diese Operationen das Leben gerettet würde auszurichten, daß er ihm ein langes Leben wünsche. Sie sah mich auf eine seltsam mitleidige Weise an, dich ich nicht mochte und fragte, ob so etwas öfter gesagt wird.
"Ja. Das ist bei uns der übliche Abschiedsgruß." antwortete ich.
"Das wünscht ihr euch also." sagte sie wieder in diesem komischen mitleidigen Ton.
"Ja. Natürlich. Jeder will leben." antwortete ich und fragte mich, was das sollte.

Zuletzt sagte sie mir noch, daß die Kapitänin mit mir sprechen wollte, ob ich mich dazu denn in der Lage fühlte. Ich meinte, daß ich es eigentlich für dringender halten würde, mit den anderen zu reden, weil die meisten von ihnen frisch aus der Zuchtstation waren und selbst ich hätte eine ganze Weile gebraucht, um darauf zu kommen, daß das hier ein Krankenhaus ist.
"Wieso, das ist doch ein völlig normales Krankenhaus." meinte sie.
"Wenn sie in unser Krankenhaus gekommen wären, hätten sie wahrscheinlich auch gerätselt, wo sie gelandet sind. Es liegt zwar letztlich dieselbe Technik dahinter, aber es sieht schon völlig anders aus." gab ich zurück, beschrieb die Unterschiede, "Ich habe mich ernsthaft gefragt, ob es den mythologischen Ort namens Himmel, von dem die Freigeborenen immer reden, vielleicht doch gibt. Das kam mir dann aber doch zu albern vor, um es ernsthaft in Betracht zu ziehen und dann bin ich nach einigem Überlegen schließlich doch darauf gekommen, daß das hier wohl ein Krankenhaus sein muß. Deshalb denke ich, ich sollte mit jedem mal kurz reden und ihm seine Fragen beantworten."

Die Ärztin stimmte mir zu und ich machte zuerst die Runde bei unseren Leuten, die selbstverständlich genauso gerätselt hatten, wo sie waren und sich einfach nicht sicher gewesen waren, ob sie den ganzen Freigeborenen hier trauen können. Ich erklärte ihnen, daß wir dann nicht hier wären. Wenn wir diesen speziellen Freigeborenen nicht trauen könnten, lägen wir nämlich tot auf dem Schlachtfeld. Das kam ihnen dann auch logisch vor.

Kersti

Fortsetzung:
F1447. Dira von Leuenhorst: Von dem Rest unserer Verbündeten war ich weder, was ihre Taktik anging, noch was die Ausbildung ihrer normalen Soldaten anging, besonders überzeugt

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben