F1467.

Als ich ihn danach fragte, sagte er, daß er einfach froh sei, daß diese Quälerei jetzt endlich vorbei wäre

Vorgeschichte: F1475. Jender LZB99-950-41: Ich wußte natürlich, daß Kinder aus meiner älteren Zuchtgeneration die Operationen meist schlechter vertragen, machte mir aber auch nicht ernsthaft Sorgen

Teros LZB99-973-12 erzählt:
Ich ging wieder einmal zur Klinik. Am Vortag hatten sie mir ausnahmsweise erlaubt, meine Mutter zu besuchen, weil es danach nie mehr dasselbe sein würde. Die Krieger brauchten dafür keine Ausnahmeerlaubnis, weil sie in ihrer Freizeit jederzeit in den Kindergarten durften. Sie wurden schon als kleine Kinder kastriert, weil sie sowieso nicht zur Zucht verwendet wurden. Sie waren schließlich genetisch identisch, um Organspenden einfacher zu machen.

Es war der Tag der Operation und ich hatte gemischte Gefühle.

Einerseits freute ich mich, endlich aus der Schule rauszukommen, die mir eine viel zu enge Welt geworden war. Daß ich mich vor der Operation nicht fürchten mußte, war klar, denn niemand von den Gehirnschiffen unserer Technikerzuchtlinie hatte die Operation als so schrecklich empfunden, wie die Freigeborenen sie gewöhnlich erleben. Es war nicht ernsthaft schmerzhaft und ein bißchen eine Geduldsfrage. Ich war mir recht sicher, daß es ich mich als Gehirnschiff wohlfühlen würde und ein durchaus interessantes Leben vor mir hatte.

Kummer bereitete mir Siram. Mir hatte jede Begegnung mit ihm Kummer bereitet, denn es war offensichtlich, daß er sein Leben nicht mehr als lebenswert empfand. Sollte er aus irgendeinem Grund die Operation überleben, würde das alles noch weitaus schlimmer machen. Ich wußte, er wäre damit totunglücklich.

Bei einem letzten Gespräch sahen wir uns noch einmal an, was der Arzt zu der Studie, für die wir benutzt worden waren geschrieben hatte. Viel Zeit haben wir nicht darauf verwendet, denn wir hatten ja jederzeit über das Netz den Text aufrufen und daran verbessern können, was immer uns an Verbesserungen eingefallen war. Im Grunde waren wir natürlich alle drei einer Meinung. Freigeborene zu einem Gehirmschiff zu machen, war eine Zumutung, aber sie kamen zumindest teilweise noch irgendwie damit klar. Krieger der Zuchtlinie XZB12 für so etwas zu verwenden, ging gar nicht, weder war es machbar, noch auch nur näherungsweise zumutbar. Wenn Gehirnschiffe gebraucht wurden, sollte sie uns Techniker dafür nehmen, wir machten das gerne. Wir hatten unser Bestes getan, damit niemand irgendetwas anderes aus dem Text schließen konnte und das ganze Jahr nach Kräften an den Formulierungen gefeilt und immer wieder andere Freigeborene darüberlesen lassen, um zu prüfen wie es ankam.

Viel mehr Zeit verwendeten wir darauf, noch einmal in Ruhe miteinander zu reden und uns zu verabschieden. Das war nämlich der wirkliche Grund für unser Treffen und die wissenschaftliche Arbeit nur ein Vorwand. Schließlich hatten wir uns in dem Jahr kennengelernt und es konnte gut sein, daß keiner von und einen von den anderen beiden wiedersehen würde. Siram würde natürlich an der Operation sterben, ich würde sonstwohin geschickt und der Arzt würde hierbleiben.

Dann war es für mich Zeit, zur Operation zu gehen. Es fühlte sich sehr seltsam an, als sie nach und nach die Nerven aus dem Fleisch lösten und alles was nicht Nervenzelle war in den Abfall taten. Es tat nicht eigentlich weh, aber es machte gefühllos. Von den Zehen beginnend verlor ich ganz allmählich die Wahrnehmung meines Körpers und dann war da erst mal eine geraume Weile nichts, keine Bilder, keine Geräusche. Ich wußte, daß die Synapsen sich erst an den Elektroden festsetzen mußten und dafür ein paar Stunden brauchten. Daher hatte ich Geduld.

Irgendwann merkte ich, daß da wieder etwas war. Ich versuchte aus den zunächst unklaren und verwirrenden Wahrnehmungen schlau zu werden, sie zu ordnen und plötzlich war da ein Bild. Jemand stand vor einem aufgeschraubten Kabelkanal und fluchte, weil er nicht herausfand, was da eigentlich nicht funktionierte. Es war - wie mir klar wurde - mein Klassenkamerad Deton LZB99-1879-1, der vor einer Woche die Operationen durchgemacht hatte, bei denen ihm die Drähte in den Körper eingepflanzt wurden. So ganz hatte er seine neuen Implantate wohl noch nicht gemeistert, denn erfahrene Techniker hätten sofort mit ihrer elektronischen Sicht gesehen, an welcher Stelle des Kabelsalates das Problem liegt. Ich sprach ihn an und fragte nach Datum und Uhrzeit. Die Antwort beruhigte mich, denn ich hatte noch etwas Zeit, um mit Siram zu reden.

Siram wirkte erstaunlicherweise jetzt kurz vor seiner Operation viel entspannter, als ich ihn im letzten Jahr je gesehen hatte. Als ich ihn danach fragte, sagte er, daß er einfach froh sei, daß diese Quälerei jetzt endlich vorbei wäre. Wir unterhielten und noch ein wenig, bis er zur Operation gerufen wurde. Schon kurz nachdem sie ihn in sein Schiff gebracht und angeschlossen hatten, meldete das Lebenshaltungssystem, daß er tot war.

Ich sprach dann den Arzt an, der sich nach der letzten Operation zurückgezogen hatte und weinte. Natürlich ist ein Arzt nie glücklich, wenn jemand stirbt, aber wenn er den Patienten auch noch richtig kennengelernt hat, ist es noch schwieriger.

Kersti

Fortsetzung:
F1468. Teros LZB99-973-12: Ich war völlig mit meiner Sorge um Jender beschäftigt und hatte Angst daß er sterben oder nicht rechtzeitig aufwachen würde

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben