erste Version: 10/2019
letzte Bearbeitung: 10/2019

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Gruselige Experimente

F1479.

Jeder konnte Verbesserungsvorschläge einbringen, aber man brauchte die Intelligenz eines Zuchtmenschen, um diese zu einem ihrer Pläne zu verknüpfen

Vorgeschichte: F1478. Diro von Karst: Jeden Ansatz zu Widerstand hatten sie im Keim erkannt und mit unfehlbarer Höflichkeit in Kooperation verwandelt

Diro von Karst erzählt:
Den Plan dafür, wie man möglichst viele Schiffe in möglichst kurzer Zeit loseisen konnte, konnte ich nicht verbessern, schon weil ich ahnte, daß die Station die aktuellste Version vorhielt und nicht etwa das Schiff, in dem ich flog. Das konnte gar nicht anders sein, denn sie mußten den exakten Stand in der Fertigstellung und Reparatur jedes einzelnen Schiffes berücksichtigen und daher konnten nur sie wissen, wo man den Schnitt zwischen fertigzustellenden Schiffen und Schiffen, bei denen das nicht zu schaffen war, machen mußte. Ich versuchte das auch gar nicht, sondern konzentrierte mich darauf, herauszufinden, was die Zuchtmenschen grundsätzlich vorhatten.

Ich unterhielt mich auf dem Flug viel mit den Schiffsgehirnen und deren Kapitänen. Natürlich war niemand anders da, mit dem ich hätte reden können, aber es gelang mir auch, sie so weit zu bringen, daß sie weniger höflich und offener wurden.

Nach und nach erfuhr ich dadurch weitere Details der letzten Schlacht. Beispielsweise daß der Treron XZB12-5-13 von der Kriegerzuchtlinie den Befehl geführt hatte und daß Dira von Leuenhorst sofort deutlich gemacht hatte, daß sie diesen Befehlen folgen würde. Ich ließ mir den Verlauf der Schlacht zeigen und verstand nicht, was sie da gemacht hatten. Das sagte ich auch und bat um eine vereinfachte Erklärung, wie ich das von den sieben Adoptivkindern des Königs gewöhnt war.

Während ich mich mit ihnen darüber unterhielt, was sie alles aus welchen Gründen alles gemacht hatten, nahm mein Gruselgefühl zu. Sie hatten nicht nur die Schlacht aufgrund ihrer Befehlsverweigerung gegenüber dem Führungsschiff der Flotte gewonnen, sie hatten auch noch Politik gemacht. Und es war die Art Politik, wo man nichts gegen sagen konnte, weil wir es uns nicht leisten konnten, etwas dagegen zu sagen.

Schließlich sagte ich ihnen auf den Kopf zu, daß sie dabei seien einen Staatsstreich durchzuführen.
"Wieso Staatsstreich? Talis LZB81-801-99 ist doch bereits Kronprinz und der König hört auf ihn." antwortete Jender, der Kapitän des Schiffes.
Natürlich benutzte, seit er vom König adoptiert worden war, niemand mehr die Seriennummer des Kronprinzen Talis vom hohen Licht. Aber der Kronprinz hatte begonnen, politische Meinungen zu vertreten, als er vier Jahre alt war. Ich hatte immer schon die Techniker im Verdacht gehabt, daß sie den Jungen verwendeten, um ihre politischen Ziele in die Politik einzubringen. Nur konnte man dagegen nicht ernsthaft etwas tun, weil seine Vorschläge so vernünftig waren, daß man sie einfach berücksichtigen mußte, wenn man in diesem Intrigenzirkus nicht untergehen wollte.

Man könnte also behaupten, sie hätten mit ihrem Staatsstreich spätestens Erfolg gehabt, als der Prinz 4 war. Sie hatten allerdings damals, als der König die ersten beiden Kinder adoptiert hatte, schon gesagt, daß sie die Adoption für einen großartigen diplomatischen Erfolg hielten. Die Bedeutung dieser Aussage war vielleicht ihnen klar gewesen, wir hatten sie gar nicht verstehen können, weil wir nicht wußten, daß Talis sich unfehlbar an die anderen Zuchtmenschen seiner Zuchtlinie wenden würde, weil er sich nur durch sie wirklich verstanden fühlte. Langsam fragte ich mich, ob die Kinder den König mit einem geliebten Schoßhund verwechseln, den man zwar ziemlich verwöhnt, dem man aber ganz bestimmt nicht die Führung des Haushaltes überläßt, selbst wenn der Schoßhund sich der Illusion hingeben mochte, daß er der Chef der Familie ist, weil er alle erfolgreich um den Finger wickelt.

Ich stellte diese Frage.
"Nein. Wir sind alle Menschen." antwortete Jender.
Ich fragte, wer denn ihr Chef wäre.
"So funktioniert unser System nicht, schau mal."
Er rief etwas im Computer auf, was offensichtlich eine Art Diskussionsforum war, dort zeigte er mir einen mit meinem Namen gekennzeichneten Vorschlag, hinter dem Verweise auf andere Diskussionsbeiträge eingebunden waren. Er erklärte mir, daß er natürlich nicht jedes Wort mitschrieb, aber die Idee sei ihm nützlich erschienen, daher hätte er sie notiert. Ich könnte selbstverständlich meine Vorschläge, wenn ich wollte, auch selber einbringen. Er erklärte mir, wie man das System aufruft, bedient und wie es grob organisiert war. Dann sagte er, daß ich wahrscheinlich alles nicht ganz in die richtige Kategorie eintragen würde, das wäre jedenfalls die übliche Erfahrung mit Freigeborenen, darum müßte man sich aber nicht wirklich Sorgen machen, weil der erste Zuchtmensch, der den Fehler sieht, es nachkorrigieren und mit verwandten Beiträgen verlinken würde, wenn ich es zumindest näherungsweise richtig einsortiert habe.

Ich erfuhr, während ich ihn dazu befragte, daß diese sehr komplexen und differenzierten Pläne, die die Zuchtmenschen zusammenstellten, alle mit Hilfe dieser Diskussionsforen erstellt wurden. Ab einem bestimmten Punkt dieser Erklärung konnte ich nicht mehr folgen. Letztlich lief es aber darauf hinaus, daß jeder erfolgreich Verbesserungsvorschläge einbringen konnte, indem er ihn selbst in das System eintrug, wenn er denn von dem System wußte. Gezeigt bekam das System jeder, der ausreichend respektvoll mit den Zuchtmenschen umging, daß sie es nicht für ein Risiko hielten und der gleichzeitig intelligent genug war, um seine Vorschläge selber näherungsweise richtig einzutragen. Die Zuchtmenschen trugen auch jeden Verbesserungsvorschlag unter dem Namen des Urhebers ein, den sie hörten und für gut hielten. Aber man brauchte die Intelligenz eines Zuchtmenschen, um die Verbesserungsvorschläge zu einem ihrer Pläne zu verknüpfen, weil man sonst nicht den Überblick behielt und die Querverbindungen aus dem Blick verlor.

Kersti

Fortsetzung:
F1490. Diro von Karst: Ich hatte nie über diese grausamen Operationen nachgedacht, bis Prinz Talis mit dem Thema ankam

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben