erste Version: 10/2019
letzte Bearbeitung: 10/2019

Der Löwenmensch

F1481.

Die Putzfrau

Vorgeschichte: F1480. Kersti: D

Der Löwenmensch erzählt:
Ich beobachtete täglich, wie der Fußboden in dem Gang, in dem meine Schlafmatte lag, geputzt wurde. Da das außer den Besuchen meines kleinen Freundes die einzige Abwechslung war, wartete ich ungeduldig darauf und ließ die Putzfrau keine fünf Sekunden aus den Augen, wenn sie in meiner Nähe arbeitete. Leider hatte sie Angst vor mir und ließ sich nicht dazu bewegen, mich zu streicheln, egal wieviel ich bettelte.

Eines Tages schlief ich, als sie kam. Ich wachte natürlich sofort auf, als ich sie hörte, öffnete aber nicht meine Augen, sondern lauschte einfach auf ihre Schritte. In einiger Entfernung blieb sie kurz stehen, dann kam sie beim Putzen viel näher als sonst. Wahrscheinlich dachte sie, daß ich schlafe, und sie deshalb nicht bemerken konnte. Jedenfalls putzte sie so dicht bei mir, daß sie sogar meine Schnurrhaare berührte. Reflexartig riß ich die Augen auf und hustete. Da schrie sie auf und rannte davon.

Erschrocken sah ich ihr nach. Ich hatte ihr doch keine Angst einjagen wollen! Dann überlegte ich. Eigentlich hatte ich ja nichts Schlimmes getan. Und die Putzfrau war nicht wichtig im Haushalt, also würde ich vielleicht gar nicht bestraft. Aber SIE würde bestimmt bestraft, wenn sie nicht weiterputzte und ihr Putzzeug lag in meiner Reichweite. Ich stieg von der Matte, hob das Putzzeug auf und legte es hinter mir an die Wand, so daß sie an mir vorbei mußte, um es wiederzubekommen. Dann legte ich mich wieder hin und schloß die Augen, als würde ich schlafen.
"Oh mein Gott!"

Ich öffnete die Augen und betrachtete die Putzfrau nachdenklich.
"Gib mir sofort meine Sachen wieder!" befahl sie mir nach kurzem Überlegen empört.
"Nur wenn du mich streichelst." fordete ich.
"Ich bin doch nicht blöd!"
"Na ja, wenn du sowieso an mir vorbei mußt, kannst du dich doch auch auf die Matte setzen, mich auf den Schoß nehmen und streicheln." versuchte ich sie zu überzeugen.
"Aber dann frißt du mich doch!"
"Ich fresse keine Menschen!" gab ich empört zurück.
"Und woher soll ich wissen, daß du nicht lügst?" fragte sie vorwurfsvoll.

Das war eine ziemlich blöde Frage - nicht nur weil ich sie längst gefressen hätte, wenn ich das gewollt hätte, als sie direkt vor meiner Nase geputzt hatte - sie stand auch jetzt in meiner Reichweite. Aber wenn ich ihr das erzählt hätte, wäre sie bestimmt weggelaufen.
"Ich bekomme jeden Tag zu essen - aber NIEMAND streichelt mich!" quengelte ich stattdessen.
"Du bist ja auch gefährlich."
"Ich bin gar nicht gefährlich. Ich will daß du mich streichelst!" widersprach ich empört und begann dann zu weinen.
"Ach Kleiner..." sagte sie mitleidig und setzte sich auf die Matratze.

Ich schaute zu ihr hoch, robbte vorsichtig näher und legte meinen Kopf auf den Schoß. Sie begann wirklich zu streicheln. Ich kuschelte mich an sie und begann richtig zu weinen.
"Was ist denn los, Kleiner?"
Unter Tränen - natürlich haben Löwenmenschen nicht wirklich Tränen und unser Weinen klingt ein wenig nach Miauen, aber ich hatte die Gefühle die Menschen beim weinen haben und die Putzfrau verstand mich. - Unter Tränen klagte ich ihr mein Leid und erzählte, wie schrecklich es war, immer angekettet zu sein und wenn niemand einen streichelt und wenn man nie spielen darf und immer bestraft wird, wenn man doch spielt...

Sie streichelte mich so lange bis ich mit dem weinen aufhörte und zu schnurren begann, weil mir das streicheln so gut tat.

Kersti

Fortsetzung:
F1482. Kersti: D

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben