F1540.

Es war ein "Geschlechtsteile sind halt etwas, was abgeschnitten wird, wenn man in die Schule kommt." und mehr schien er damit nicht zu verbinden

Vorgeschichte: F1531. Danien Wolf: Ich redete mit meiner Frau und war am Ende in Tränen aufgelöst. Ich hatte mich einfach entspannt und dann kam alles hoch

Danien Wolf erzählt:
Dann lernte ich Aannann und Kelo kennen und mein Selbstbild wurde wieder Kopf gestellt.

Bei Koris hatte mich immer irritiert daß er sehr seltsam auf alles reagierte, was mit Sex, Liebebeziehung und Ehe zu tun hatte. Er hatte versucht, mir seine Reaktionen zu erklären, aber es waren tatsächlich nur die harten Fakten bei mir angekommen. Er war, als er mit Sechs in die Schule kam, kastriert worden und hatte deshalb nie Gelegenheit zu einer sexuellen Beziehung gehabt. Seine Mutter kannte auch keinen Sex, da ihr die Eizellen der Kinder, die sie austragen sollte, künstlich eingepflanzt wurden. Was das emotional für ihn bedeutet hatte, habe ich nicht verstanden. Was meine Ehe für mich bedeutet hat, hat er auch nicht verstanden, obwohl ich versucht habe, es ihm zu erklären. Er hat auch nicht begriffen, warum seine normalerweise sehr erfreuliche Einstellung "Die Freunde meiner Freunde sind auch meine Freunde" bei einer Ehefrau eines Freundes sehr unpassend ist. Im Gegensatz dazu erschien mir seine Beziehung zu seiner Mutter völlig normal, was mir gleichzeitig sehr verwunderlich vorkam, denn Koris war immerhin das 20. Kind, das sie zur Welt gebracht hatte und keines dieser Kinder war ein Wunschkind gewesen. Trotzdem freute sie sich nicht nur jedes mal, wenn eines ihrer Kinder sie besuchte, auch jeder, den diese Kinder mitbrachten, war bei ihr jederzeit ein willkommener Gast, der sofort ein Kind in die Arme gedrückt bekam. Ich habe Koris immer wieder begleitet, wenn er seine Mutter besuchte, weil dort eine so herzliche, liebevolle Athmosphäre herrschte. Andererseits kam es mir sehr merkwürdig vor, daß diese Kindergartenkinder, die dort waren, mit mir über Kriegsführung fachsimpselten und jeder das völlig normal zu finden schien. Immerhin kam ich bei ihrem Ausbildungsstand noch mit und fühlte mich nicht so unfähig, wie wenn ich mit Koris über dasselbe Thema redete.

Jedenfalls hatte ich nie verstanden, warum das einzige, was Koris mit der Kastration in Verbindung brachte, körperliche Schmerzen waren, die ihn auch nicht besonders beeindruckten, schließlich wäre er ein Krieger und er könnte mit so etwas umgehen. Er wirkte, als wäre ihm nie in den Sinn gekommen, daß Geschlechtsteile irgendeinen Nutzen haben könnten. Es war ein "Das ist halt etwas, was abgeschnitten wird, wenn man in die Schule kommt." und mehr schien er damit nicht zu verbinden.

Auch Kelos Einstellung dazu war merkwürdig und ich habe sie nicht wirklich verstanden. Sie war nur ganz anders. Ich war ja, als ich zu Aannann kam, ziemlich verzweifelt gewesen, weil er mich kastriert hat und mir absolut nichts eingefallen ist, wie ich mich wirkungsvoll davor hätte schützen können. Ich habe aus den Geschlechtsteilen auch brav wie befohlen den sogenannten Reinigungsshake zubereitet, ihn Aannann serviert, aber natürlich fühlte ich mich dabei wütend, hilflos und erniedrigt. Kelo redete mit mir bei verschiedenen Gelegeheiten über das Thema und er wäre im Traum nicht darauf gekommen, daß das eventuell erniedrigend sein könnte. Er verstand auch nicht, warum ich so seltsame Fragen stellte. Für ihn war "seinen Reinigungsshake zubereiten" ein wesentliches Übergangsritual, mit dem man seinem zukünftigen Herrn einen Liebesdienst erweist, um ihm zu zeigen, daß man gerne für ihn tut was immer er wünscht und auch jederzeit gerne Schmerzen erleidet, um seinem Herrn etwas Gutes zu tun. Außerdem muß das doch sein, damit nachher sein Fleisch besser schmeckt.

Meine Sekretärin vom Echsenplaneten hatte ihrer ersten Echsenvorgesetzten ebenfalls einen Reinigungsschake beschert, denn sie war, als sie ihre erste Stelle antrat, ebenfalls kastriert worden. Während sie danach einige Tage Bettruhe verordnet bekam, um sich von dem Eingriff zu erholen, war es als wichtig angesehen worden, daß sie dabei war, als ihre Chefin den Reinigungsshake aus Gebärmutter und Eierstöcken getrunken hat und daß die menschliche Sekreteärin ihr dabei einen guten Appetit gewünscht hat. Auch sie schien das als bedeutsam zu sehen und meinte das wäre doch ihre Chefin, sie hätte das doch gerne für sie getan. Tatsächlich freute sie sich auch wenn sie diese Echse sah und begrüßte sie sehr herzlich.

Ich hatte also einen Reinigungsshake zubereitet und wunderte mich über mich selbst, daß ich gehorcht hatte, ohnen einen riesen Aufstand zu veranstalten. Die emotionale Note, die die Zuchtmenchen damit verbanden, war mir völlig unverständlich. Besonders weil die Menschen die Echse, der sie ihren Reinigungsshake zubereitet hatten, immer als eine besondere Vertrauensperson betrachteten, die sie auch Jahrzente später, wenn sie längst bei jemandem ganz anders arbeiteten, noch um Rat und Hilfe baten und diesen Rat und die Hilfe auch bekamen. Noch merkwürdiger war es, wenn man bedachte, daß es ja auch diese Kinder gab, die an eine Echse verkauft wurden, der ihren Reinigungsshake zubereiteten und ein Jahr später bei einem Fest als Festmahl dienten. Auch die hatten diese seltsame Vertrauensbeziehung, obwohl sie genau wußten, daß sie als Nahrunsmittel gesehen wurden.

Kelo war älter gewesen, trotzdem brachte er Aannann dieselbe Haltung entgegen und wenn man die beiden miteinander reden sah, wirkte es fast, als wären sie befreundet. Die Gespräche wirkten sehr entspannt, Kelo schien durchaus zu sagen, was er dachte und oft eine andere Meinung zu vertreten als sein Herr. Aber wenn er gefragt wurde, ob er zufrieden sei, Aannann als Braten zu dienen, behauptete er, daß er das selbstverständlich gerne tun würde. Irgendwann erzählte er mir, daß durch die Schulabschlüsse entschieden wurde, wer geschlachtet wurde und wer für andere Berufe ausgewählt wurde. Er sagte, daß er in der Schule leider nicht so gut gewesen sei, so daß er nur ein paar Jahre in einer Fabrik hätte arbeiten dürfen und dann eigentlich in die Mastanstalt hätte gehen sollen. Er hätte sich aber gefreut, stattdessen zu Aannann zu können, weil es hier doch interessanter sei als in der Mastanstalt. Ich war völlig verblüfft, als ich das hörte. Dadurch begriff ich nach einigem Überlegen, daß er die Frage danach, ob er denn geschlachtet werden wollte, völlig mißverstanden hatte. Er hatte verstanden: "Hast du deine Gehorsamsübungen gut genug gemacht und bist in der Lage dich mit meinen Befehlen abzufinden, wie es sich gehört?" und ich hatte gemeint "Willst du wirklich daß er dich schlachtet oder wäre es dir lieber, ein ganz andere Leben zu leben?" Jetzt wußte ich, daß mein Verdacht richtig gewesen war: Selbstverständlich hat er sich ein anderes Leben gewünscht. Da er aber als Aannanns Braten ausgewählt wurde, hat er getan, was ihm als Kind beigebracht worden war und sich bemüht, damit zufrieden zu sein, wie hart ihm das auch ankommen mochte.

Ich wiederum hatte dadurch begriffen, daß Zufriedenheit oder Unzufriedenheit eine Entscheidung ist, die völlig von den äußeren Zuständen unabhängig ist und daß man sich selbst keinen Gefallen tut, wenn man sich für Unzufriedenheit entscheidet, weil man nichts dadurch gewinnt. Damit wurde aber klar, daß ein Aufstand an Stellen, wo er strategisch keinen Sinn ergibt, kein Ehrenzeichen ist, sondern selbstschädigendes Verhalten, was kein Mensch braucht.

An dem Tag nachdem ich den Echsenmilitärs mein Bein serviert hatte, habe ich mich zum letzten mal alleine mit Kelo unterhalten. Er redete mit mir über mein Streitgespräch mit den Echsen und gab mehrere Sätze wieder, die ich geäußert hatte und die mir in keiner Hinsicht bemerkenswert vorgekommen waren. Wie mir seine Bemerkung über Schulzeugnisse hatten ihm diese Sätze Dinge klar gemacht, die ich ihm, seit wir uns kannten, hatte erklären wollen und die irgendwie nie bei ihm angekommen waren, egal was ich gesagt hatte.

Ich erinnerte mich daran, wie Kelo, als die Echsenmilitärs wieder kamen, in seiner herzlichen Art, bei der man ihm abnimmt, daß er das ernst meint, einen guten Appetit gewünscht hat. Direkt danach gingen wir in die Küche, Aannann legte Kelo auf den Tisch, Kelo hob den Kopf hoch, damit Aannann die Messerschlinge darüber ziehen konnte und beantwortete die Frage, ob er bereit sei, ohne zu zögern mit Ja. Aannann schnitt ihm den Kopf ab und befahl mir, aus seinem Körper die nächste Malzeit zuzubereiten. Ich habe natürlich getan, was mir gesagt wurde. Während ich diese Episode erzählte, kam ein enormer Kummer hoch, den ich damals, als es geschehen ist, gar nicht so zugelassen hatte und ich begann haltlos zu weinen.

Und hier lande ich bei dem nächsten Punkt, wo ich mir ein Rätsel bin. Aannann hat Kelo geschlachtet. Er hat mich kastriert und mir ein Bein abgeschnitten. Er ist für die Schlachterei zuständig, in der Diever, Dinnan und Savin geschlachtet wurden. Außerdem ist da die grausame Geschichte mit Savíns Augen. Trotz dieser ganzen Grausamkeiten mag ich Aannann irgendwie, dabei hat er nun wirklich nichts Gutes für mich getan. Kann mir mal jemand erklären, wie ich mich da noch selbst verstehen soll?

Nachdem meine Frau gegangen war, gab es eine Nachbesprechung in der irgendsoein Geheimdiensttyp eine wirklich dumme Bemerkung über diese Tränen machte. Ich erklärte ihm, daß das doch normal wäre und daß er außerdem ein Barbar und Voyeur ist, wenn er solche privaten Szenen so genau beobachtet. Natürlich war mir klar, daß das seine Arbeit gewesen war, aber es ärgerte mich trotzdem und ich war mir ziemlich sicher, daß mir so eine Antwort nicht schaden konnte. Er würde mich lediglich als naiver sehen, als ich war und das konnte nur gut sein.

Außerdem war ich langsam wirklich angenervt.

Und damals, als ich den Echsemilitärs erklärt hatte, daß sie Barbaren sind, wenn sie Menschen essen, hätte ich im Traum nicht damit gerechnet, daß das irgendetwas ändert. Und jetzt sitze ich hier in diesen doch etwas verkorxten Friedensverhandlungen, in denen eben diese Echsen versprechen, sich darum bemühen, daß auf ihrem Planeten keine Menschen mehr gegessen werden. Ein klares Wort an der rechten Stelle kann erstaunlich viel bewirken.

Kersti

Fortsetzung:
F1535. Danien Wolf: Sie fanden auch meine Einstellung zu Aannann höchst mißtrauenserregend, nur weiß ich nicht, wie ein Psychologe, der behauptet, schon öfter mit Folteropfern geredet zu haben, zu so etwas kam

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben