erste Version: 12/2019
letzte Bearbeitung: 2/2020

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Der Bruder des Prinzen

F1572.

Warum bin ich neidisch auf meine kleinen Geschwister, denen ich doch wirklich von Herzen alles Gute wünsche, aber nicht auf die ganzen Freigeborenen?

Vorgeschichte: F1607. Salich vom Licht: "Willst du mir damit sagen, daß du Talis während der Arbeit erklärst, was du gerade machst, gleichzeitig irgend ein Fachbuch liest und noch drei vier Schülern ihre Fragen beantwortest?" fragte ich ungläubig

Tanan LZB45-321-37 erzählt:
Ich sah aber natürlich täglich nach den Kindern. Diverse Leute fragten mich, warum ich denn so viel bei den Kindern war - und denen gegenüber denen ich das sagen durfte, wie beispielsweise dem Arzt, der ja sowieso informiert war, wie mir der König gesagt hatte, sagte ich auch, daß sie doch meine Geschwister waren. Den meisten sagte ich nur, daß Kinder doch etwas Wunderbares sind. Aber auch die, die wußten, daß der König die Kinder aus der Zuchtstation adoptiert hat, schienen irgendwie nicht zu glauben oder zu verstehen, daß sie meine kleinen Geschwister waren, dabei sahen wir uns doch so ähnlich wie sich Geschwister normalerweise sehen.

Der kleine Talis fing gerade an zu laufen, und wenn ich in den Wohnräumen seiner Eltern arbeitete, lief er immer hinter mir her und ich erklärte ihm daher alles, was ich tat. Der König guckte immer noch so böse, wenn er mich sah. Auch das Palastgehirn Geron vom Silbersee sagte mir, daß ich mir keine Sorgen machen muß. Der König würde mich für nichts bestrafen, ohne mir vorher gesagt zu haben, was ich anders machen muß. Mir machte das trotzdem Angst.

Als ich etwa ein Jahr hier war, kam Diro von Karst an, ein gruseliger Typ, der immer irgendwelche Witze machte, die ich einfach nur beängstigend fand, weil sie so grausam und herzlos waren. Geron und der alte Techniker, Salich vom Licht, der kaum noch arbeiten konnte, weil die Implantate bei ihm furchtbare Krämpfe auslösten, wann immer er sie zu benutzen versuchte, erzählten mir Geschichten, die mir noch mehr Angst machten, denn Diro war die Sorte Mensch die immer wieder nur so zum Spaß grausam sind. Ich verstand nicht, warum der freundliche König sich mit ihm abgab.

Diro von Karst fragte mich, warum Talis angekommen war und sich beschwert hatte, daß die Kinder im Kindergarten der Zuchtstation viel schöneres Spielzeug haben als er. Ich erklärte ihm, daß Talis mich nach meiner Kindheit gefragt hatte und daß ich ihm daher ein paar Überwachungsfilme aus der Zuchtstation gezeigt habe, um ihm zu zeigen, wie es da ist, wo ich aufgewachsen war. Er befahl mir, ihm diesen Film zu zeigen, daher bat ich Geron, das zu tun. Das Palastgehirn schnitt natürlich die Anfangsszene ab, wo unsere Mutter uns mit ihrem neuesten Baby auf dem Arm begrüßt hatte und uns unseren neuesten kleinen Bruder vorstellte, sondern zeigte nur die Szenen, wo sie beschrieb, wie sich die älteren Kinder entwickelt hatten. Freigeborene denken dann immer, daß das irgendeine Erklärung für Freigeborene wäre, wie der Kindergarten funktioniert, daher kann man diese Teile der Briefe zeigen. Jeder Zuchtmensch hätte natürlich sofort gewußt, daß das ein Teil von einem Brief an alle älteren Kinder ist, weil alle Mütter bei ihren Briefen so etwas mitschicken. Es gibt dann noch kürzere Teile für jedes Kind einzeln, aber man will natürlich auch wissen, wer dazugekommen ist und wie es allen geht, daher gibt es diesen allgemeinen Teil.

Ich vermute, daß meine Antwort ihn zufriedengestellt hatte, denn er ging nach so einer komischen Bemerkung über Messer und Operationssääle raus und hat mich nicht bestraft. Ich atmete erleichtert auf, denn ich dachte mir, daß es bestimmt ein Problem gewesen wäre, wenn ihm klar geworden wäre, daß Talis Briefe von unserer Mutter bekommt. Die bekommt er natürlich, schließlich ist er eines von ihren Kindern. Auch Mela, unsere kleine Schwester, bekommt von ihr Briefe. Ich weiß nur nicht, wie viel sie davon versteht, wenn ich sie ihr zeige.

Zu meiner Überraschung bekamen die beiden Kinder kurz darauf den ganzen Kindergartensatz an technischen Spielzeugen geschenkt.

Ich war neidisch und das war albern. Zunächst einmal bin ich zu alt, um mit den Kindegartenspielzeugen wirklich etwas anfangen zu können und hatte genug Spielzeug gehabt, als ich in dem richtigen Alter dafür war. Wir sollten mit diesen Spielzeugen schließlich lernen wie man die Arbeit tut, für die wir vorgesehen waren. Das Spielzeug gehörte mir damals zwar nicht persönlich, aber es war wirklich genug für alle gewesen. Aber meine kleinen Geschwister bekamen immer, was sie sich wünschten, während meine Mutter gar nicht die Möglichkeit gehabt hätte, mir materielle Wünsche zu erfüllen, sondern nur so etwas konnte wie mich auf den Arm nehmen. Trotzdem bezog sich dieser Neid auf Dinge, die sich längst nicht mehr ändern ließen, weil meine Kindheit nun wirklich vorbei war. Ich hatte mein ganzes Leben lang gesehen, daß die Freigeborenen es praktisch in allem besser haben und hatte nie das Gefühl gehabt, daß das ein Grund zu Neid sein könnte. Komischerweise brachten die Freigeborenen es fertig, neidisch auf uns zu sein, als wenn es dazu irgendeinen Grund gäbe. Umgekehrt waren wir normalerweise nicht neidisch auf Freigeborene. Wir wunderten uns immer nur, woher sie ihren Neid nahmen, weil wir doch wirklich nichts hatten, worauf man neidisch sein konnte. Schließlich hatten sie angefangen, uns zu züchten, weil sie Dinge mit Menschen machen wollten, die wirklich niemand will und weil sie nicht genug Menschen fanden, die sie zwingen konnten, das mit sich machen zu lassen. Im Falle meiner Zuchtlinie ging es dabei um diese Implantate, die uns innerhalb von zwanzig Jahren vergiften. Doch damit nicht genug, gönnten sie uns wirklich nichts, was wir nicht brauchten, um arbeiten zu können. Sie erlauben uns nicht, in der normalen Kantine zu essen. Für uns gibt es nur die sogenannten Notrationen. Das ist kein echtes Problem, schließlich enthalten sie alles, was man braucht. Sie gönnen uns keine Vergnügungen, deshalb müssen die Geschlechtorgane amputiert werden. Sie gönnen uns nicht einmal den Spaß an der Arbeit oder ein nettes Gespräch mit Kollegen. Und jetzt bekommen meine kleinen Geschwister alles, was sie sich wünschen und ich bin plötzlich neidisch? Ich verstand mich selbst nicht. Warum bin ich neidisch auf meine kleinen Geschwister, denen ich doch wirklich von Herzen alles Gute wünsche, aber nicht auf die ganzen Freigeborenen?

Ich dachte darüber nach, daß die Tatsache, daß der König zwei von unseren Kindern adoptiert hatte für meine kleinen Geschwister bedeutete, daß sie ein weitaus besseres Leben haben würden als ich hoffen konnte und daß sie richtig alt werden konnten. Und ich war stattdessen ein halbes Jahr früher operiert worden und würde deshalb früher sterben. Ich fragte mich, warum meine Geschwister so viel wertvoller für alle sind. Danach schalt ich mich sofort einen Idiot. Es waren nicht die Zuchtmenschen, die entschieden hatten, daß ausgerechnet meine jüngeren Geschwister adoptiert werden und das gab die Rahmenbedingungen vor. Es war einfach zu wichtig, weil das Glück von zu vielen Menschen davon abhing, was aus den Kindern wurde, daher brachte ich ein Opfer, um den Erfolg zu sichern. Ich hatte dem Ganzen schließlich zugestimmt, weil ich die Logik überzeugend fand, auch wenn ich nicht glücklich darüber war, was das für mich persönlich bedeutete.

Kersti

Fortsetzung:
F1579. Tanan LZB45-321-37: Dagegen habe ich keinerlei Interesse daran, in die Streitereien von adeligen Idioten hineingezogen zu werden, deren liebstes Spiel darin besteht, sich gegenseitig mit Bombenanschlägen zu beglücken

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben