erste Version: 1/2020
letzte Bearbeitung: 1/2020

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Der Bruder des Prinzen

F1605.

"Ich wußte doch nicht, daß die Abiturprüfungen auf dem Niveau sind, bei dem wir in die Schule kommen!" antwortete der Palasttechniker

Vorgeschichte: F1604. Tanan LZB45-321-37: Als er mir dafür auch noch eine Sondervergütung überwies, entschied ich, daß ich wissen mußte, was normale Kinder in dem Alter können

Der Schulleiter erzählt:
Als der Techniker mich über die Lautsprecheranlage des Palastes ansprach und fragte, ob ich mal ein wenig Zeit für ihn hätte, war ich erstaunt.

In den ersten Wochen, nachdem er hierhergekommen war, hatte es Probleme gegeben, weil er die Schüler überforderte, indem er meinte, ihnen ein Universitätsstudium abverlangen zu müssen. Inzwischen hatte er sich aber angepaßt und so weit ich das beurteilen konnte, machte er seine Sache als Lehrer für alles, was mit Technik zu tun hat, sehr gut. Ich fragte mich, wie er es eigentlich schaffte, immer für jeden seiner Schüler fast sofort Zeit zu haben. Es war völlig egal, ob sie gerade in seiner Vorlesung saßen oder bei den Hausaufgaben Schwierigkeiten hatten. Man konnte ihn einfach über sein Rufzeichen anschreiben und er antwortete auf die Fragen der Schüler beinahe sofort über die Raumlautsprecher oder ihr persönliches Tablet, mit dem sie die Hausaufgaben machten. Dabei gab er auch gerne Nachhilfe in Mathe, obwohl das nicht sein Fach war. Unsere Schule hatte immerhin etwa tausend Schüler, von denen 100 von ihm unterrichtet wurden, weil sie Technik als Schwerpunktfach gewählt hatten. Auch wenn ihn ein beliebiges kleines Kind bei der Arbeit ansprach, antwortete er immer sehr geduldig auf jede Frage, die ihm zu seiner Arbeit gestellt wurde. Ich fand es amusant, daß ausgerechnet der Prinz immer bei dem Techniker herumhing und von ihm alles erklärt bekommen wollte.

Da ich mich gerade nicht in einem Klassenraum befand, nahm ich mir selbstverständlich Zeit für ihn, denn wenn ein Schulleiter keine Zeit für die Lehrer hat, kann eine Schule nicht funktionieren. Sobald er da war, fragte ich ihn, was denn los war.
"Ich habe Prinz Talis kennengelernt, als er noch ganz klein war. Da ich im Blick behalten wollte, ob er sich gesund entwickelt, habe ich für ihn ein Kindergartenzeugnis geführt, wie das zuhause üblich ist. Heute hat es sich ergeben, daß ich dem König das Zeugnis gezeigt habe, weil er wissen wollte, was Talis alles kann und er hat so komisch reagiert, daß ich einfach mal wissen wollte, was eigentlich normale Vierjährige können." sagte er.
Ich fragte mich, was er eigentlich mit "komisch reagiert" meinte und warum es überhaupt ein Zeugnis für Kleinkinder gab, die gerade mal drei Jahre alt sind. Ich meine, in dem Alter lernen sie sprechen, was gibt es da zu beurteilen? Ich ließ mir also die Zeugnisse zeigen und war platt, daß dort stand, daß selbst die zweijährige Schwester schon lesen und schreiben könne und die Grundrechenarten beherrschen sollte. Die anderen Einträge habe ich nicht so ganz verstanden, die waren zu technisch.

Ehe ich mir überlegen konnte, was ich dazu sagen sollte, meldete sich der König bei mir, den das Zeugnis offensichtlich genauso verwirrt hatte und wollte, daß ich einen Einstufungstest bei seinen Kindern vornahm. Da ich an dem Zeugnis nur verstanden hatte, daß die Kinder für ihr Alter viel zu weit waren, lud ich diverse alte Klassenarbeiten aus dem Netz und ließ den Techniker schauen, welche davon seiner Ansicht nach auf dem Niveau waren, das die Kinder beherrschten. Er fand, daß die Abschlußtests für die Grundschule für Mera geeignet wären. Er beschwerte sich, daß Talis bei dem Niveau doch nicht mitarbeiten würde, weil das zu primitiv wäre, er bräuchte schwierigere Aufgabenstellungen. Ich bot ihm also Klassenarbeiten aus dem Gymnasium an. Er fand da dann letztlich etwas Geeignetes, wunderte sich aber über die Dauer der Tests. Eine so lange Aufmerksamkeitsspanne hat ein Kind doch gar nicht. Ich erklärte ihm daraufhin, daß er sich darüber gar nicht aufregen müßte, er hätte sich schließlich die Abiturprüfung herausgesucht. Das wollte er mir gar nicht glauben. Und ich hatte ein ernstes Problem, glauben zu können, daß ein Dreijähriger schon so weit sein könnte.

Der Techniker schlug daraufhin vor, Saman XZB12-123-77 zu fragen. Der wäre schließlich ständig bei dem Kind und könne das deshalb auch beurteilen. Saman war so muskulös und stämmig gebaut, daß er einen großen Kleiderschrank mit einer Hand hocheben kann. Und er gehörte offensichtlich zu der Species der Gorillas, denn als er das erste mal einen Baum gesehen hat, ist er da wie hypnotisiert stehen geblieben und es dauerte eine halbe Stunde, bis es dem Unteroffizier, der ihn hatte zum Palast bringen sollen, gelungen war, ihn da wieder loszueisen. Am selben Tag hatten einige gesehen, daß er auf die höchste Eiche des Palastgartens geklettert war, die über tausend Jahre alt sein mußte. Offensichtlich war es dem gezüchteten Krieger danach gelungen, sich einigermaßen in den Palastalltag einzufügen, aber ich glaube, das lag nur daran, daß es Talis gefiel, daß er immer auf dessen Schultern reiten und ihn als Klettergerüst mißbrauchen darf. Saman war freundlich und gutmütig und deshalb wurde seine Kraft und Dummheit nicht zum Problem, wenn du mich fragst.

Tanan ignorierte meine Bedenken, rief Saman her und bat ihn zu sagen was der richtige Test für Talis und Mera ist. Komischerweise war der Krieger genauso irritiert von den Klassenarbeiten und fand daß für die zweijährige Mera die Abschlußtests für die Grundschule geeignet wären, wenn man die auf ein Maß zusammenkürzt das ein Kleinkind bewältigen kann und daß der dreijährigen Talis die Abiturprüfungen in gekürzter Form bräuchte.

Das Gespräch zwischen den beiden hatte mich allerdings irritiert, weil der Krieger beiläufig diverse wissenschaftliche Fachbegriffe genannt hatte, die nicht einmal ich kannte. Ich fragte ihn also, was bei ihnen als Abiturprüfung durchging.
"Ich glaube, das kann ich im Augenblick sehr schlecht erklären, denn ich habe gerade festgestellt, daß ich keine Ahnung hatte, was als normales Abitur gilt. Aber ich kann dich schon mal damit überraschen, daß Saman neben seinen fachbezogenen Qualifikationen auch ein abgeschlossenes Medizinstudium mit mehreren Facharztqualifikationen hat. Ich selbst bin jünger und habe lediglich das, was man bei uns als Erste-Hilfe-Kurs bezeichnet, allerdings war der Arzt der Ansicht, daß das eher einem Medizinstudium entspricht." antwortete er.

Mich irritierte nach dem Eindruck, den ich jetzt bekommen hatte, allerdings die Geschichte mit dem Baum, daher fragte ich ihn, was das denn gewesen war.
"Meine Güte, das war wirklich das erste mal, daß ich einen Baum gesehen hatte. Ich war doch vorher nur auf der Zuchtstation, auf unserem Raumschiff und auf Schlachtfeldern. Ich habe in der kurzen Zeit, die ich bisher hier bin, 17364 wissenschaftliche Artikel über Bäume gefunden. Wenn die Wissenschaftler daran so viel zu forschen finden, können sie doch nicht erwarten, daß ich in einer halben Stunde alles angesehen habe, was es an einem Baum interessantes zu sehen gibt!" antwortete er.
So amusant und im Grunde logisch dieses Argument war, erklärte das trotzdem nicht wirklich diese seltsame Reaktion.
"Wie sie sehen können, mausert sich Saman gerade zum Botanikprofessor. Für so etwas braucht man nun einmal ein profundes Interesse für Bäume." sagte Tanan, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, daß man eine halbe Stunde vor einem Baum stehenbleibt und davon nicht loszueisen ist.

Ich nahm mir also im Laufe der nächsten Tage diese Kleinkinder vor, die der Techniker für hochbegabt hielt und stellte fest, daß Talis tatsächlich eine Allgemeinbildung hatte, wie man sie von einem Abiturienten erwartet. Auch Mera könnte man tatsächlich sofort auf das Gymnasium schicken.

Bis er den Palast verlassen mußte, um den König auf die Reise zu den Bündnisverhandlungen zu begleiten, nahm Tanan seinen 100 offiziellen Schülern durchweg die Abiturprüfung für seine Fächer ab. Einige seiner älteren Schüler bekamen auch abgeschlossene externe Prüfungen für Studienabschnitte der örtlichen technischen Universitäten bescheinigt. Die beiden besten hatten das Zeugnis für ein abgeschlossenes Studium in der Tasche, obwohl sie noch nicht alt genug waren, um den Palast zu verlassen. Außerdem bescheinigte Tanan diversen Grundschülern, daß sie in der kurzen Zeit, die sie bisher bei ihm gelernt hätten, mehr als den für diese Zeit normalen Schulstoff bewältigt hatten. Nur hatte ich gar nicht gewußt, daß er sich auch um die kümmert. Wann hatte er das alles gemacht?

Ich erkundigte mich bei dem Professor, der die Prüfungen abgenommen hatte, was das denn gewesen sei.
"Das weiß ich nicht." antwortete der Professor, "aber das Palastgehirn Geron vom Silbersee hat die Schüler für externe Prüfungen angemeldet und sie haben sie anstandslos bestanden. Die praktischen Prüfungen hat der Palasttechniker abgenommen und diese Techniker von der Zuchtstation stellen sowieso zu hohe Anforderungen, daher konnte ich nicht behaupten, das Niveau wäre zu niedrig gewesen."
Ich fragte also Tanan warum er die Prüfungen noch nicht früher abgenommen hatte.
"Ich wußte doch nicht, daß die Abiturprüfungen auf dem Niveau sind, bei dem wir in die Schule kommen!" antwortete er.
"Salich, der alte Techniker war aber nicht so extrem." sagte ich.
"Der war ja auch nicht gezüchtet und ist deshalb normal intelligent." antwortete Tanan.
Ich fragte mich, wo er die Arroganz hernahm. Immerhin war Salich ein illegitimer Halbbruder des Königs und hatte ein abgeschlossenes Universitätsstudium gehabt, was Tanan nicht hatte.

Kersti

Fortsetzung:
F1603. Tanan LZB45-321-37: Ich fragte die Prinzessin was denn los war und wurde angefahren, daß ich sie endlich wegbringen sollte
F1806. Turin vom hohen Licht: Auf der Reise zur Zuchtstation besprach ich mit meiner Frau, daß wir zwei weitere Kinder mit zurück nach Hause nehmen wollten

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben