erste Version: 1/2021
letzte Bearbeitung: 2/2021

Ägyptische Priesterleben: Ägyptische Priesterleben - Das Recht auf eigene Gefühle

F1983.

Als ich Keon fragte, ob er mich haßt oder liebt, bekam ich ein Gefühl von Verwirrung zurück und er fragte sich, ob man nicht immer gemischte Gefühle hat

Vorgeschichte: F1982. Kersti: Wenn Ern mit ihnen redete, konnte man die Novizen beinahe bemitleiden

Ern erzählt:
Nach dem halben Jahr Ausbildung reiste ich zusammen mit Khumar zu den Hingabetempeln, um dort zu entscheiden welche der dort ausgebildeten Sklaven die richtigen für den Tempel des Schweigens waren. Mir gefiel diese Aufgabe gar nicht, aber mir war klar, daß ich wirklich nur die fortgeschrittensten Schüler auswählen konnten, denn sie brauchten die Fähigkeit, sich telepathisch verständigen zu können, um nicht totunglücklich zu werden, wenn man ihnen die Zunge herausschneidet.

Einer der Tempel, den wir besuchten, war natürlich der, in dem ich selbst ausgebildet worden war. Ich hatte äußerst gemischtge Gefühle, als ich dort ankam und keine Zeit, mit mir dazu wirklich in Reine zu kommen, denn Keon kam mir am Tor des Tempels entgegen und sagte mir, daß er sich gefreut hatte, daß ich einen echten Priesterang errungen hatte und daß er sehr stolz auf mich wäre, was meinen sowieso schon widersprüchlichen Gefühlen noch ein paar mehr widersprüchliche Gefühle hinzufügte.

Er bemerkte das sofort und fragte mich, ob ich mich zuerst in mein Zimmer zurückziehen wolle.
Ich lächelte ihm zu und antwortete:
*Nein. Wenn ich meine Gefühle beiseiteschieben will, schaffe ich das sofort, aber ich hätte eigentlich lieber ein paar Antworten auf diverse Fragen, die sich im Laufe der Jahre so in mir angesammelt haben und die ich mich früher nicht zu stellen gewagt hätte.*
Jetzt wirkte er verwirrt, als hätte ich etwas völlig Unerwartetes gemacht. Ich wurde aus seiner Verwirrung nicht ganz schlau, aber er gab einem der anwesenden Sklaven die Anweisung etwas für uns in einen bestimmten Raum zu bringen und führte uns dann da hin, wo er Gäste normalerweise empfängt. Ich stellte ihm meine Begleiter vor und bemerkte, daß er unsicher wurde.
*Soll meine Stimme übersetzen?* fragte ich.
Ich spürte einen Schwall von Erleichterung und auf meinen geistigen Wink hin übersetzte Miran und fragte dann, ob noch mehr von der Kommunikation unklar geblieben sei.
"Welche Fragen hatte Ern mir stellen wollen?"
"Das hat er noch nicht verraten, aber ich kann es mir vorstellen, denn ich habe wahrscheinlich ziemlich dieselben Fragen." antwortete Miran und übersetzte dann, daß ich mir vorgestellt hatte, daß wir uns zuerst in entsprannter Runde hinsetzen, da es sich tatsächlich um viele Fragen handelte.
Auf meine Frage erklärte er mir, daß es ihn verwirrt und verunsichert hatte, daß ich wie selbstverständlich von ihm erwartet hatte, daß er die Gedankensprache versteht. Ich erklärte ihm daraufhin, daß ich davon ausgegangen bin, daß er das kann, weil er mich, als ich noch hier war, ziemlich schockiert hatte, indem er jeden meiner Gedanken mitbekommen hatte. Ich fragte ihn, ob ihn denn niemand so trainiert hatte, daß er sich dieser Fähigkeit sicher war. Er warf mir einen Blick zu, als hätte ich etwas ganz Schockierendes gesagt und fragte sich dann, was sich eigentlich im Tempel geändert hatte. Khumar lachte daraufhin und meinte, daß er sich nicht sicher gewesen sei, daß er es beherrscht, bis Iskan von ihm einfach verlangt hat, daß er sich mit ihm nur in der Gedankensprache unterhält.
"Ern hat bei den Novizen völlig neue Maßstäbe gesetzt. Die können das nämlich alle!" sagte er.
Ich bat Keon, normalerweise die Gedankensprache zu benutzen, da ich es vorziehe, selber zu sprechen. Er könne aber selbstverständlich nachfragen, wenn er meint, etwas nicht richtig verstanden zu haben und wenn ich den Eindruck hätte, mißverstanden worden zu sein, würde ich Miran, meine Stimme, bitten, das Entsprechende laut auszusprechen. Im Laufe meines Besuchs stellte sich heraus, daß Keon nur zwei oder drei mal Rückfragen stellte und ich war überhaupt nie der Ansicht gewesen, ihm etwas genauer erklären zu müssen. Er war nur unsicher gewesen, hatte die Gedankensprache aber eigentlich beherrscht.

Als ich Keon die Frage stellte, ob er mich haßt oder liebt, bekam ich ein Gefühl von Verwirrung zurück und er fragte sich, ob man nicht immer gemischte Gefühle hat, als würde man jeden Menschen ebensosehr hassen wie lieben. Das erklärte Einiges. Dann war also meine Verwirrung daraus entstanden, daß er völlig verwirrte Gefühle hatte. Ich gab ihm Beispiele für die Gefühle, die ich zu verschiedenen Menschen hatte und zeigte ihm, daß sie normalerweise sehr konstant waren. Nur auf seine widersprüchlichen Gefühle hatte ich mit vergleichbar widersprüchlichen Gefühlen reagiert. Damit war für mich die Angelegenheit irgendwie geklärt. Er war durcheinander und brauchte Hilfe bei der Klärung seiner Gefühle.

Ich fragte ihn aber dennoch im Verlauf meines Aufenthalts, warum er die verschiedenen Dinge gemacht hatte, und warum er in vielem so grausam gewesen war. Er erklärte mir, daß er doch gewollt hatte, daß wir im Tempel des Schweigens zurechtkommen, ohne daran innerlich zu zerbrechen und wenn er weniger harte Ausbildungsmethoden gewählt hätte, hätte das sicher nicht funktioniert. Ich sagte ihm, daß ich seine Logik verstehe, denn ich hatte bei ihm tatsächlich eine Selbstbeherrschung gelernt, ohne die ich mit den grausamen Erfahrungen im Tempel des Schweigens nicht fertiggeworden wäre. Trotzdem glaube ich, daß Besseres mit weniger harten Strafen möglich ist. Ich erzählte ihm, wie ich die adeligen Novizen mit dem Entzug eines Nachtischschälchens so weit gebracht hatte, daß sie zuverlässig ihre Meditationsübungen machen.

Daraufhin kam von ihm Kummer. Ich fragte nach und er erklärte mir, daß er vom Tempel des Schweigens verstoßen worden war, weil die ihn für zu unausgeglichen und grausam erklärt hatten. Dabei wären viele von ihnen viel grausamer und würden Sklaven ohne jeden Grund so bestrafen und quälen, daß sie daran kaputtgehen und die dürften nicht einmal fühlen, daß ihnen das nicht gefällt. Ich stimmte ihm zu, daß das ganz meine Meinung wäre, deshalb hätte ich meinen Schülern das Sklaven bestrafen verboten. Von Keon kam ein Gefühl von Glück, Liebe und Bewunderung für mich. Er schien mich auch ganz schön frech zu finden.

Miran erzählte daraufhin sehr amusiert diverse Details aus der Gerichtsverhandlung. Keon sah mich mit großen Augen an, ich spürte, daß er mir so etwas nie zugetraut hätte und eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Bewunderung. Ich erklärte, daß ich fest geglaubt hatte, daß ich sowieso hingerichtet werde und wenn das schon so ist, so hatte ich mir gedacht, wollte ich all diese Dinge wenigstens einmal gesagt haben. Und dann hatte mich der Pharao völlig verwirrt, indem er mich zum Lehrer seines Sohnes gemacht hatte, statt mich den Krokodilen vorzuwerfen.
*Ich glaube, die Verwirrung war gesund.* dachte Keon, *Du bist jetzt viel glücklicher, ausgeglichener und selbstbewußter als damals als du zum Tempel des Schweigens geschickt wurdest.*
Ich war über mich selbst erstaunt, wie glücklich ich war, daß mir Keon dieses Glück gönnte und wünschte. Ich hatte wirklich sehr verwirrte Gefühle zu ihm gehabt, wenn ich mir das so überlege.

Ich erinnerte mich, daß Keon mich nie bestraft hatte, weil ich den falschen Befehlen gefolgt war.
*Haben die das im Tempel denn gemacht?* fragte er.
Ich erinnerte mich an die vielen sinnlosen Strafen und daran, wie sie mich schließlich dazu eingesetzt hatten, die Schmerzen der Kranken an mir abzustreifen. Und dann kam Khumar und alles wurde besser.

Als ich wenige Tage später zum nächsten Tempel aufbrach, merkte ich, daß die Gespräche mit Keon viel für mich geklärt hatten. Keon mochte einen Haufen Macken haben, aber er hatte mich wirklich gern und wünschte mir nur das Beste.

Miran würde nach dieser Reise nicht mehr meine Stimme sein und er hatte das große Los gezogen: Er durfte auch seine Zunge behalten, weil ich ihn in diesem halben Jahr in der Ausbildung weit genug gebracht hatte, daß er mit den Lichtkristallen arbeiten konnte. Ich wählte mir den begabtesten Sklavenjungen, den ich finden konnte, als meine neue Stimme aus und hoffte, daß ich mit ihm dasselbe erreichen konnte.

Kersti

Fortsetzung:
F1984. Kersti: D

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben