F2392.

Ich bekahm eine Ahnung dafür, was die frühen Christen dazu verführt hatte, Märtyrern nachzueifern

Vorgeschichte: F2391. Kersti: D

Hans Hermanns Vater erzählt:
Der wöchentliche Brief meines Sohnes blieb aus. Ich hatte ihm erklärt, daß es wichtig ist, daß er mir regelmäßig und pünktlich schreibt, damit ich es merke, wenn etwas im Argen liegt, bevor er ein richtiges Problem hat. Manchmal ist ein nicht angekommener Brief das einzige Zeichen einer Gefahr, das rechtzeitig kommt. Er hatte immer sehr pünktlich geschrieben.

Ich habe etwa zu der Zeit, wo er normalerweise schrieb, einen Brief von einem Kameraden meines Sohnes erhalten, der mir mitteilte, daß Hans Hermann in seinem Zimmer eingesperrt sei und niemand wüßte warum. Es dürfte auch niemand mit ihm reden, nicht einmal der, der ihm das Frühstück bringt. Der Brief war nicht offiziell in der Kaserne abgeschickt worden, sondern in einem kleinen Dorf nahe der Heimat des Jungen. Die Absenderangabe war sehr unleserlich, so daß niemand darauf gekommen wäre, wer der Sender war. Erst innen hatte der junge Mann sich zu erkennen gegeben, das aber nicht direkt, sondern über eine Andeutung zu einer Situation, als ich ihn mal gesehen habe. Offensichtlich fürchtete er also, bestraft zu werden, wenn die Kontaktaufnahme herauskäme.

Der zweite Brief blieb auch aus, so daß ich jetzt handeln konnte, ohne zugeben zu müssen, daß ich gewarnt worden war. Ich fragte also höflich in der Kaserne an, warum mein Sohn nicht hätte schreiben können. Gleichzeitig wandte ich mich an diejenigen meiner Freunde, die in der Lage wären, Druck auf den König auszuüben und traf mich mit den wichtigsten von ihnen, um ihnen die Lage zu erklären. Das waren alles alte Kriegskameraden.

Die Antwort des Vorgesetzten aus der Kaserne war höflich, enthielt aber eine Andeutung, die es mir kalt den Rücken herunterlaufen ließ. Dort stand nämlich, daß mein Sohn ebenso stattlich und hochgewachsen wäre, wie die Langen Kerls, über die in der Armee immer Geschichten umgingen, in denen es hieß, sie wären der Harem des Königs. Die häßlicheren Geschichten handelten davon, wie der König unwillige Bauernjungen verschwinden ließ, so daß man nie wieder etwas von ihnen hörte.

Ich besuchte den Vater des Kameraden und fragte ihn, ob er etwas von meinem Sohn gehört hätte. Er sagte mir, er hätte seinem Sohn geraten, mir den Brief in dieser Form zukommen zu lassen. Der Junge sei nun wieder im Palast, aber er könne mir noch mehr erzählen. Das, was ich hörte, gefiel mir nicht. Niemand wußte, warum mein Sohn eigentlich Ärger bekommen hatte, aber er wurde völlig von allem und jeden isoliert. Ich fragte mich, was er für ein Geheimnis wußte, daß solche Maßnahmen ergriffen wurden, damit er bloß nicht darüber reden konnte. Es mußte ein peinliches Geheimnis sein und nicht für meinen Sohn!

Alexander Hermann von Wartensleben, einer von den höchsten Offizieren des Königs schrieb mir auf meine Fragen nach meinem Sohn, ich solle zwar regelmäßig höfliche Anfragen nach meinem Sohn stellen, aber mich sonst zurückhalten. Er würde sich der Angelegenheit annehmen und mir Bescheid sagen, wenn weitere Maßnahmen helfen würden. Darüber was eigentlich das Problem war, sagte er nichts. Er schrieb mir bei der zweiten Nachricht, der König hätte meinem Sohn die Rationen gekürzt, aber nicht in gefährlichem Ausmaß, ich wüßte ja, wie lange man ohne Essen auskommen könne. Der Satz gefiel mir nicht. Ich solle die Nerven bewahren, er würde das Problem schon klären. Und dann nach fast zwei Monaten schrieb er mir, ich solle zum Palast kommen und verlangen, meinen Sohn zu sehen, was ich auch sofort tat.

Als ich da war und das tat, wurde mir gesagt, ich solle wiederkommen, ich könne ihn am nächsten Tag sehen. Als ich dort erschien, ließen sie mich in einem Nebenraum des Offizierskasinos auf ihn warten. Kurz nachdem sie gegangen waren, öffnete sich die Tür erneut und er trat ein. Er wurde von einem Mann in der Uniform der Langen Kerls begleitet, der neben der Tür Haltung annahm und dort blieb. Hans Hermann blieb zuerst in der Tür stehen und schien überrascht, mich zu sehen. Dann lächelte er und mein erster Gedanke zu diesem Lächeln war:
"Er hat die Ausstrahlung eines Heiligen."
Dann war ich verwirrt über mich selbst. Wie kam ich ausgerechnet auf diesen Gedanken? Ja, er wirkte irgendwie würdevoll und in sich ruhend. Er hatte ein sehr liebevolles Lächeln. Aber Heiliger? Ich stand auf, um ihn zu begrüßen und da wir einen Zuschauer hatten, gaben wir uns die Hand, statt uns in die Arme zu fallen, wie das meiner Gefühlsage entsprochen hätte, nach den Sorgen, die ich mir um meinen Sohn gemacht hatte. Dabei merkte ich, daß er sich auf die Begegnung vorbereitet hatte. Er hatte einen verborgenen Zettel in der Hand, die er mir gab, den ich so unauffällig in der Hosentasche verschwinden ließ, wie er ihn mir übergeben hatte.

Knochig war er geworden, aber sein Händedruck war fest und ruhig. Fester, als ich ihn von früher kannte. Ich hatte etwas zu essen bestellt und er griff herzhaft zu, aß dabei aber ohne jegliche Hast.
"Na und ich dachte schon, im Palast wäre eine Hungersnot ausgebrochen." kommentierte er.
Er war der einzige, der über diesen Witz lachen konnte, denn was er über diese Monate erzählte war beklemmend. Er sagte, daß er nicht damit gerechnet hätte, am Leben zu bleiben und daß was immer ich getan hatte, um ihn sehen zu können, ihm sehr wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Und ich dachte an ihn, den ich als kleinen Jungen für zu zart gehalten hatte, zu sanft, um Offizier zu werden. Ich hatte daher vorgehabt, ihn eine zivile Karriere machen zu lassen. Ein alter Kamerad war anderer Meinung gewesen, sagte, ich würde mich in meinem Jungen täuschen und jetzt sah ich, daß er recht gehabt hatte. Sicherlich hätten diese Wochen des Hungers und der Einsamkeit viele junge Leute gebrochen, in meinem Sohn hatten sie nur den Falken enthüllt, der immer schon in ihm gesteckt hatte. Er schien sehr in sich zu ruhen und mit sich im Frieden zu sein. Ich fragte ihn, was er denn in dieser Zeit gemacht hätte und er meinte, er hätte viel gebetet und Gott hätte ihm Antwort gegeben. Er hätte ja auch reichlich Zeit dazu gehabt.
"Und das sagt der Junge, der immer mit der Ausrede ankam, er hätte keine Zeit zum Beten gehabt!"
"Ja. Es heißt ja auch bete und arbeite und nicht etwas bete oder arbeite! Nun ja und beides ist nicht immer einfach übereinzubringen, aber wie gesagt, diesmal hatte ich reichlich Zeit zu beten."
Na, eigentlich hatte er als Kind nur nicht mit dem spielen aufhören wollen. Kinder halten ihre Spiele ja immer für die wichtigste Tätigkeit, die es auf der Welt gibt. Ich sah in ein lächelndes Gesicht und hatte ein Gefühl, als würde er von innen heraus leuchten. Ich bekahm eine Ahnung dafür, was die frühen Christen dazu verführt hatte, Märtyrern nachzueifern. Ich sage verführt, denn selbstverständlich ist es nicht Sinn der Übung, sich sinnlos in Gefahr zu bringen. In einer solchen Gefahr werden viele Seelen gebrochen und leiden viele Leben unter den gemachten Erfahrungen und ein paar wenige zeigen, daß schon immer eine Kraft in ihnen gesteckt hat, die niemand ihnen zugetraut hätte. Diese Kraft war aber vorher schon da. Niemand braucht es, zum Märtyrer zu werden.

Kersti

Fortsetzung:
F2393. Kersti: D

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben