F2404.

"Paß mir auf meinen Jungen auf."

Vorgeschichte: F2396. Hans Hermann von Katte: Ich stand vor der Doppelreihe an Soldaten für das Spießrutenlaufen und fragte mich, wie ich zu der Ehre kam

Der Vorgesetzte erzählt:
Der Vater von Hans Herrmann von Katte hatte mir dasselbe geschrieben wie sein höchster Vorgesetzter.
"Paß mir auf meinen Jungen auf."
Für den Prinzen schien sich dagegen niemand zu interessieren, wenn man mal davon absieht, daß der König dem Leiter der Kaserne offensichtlich den Befehl erteilt hatte, dem jungen Mann, wann immer möglich, die unangenehmste Aufgabe zuzuteilen, die zu finden war. Anders kann ich mir nicht erklären, wie er sonst zu all diesen Pflichten kam, die niemand gerne erledigt.

Und dann stellte ich fest, daß für den jungen von Katte noch wesentlich Schlimmeres vorgesehen war als lediglich unangenehme Pflichten. Mit einer völlig fadenscheinigen Begründung wollte der Kasernenleiter ihn durch einen Spießrutenlauf hinrichten lassen, brach das aber ab, bevor der junge Mann ganz tot war. Ich fragte mich dann, was ich dem Vater schreiben soll, denn natürlich mußte ich ihn von der Angelegenheit unterrichten.

Mir gefiel gar nicht, daß ich den jungen Mann nicht nach Hause schicken konnte, weil er nicht transportfähig war. Hans Herrmann von Katte schwebte wochenlang zwischen Leben und Tod. Es dauerte lange, bis er wieder zur Besinnung kam und dann schien er auch nicht ganz da zu sein. Der Prinz versuchte ihn abends persönlich zu füttern und verbrachte überhaupt jede freie Minute am Krankenbett. Endlich begann ich zu hoffen, daß er wieder auf die Beine kommen könnte, weil der Gesundheitszustand langsam stabiler wurde. Es wurde befohlen, den Kranken vom Lazarett in sein eigenes Zimmer zu verlegen, angeblich wegen der Ruhe.

Dann stellte ich fest, daß mein lieber Herr Vorgesetzter auf die Farce noch einen drauf gesetzt hatte, indem er dem jungen Mann, bevor der Arzt ihm das aufstehen erlaubt hatte, befohlen hatte, zum Dienst zu erscheinen. Ich befahl ihm zu Bett zu gehen und den alten Herrn an mich zu verweisen, sollte er wieder mit so einem Ansinnen aufkreuzen.

Zur Sicherheit sah ich täglich nach dem Rechten und befahl dem Arzt dasselbe. Dabei erfuhr ich, daß der Junge seltsame Alpträume haben mußte, denn er redete im Schlaf und was er sagte, klang nach Krieg. Dabei hatte er keine Kriegserfahrung! Ich erfuhr auch, daß der Prinz trotz seiner unangenehmen Pflichten tägliche Krankenbesuche machte, ganz gleich ob er müde war oder was sonst gewesen war, für seinen Fechtlehrer fand er immer Zeit.

Ich mußte einfach wissen, was da los war, daher redete ich mit dem jungen Katte, sobald der Arzt meinte, daß er ein solches Gespräch durchhalten würde und fragte ihn, ob er eine Ahnung hätte, was eigentlich los sei. Der Arzt hatte ja bezweifelt, ob der junge Mann wieder ganz da sei und als Begründung hatte er mir erzählt, er hätte ihn am Vortag angeknurrt, als wäre er ein Wolf. Das Problem hätte sich aber mit gut zureden lösen lassen. Als ich den Jungen fragte, ob er wüßte, woran es läge, daß man es so auf ihn abgesehen hätte, fragte er als allererstes ab, in welches und wie viel Geheimwissen ich eingeweiht bin. Erst nachdem ich zu seiner Zufriedenheit bestätigt hatte, daß er reden durfte, begann er zu reden. Aus meiner Sicht war er also wirklich ganz da.

Leider tat das meinem Seelenfrieden nicht besser, als hätte er hartnäckig den Mund gehalten oder wie ein Irrer gewirkt, dann das, was er zu erzählen hatte, war verstörend aber gleichzeitig so gelassen und durchdacht vorgebracht, daß ich es nicht von der Hand weisen konnte. Der König hatte es gewagt, sich an ihm, einem Ritter unseres Ordens zu vergreifen und als Hans Herrmann ihm daraufhin jm Reflex eine Ohrfeige gab, hatte er ihn einige Wochen hungern lassen und ihm dann auf theatralische Weise eine Hinrichtung angedroht. Glücklicherweise hatte damals der Einfluß unseres Ordens ausgereicht, um ihn dem König aus den schmutzigen Fingern zu winden.

Leider war das nur der Anfang der Geschichte. Infolge dessen faßten die Langen Kerls Vertrauen zu ihm und bei ihnen war es nicht bei den sexuellen Belästigungen geblieben, die jeder dort vermutete, sondern diejenigen, die sich in den ersten vier Wochen nicht fügten, wurden in schwarzmagischen Ritualen den dunklen Göttern geopfert. Nachdem sich Katte eine solche Geschichte einmal angehört hatte, ohne sie den falschen Leuten zu erzählen, sprach sich das herum und führte dazu, daß diverse andere Lange Kerls ihm ebensolche Geschichten erzählt haben. Mir war von unserem dortigen Kapitel so etwas schon geschrieben worden, aber es von jemanden zu hören, der so viele Augenzeugenberichte dazu zu hören bekommen hatte, war doch etwas völlig anderes als die kurze sachliche Zusammenfassung, die ich bis jetzt zu lesen bekommen hatte. Man fühlt sich gleich drei mal so machtlos.

Dieses Machtlosigkeitsgefühl war wohl auch sein Hauptproblem danach. Jedenfalls erzählte er mir, er hätte zwar darauf geachtet, daß das keiner bemerkt, aber sich letztlich teilweise benommen wie ein pubertierender Jugendlicher. Außerdem hätte er trotz Palastarrest zusammen mit dem Prinzen Ausflüge außerhalb des Palastgeländes unternommen, obwohl ihm durchaus bewußt gewesen sei, daß der König ihm das als Desertation ausgelegt hätte, wäre es herausgekommen. Er hätte es einfach nicht ausgehalten, immer brav zu sein, während der König so etwas tut. Wahrscheinlich wäre er von Haus aus einfach nicht ängstlich genug, um vernünftig zu sein. Das hatte ich tatsächlich gewußt. Der Leiter unseres Ordenskapitels im Palast hatte mir das berichtet, mit der Maßgabe, aufzupassen, daß er nichts Dummes tut. Aber im Grunde fiel mir unter den Umständen nur eines ein, was ich tun konnte, um das zu verhindern, nämlich irgendwie etwas von dem Druck wegzunehmen, unter dem der junge Mann stand. Ich mußte nur sehen, daß ich mich selbst damit nicht in Gefahr brachte.

Dann kamen wir auf den Prinz und ich stellte fest, daß es doch einen Menschen auf der Welt gab, der sich um den Prinzen Gedanken machte.
"Der Prinz ist in Ordnung." war beinahe der erste Satz, den er über seinen Fechtschüler sagte und hielt mir dann einen Vortrag über den guten Charakter und all die positiven Eigenarten des Prinzen. Ich hatte keinen Anlaß, ihm zu widersprechen, denn der Prinz hatte mich selbst positiv beeindruckt, sowohl darin, wie er seine Pflichten erfüllte, als auch darin, wie regelmäßig er den verletzten von Katte besuchte. Bei seinen Offizierskameraden war er ebenfalls beliebt. Als nächstes erfuhr ich dann, daß der junge von Katte sich auch über den König aufregte, weil dieser grausam zu seinem eigenen Sohn war.
"Überleg mal. Erst hat er mich fast verhungern lassen und mich dann zum Fechtlehrer seines Sohnes gemacht. Ich an seiner Stelle hätte Angst gehabt, daß ich den Jungen umbringe!"
Das hätte ich allerdings auch, sagte aber:
"Stattdessen hältst du mir einen Vortrag über den guten Charakter des Kronprinzen."
"Ja. Ich mache doch ein Kind nicht für die Taten der Eltern verantwortlich! Trotzdem bin ich überzeugt, daß der König mich bei weitem nicht für so moralisch hält, wie ich bin. Er hat jedenfalls ständig versucht, mich für seinen schwarzmagischen Orden anzuwerben."
Das war natürlich ein Argument. Und davon wußte ich auch von unserem Kapitelmeister. Außerdem wußte ich auch das, was er mir als nächstes erzählte, nämlich daß es offensichtlich einen schwarzmagischen Angriff auf den König gegeben hatte und daß der zusammen mit seinen Schwarzmagiern von Katte dafür verantwortlich gemacht und unseren Orden dafür angegriffen hatte. Allerdings war es wieder etwas ganz anderes, das von Hans Hermann von Katte persönlich zu hören.
"Sie konnten mir nichts nachweisen, aber ich glaube nicht, daß sie mir geglaubt haben, daß ich es nicht war. Sonst kann ich mir nicht erklären, warum ich so kurz nach dieser Angelegenheit dieses unbegründete Urteil zu einem Spießrutenlauf bekommen habe und warum das schon wieder mit einem schwarzmagischen Angriff gekoppelt war, so weit ich das nach meinen Träumen beurteilen kann." schloß er.
Da konnte ich ihm nicht widersprechen.

Hans Hermann von Katte bat mich, ein wenig freundlich zu dem Prinz zu sein, weil das sonst niemand wäre.

Ich dachte mir, daß sie beide das nicht verdient haben, daß ich so über sie denke, aber was mir da vor die Füße gespült worden war, kam mir wie ein größeres Problem vor, als ich lösen konnte.

Kersti

Fortsetzung:
F2403. Kersti: D

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben