F2407.

"Ich hatte einen kleinen Ringkampf mit dem König." antwortete er

Vorgeschichte: F2406. Hans Hermann von Katte: Ich war erstaunt, als der König in in den Waschräumen erschien

Alexander Hermann von Wartensleben erzählt:
Hans Hermann von Katte kam in das Offizierskasino und hatte ein beeindruckendes blaues Auge. Wäre ich nur nach seinem Verhalten gegangen, hätte ich angenommen, es wäre nichts Außergewöhnliches passiert. Nur wußte ich inzwischen, daß er sich völlig normal verhalten konnte, nur um bei der nächsten privaten Begegnung die nächste Ungeheuerlichkeit über den König zu erzählen, von der er erfahren hatte oder die er erlebt hatte. Ich fragte mich, wie er diese perfekte Fassade hinbekam!

Ich winkte ihn in einen privaten Nebenraum und fragte ihn, während wir aßen, nach den blauen Flecken.
"Ich hatte einen kleinen Ringkampf mit dem König." antwortete er.
Ich sah ihn irritiert an. Es war beim Kampftraining nicht üblich, so etwas zuzulassen. Doch ehe ich weiter nachfragen konnte, erzählte er, daß dieser Mistkerl von König offensichtlich versucht hatte, ihn beim Waschen zu vergewaltigen. Im Gegensatz zu den meisten solchen Geschichten, die ich bis jetzt gehört hatte, hatte er in diesem Fall keinen Erfolg gehabt.
"Schade daß der Junge den König nicht noch mehr verprügelt hat!" dachte ich im Stillen, sprach das aber nicht aus. Hans Hermann sagte selbst, daß er Angst hatte, daß sein Temperament mit ihm durchgeht und ihn auch noch anzustacheln, wäre daher ein Fehler.
Daß er das Problem beim Namen nannte, war jedenfalls neu. Allerdings hatte ich vorher schon gewußt, daß er dem König eine Ohrfeige gegeben hatte, als dieser ihm zwischen die Beine gefaßt hatte. Es war nicht bei dieser einen Ohrfeige geblieben. Nur hatte er darüber nicht reden wollen. Als ich fragte, warum er jetzt plötzlich erzählt, was los ist, erklärte er mir, daß er dem König gesagt hätte, daß er sich nicht mehr an sein Ehrenwort gebunden fühlt, wenn dieser seine Finger nicht bei sich behält denn das eine sei die Bedingung für das andere gewesen.

Katte stellt dem König also Bedingungen! An Selbstbewußtsein mangelt es ihm wahrlich nicht. Der junge Katte war wirklich so ein "Ich löse meine Probleme selbst"-Herr, der selbst dann, wenn andere längst vollständig an der ausweglosen Situation verzweifelt wären, immer noch selbstbewußt wirkt. Seine Anspannung merkt man nur daran, daß er immer abfälliger über den König redet. Es dauert wahrscheinlich nicht mehr lange, bis er ihn mit einer etwas zu groß geratenen Kakerlake verwechselt. Ich hatte anfangs befürchtet, daß er die Situation falsch einschätzt, hatte aber nach und nach gemerkt, daß er seine Situation als so heikel sah, wie ich sie einschätzte.

Dann fragte ich ihn nach seinem Fechtschüler, denn der hatte sich echt ungezogen verhalten.
"Ach weißt du, der ist in Ordnung." sagte er und grinste mich an.
Ich fragte nach der Geschichte, wo der Prinz ihn mitten während einer Parade mit kleinen Weitwurfbällen beworfen hatte.
"Ich muß zugeben, das war meine Idee. Nicht die Geschichte mit der Parade aber die mit den Bällen und ich habe ihm schon gesagt, daß es für mich ruhig peinlich werden darf."
Ich zog die Brauen hoch.
"Ich wollte damit gleich mehrere Probleme lösen. Zunächst einmal glaube ich nicht, daß es für einen von uns gut wäre, wenn der König wüßte, wie gut ich mich mit dem Prinzen verstehe."
"Nein." dachte ich mir, "So schlecht, wie er sich mit seinem Sohn versteht, würde der König dahinter gleich Hochverrat vermuten."
"Dann ist er dermaßen gelangweilt bei Fechtunterricht erschienen, daß ich mir dachte, ich muß etwas für seine Motivation tun. Also habe ich ihn zuerst blamiert und ihm dann gesagt er darf mich mit Ballwürfen in peinliche Situationen bringen. Und nachher gab es dann noch eine Manöverkritik." erklärte er mir.
"Du Lausbub." sagte ich und erklärte ihm, daß ich aber nicht fand, daß der Junge sich bei dieser legendären ersten Fechtstunde blamiert hätte. Alle seien sich nur einig gewesen, daß er ihn viel zu hart rangenommen hat.
"Das habe ich ihm auch erklärt. Trotzdem hat er mir gesagt, er hätte mir am liebsten einen Stein an den Kopf geschmissen und dann habe ich ihm die Bälle gegeben, da Steine ja eine zu hohe Verletzungsgefahr bergen. Nun ja und dann war er halt wirklich motiviert, mich in eine peinliche Situation zu bringen." erklärte er und grinste.
Ich schüttelte innerlich den Kopf über diese Denkweise. Ich war überzeugt, daß der König nie darauf kommen würde, daß jemand so etwas machen könnte, weil es ihm nie passieren könnte, daß er über dieser Art von Peinlichkeiten steht. Da der junge Katte offensichtlich ein sehr stolzer Mensch war, würde er denken, daß ihm das wichtig wäre. Und daß es einem Menschen nicht um Äußerlichkeiten sondern um innere Werte gehen könnte, das konnte ein Mensch, für den Gewissen offensichtlich ein Fremdwort ist, nicht begreifen.

Nachher dachte ich noch einmal über das Gespräch nach und dachte mir, daß er ein sehr kluger junger Mann war. Die meisten jungen Leute lernen in der Kindheit kleine Ungezogenheiten vor ihren Eltern zu verbergen, um den Strafen zu entgehen. Darauf, daß es nicht klug ist, dieses Verhalten weiter zu pflegen, wenn man ein ernstes Problem hat, kommen sie jedoch nicht. Katte erzählte mir all die kleinen Unartigkeiten, die er sich gegenüber dem König erlaubte, weil ihm bewußt war, daß Kinder zwar für Unarten bestraft werden, daß man sie ihnen aber nie ernsthaft übel nimmt, weil es eben kleine Unarten sind. Das tat er, weil er wußte, daß ich das wissen mußte, um ihm im Zweifelsfall vor ernsten Strafen schützen zu können. Er sagte mir, er wüßte ja, daß das die Situation nicht verbessert, aber er würde sonst vor Wut platzen und wenn er die Beherrschung verliert, könnte das nur übel enden.

Damit hatte er absolut recht. Wenn man Menschen unter Druck setzt, können sie unterschiedlich reagieren. Es gibt Leute die dann zunehmend verängstigt sind und schließlich zu einem jammernden Bündel Elend werden, es kann aber auch sein, daß ein Mensch zunehmend wütend wird und dauerhaft kurz vor einer Explosion steht. Katte war die letztere Sorte, wie er mir versichterte. Wenn der junge Katte die Beherrschung verlieren würde, würde er eben keine Ohrfeigen mehr verteilen, denn er war bewaffnet und einer der besten Kämpfer, die wir hatten. Natürlich zieht man die Waffe normalerweise nicht, wenn man sich bei Hofe bewegt, aber man hat schon genau das trainiert und der junge Katte ist schnell. Wenn er plötzlich die Klinge zieht, ist der König tot, ehe sein Leibwächter eingreifen kann, das kann sich jeder ausrechnen, der ihn beim Training gesehen hat. Um den König wär es ehrlich nicht schade, weil er politisch zu viel kaputt macht, aber wir könnten dann unmöglich zugeben, daß wir so denken, also wäre Katte dann tot, unabhängig davon, ob der Leibächter ihn einen Kopf kürzer gemacht hätte oder ob es mit einer Hinrichtung endet.

Kersti

Fortsetzung:
F2419. Hans Hermann von Katte: Ich bin nicht der Typ, der tatenlos zusehen kann, wie jemand Kinder verprügelt

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben