Reinkarnationserinnerung - Helden leiden länger

FB2.

Der mißratene Sohn

Der Prinz stand in dem Zimmer, das bis vor wenigen Stunden noch das Arbeitszimmer seines Vaters gewesen war und sah mich an. Ich sah sein blasses, gefaßtes Gesicht und fragte mich, ob er schon wirklich begriffen hatte, was geschehen war. Ich meine - natürlich wußte er, daß seine gesamte Familie tot war. - Aber er machte den Eindruck, als wüßte es nur sein Kopf, als wäre es noch nicht wirklich in seinem Inneren angekommen. Dann wäre er vermutlich zusammengebrochen und das konnte er sich nicht erlauben. Noch nicht. Sobald er alles erledigt hatte, was er erledigen mußte, würde es ihn einholen.

"Was kann ich für dich tun?" fragte ich leise.
"Ich habe noch einen Bruder." sagte er.
Stimmt. An den Bruder hatte ich nicht gedacht. Der Mönch. Das mißratene Kind. Zumindest in den Augen des königlichen Vaters. Ich hatte bisher nichts Schlechtes über ihn gehört.
Ich nickte.
"Ich muß es ihm erzählen. Und ich möchte, daß du mich begleitest."
"Gut, dann sage ich den Gardisten Bescheid, die uns begleiten werden."
Er schaute mich erstaunt an. Offensichtlich hatte er vorgehabt, allein mit mir dorthinzureiten. Doch er protestierte nicht. Noch nicht. Das würde kommen, sobald ihm klarwürde, daß ich ihn nirgendwohin mehr ohne Wache gehen ließe.

Unterwegs redete keiner. Jeder der Männer hatte in dem Kampf Freunde verloren. Vielleicht auch einen Bruder oder Sohn. Mir tat die warme Abendsonne gut, die als einzige in der bedrückten Stille Wärme spendete.

Das Kloster lag einsam von seinen Feldern umgeben in der Wildnis. Als wir von den Pferden stiegen, wartete der Bruder des Königs schon an der Tür. Er hatte die bedrückte Stille sofort bemerkt und sah seinen Bruder fragend an. Ein paar Novizen führten die Pferde in den Stall.
"Was ist los, Geron?" fragte er, als sein jüngerer Bruder ihn nur schweigend anstarrte.
"Ich muß dir etwas erzählen." antwortete er.
"Dann komm in mein Haus, da können wir reden." sagte er und drehte sich in Richtung des Häuschens um, das er als Abt des Klosters bewohnte.

Ich gab den Männern einen Wink, daß wir alle mitgehen würden und sie gehorchen. Geron sah mich an, als wolle er mich erschlagen. Der Mönch zog die Augenbrauen hoch und sah mich erstaunt an:
"Ist es hier denn so gefährlich?" fragte er tadelnd.
"Heute ist fast die gesamte königliche Familie bei einem Attentat umgebracht worden. Wir wissen nicht, wer die Attentäter waren." antwortete ich.
Einen Augenblick sah er mich schweigend und schockiert an. Dann dachte er kurz nach und befahl:
"Dann können die Männer im Vorraum und vor dem Fenster Wache halten. Teri - du sagst der Küche bescheid. Sie werden Hunger haben nach so einem Tag."
Ich atmete auf, als ich diese ruhigen und vernünftigen Worte hörte. Es mußte schrecklich für ihn sein, was er zu hören bekommen hatte. Doch seine ruhige zuversichtliche Reaktion bewies, daß er in dem Jahr als Abt des Klosters gelernt hatte, an alles Wesentliche zu denken und die richtigen Befehle zur richtigen Zeit zu erteilen. Hier konnte ich mich entspannen.
"Erit, Schalar, ihr geht ans Fenster, Kariv, du sorgst dafür, daß sie alle halbe Stunde abgelöst werden. " befahl ich.
Die Männer nickten und gehorchten.

Kersti


FB3. Kersti: Fortsetzung: Du sollst einen Posten bekommen, der deinen Fähigkeiten entspricht
FB1. Kersti: Voriges: Das Attentat
FBI. Kersti: Inhaltsübersicht: Helden leiden länger
FB1. Kersti: Zum Anfang: Das Attentat
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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