Reinkarnationserinnerung - Helden leiden länger

FB6.

Ich weiß, ich bin nicht fair

Wir gingen zu Gared und sagten ihm, daß wir mit ihm sprechen müßten. Ich sah ihm förmlich an, daß er erwartete, selbst zum Gardehauptmann ernannt zu werden. Wie er bei diesen Worten strahlte und dann in sich zusammensank, als er hörte, daß ich diesen Posten bekommen sollte, auf den er ein halbes Leben lang hingearbeitet hatte. Und jetzt würde er vermutlich nie wieder eine Chance dazu bekommen, denn ich war erheblich jünger als er. Er sagte nichts, schlug nur schweigend die Hände vors Gesicht.

Ich trat zu ihm hin und legte ihm den Arm auf die Schultern. Still wartete ich, daß er sich wieder faßte. Nach Minuten des Schweigens sah er zu mir auf.
"Ich kann nicht behaupten, daß du den Posten nicht verdient hast. Ich erinnere mich, wie froh ich gestern war, die Verantwortung auf dich abschieben zu können."
"Ich weiß, welches Gespräch du meinst und wie verblüfft ich darüber gestern war. Aber ich glaube nicht, daß du dich gerecht beurteilst. Denn ich erinnere mich auch, wie ich abends ins Kloster kam. Und wie unendlich erleichtert ich war, als der Abt sofort die Situation erfaßte und die genau richtigen Anweisungen erteilt hat. Ich glaube, wenn alles so drüber und drunter geht wie gestern, ist absolut jeder heilfroh, wenn jemand die Verantwortung mit ihm teilt. Und mehr habe ich nicht gemacht. Du hast ebenfalls Befehle gegeben und sie waren ebenso vernünftig wie meine."
Ich sah ihm an, daß er mir nicht glaubte, daß das mein Ernst war. Er war immer noch der Ansicht, versagt zu haben und das als Strafe verdient zu haben.

"Tatsächlich hat sein Bruder ihm geraten, mich zum Hauptmann zu machen. Aber nicht wegen meiner Fähigkeiten als Hauptmann der Garde. Und nicht wegen irgendwelcher Fehler deinerseits. Sondern weil ich der Freund des Königs bin, weil ich ihn so sehr liebe, daß ich ihn notfalls eine Tracht Prügel geben und ihn ins Bett stecken würde, wenn er Dummheiten macht." sagte ich und sah zum König hinüber "So hattest du es doch gesagt, oder?"
Der König lächelte:
"Ja. So hatte ich es gesagt."
Gared sah zwischen uns beiden hin und her.

"Es ist eine Dummheit, jemanden nur wegen der Freundschaft einen solchen Posten zu geben."
"Es war nicht nur Freundschaft. Freundschaft auch, denn Freundschaft ist wichtig. Wenn ich den Posten aber nicht wirklich ausfüllen könnte, würde er mir damit, mich zum Hauptmann zu machen, einen sehr schlechten Dienst erweisen. Bevor der Bruder des Königs ihm diesen Ratschlag gab, hat er mich zur Seite genommen und mich über meine Rolle beim Attentat ausgefragt. Was er gehört hat, muß ihn überzeugt haben." erklärte ich.
Er begann es langsam ernst zu nehmen, doch konnte er es immer noch nicht so ganz glauben. "Das Problem ist, daß er ein halbes Kind angestellt hat, ein Kind zur Ordnung zu rufen. Und es wird nie funktionieren, wenn du mich nicht unterstützt. Sowohl, indem du hinter mir stehst als auch mit Rat und Tat. Und ich weiß, ich bin nicht fair. Erst nehme ich dir den Posten weg, auf den du ein halbes Leben hingearbeitet hast, und dann bitte ich dich auch noch um Hilfe, weil ich nicht daran glaube, diese Aufgabe erfüllen zu können. Aber bitte, hilf mir trotzdem." sagte ich.

Gared sah mich lange und schweigend an. Er dachte über vieles nach, fragte mich über die Entscheidungen aus, die ich am Vortag getroffen hatte. Schließlich nickte er ernst.
"Meine Unterstützung sollst du haben. Aber nicht weil ich meine, du würdest es nicht ohne mich schaffen, sondern weil ich überzeugt bin, daß du ein besserer Hauptmann sein wirst, als ich es jemals werden könnte."
"Danke!" sagte ich aus vollstem Herzen.
Ich war so erleichtert diesen Mann, den ich so achtete, nicht gegen mich zu haben. Und er hatte mehr Größe bewiesen, als die meisten es gekonnt hätten, indem er diese Entscheidung akzeptierte.

Gemeinsam gingen wir hinaus, damit der König verkünden konnte, daß ich neuer Gardehauptmann sein würde.

Kersti


FB7. Kersti: Fortsetzung: "Wir kennen uns doch"
FB5. Kersti: Voriges: Ich will, daß du mein Gardehauptmann bist
FBI. Kersti: Inhaltsübersicht: Helden leiden länger
FB1. Kersti: Zum Anfang: Das Attentat
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
Sonstiges
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