Reinkarnationserinnerung - Helden leiden länger

FB12.

Eine bessere Welt kann ich dir nicht herbeizaubern

In den nächsten Tagen hatte ich viel Zeit nachzudenken. Ich war zu schwach, um mehr als drei Schritte zu gehen und das konnte ich auch nur, wenn mich jemand stützte. Also lag ich die meiste Zeit im Bett. Mein Arm - also der, den ich nicht mehr hatte, brannte die meiste Zeit so stark, daß ich nicht schlafen konnte, auch wenn Schlaf mir sicher gut getan hätte. Ich konnte jeden Finger fühlen. Es war, als hätte ich statt dessen einen Arm aus Feuer bekommen. Also bat ich den Arzt darum, mir irgendwelche kleinen Arbeiten zu tun zu geben, um wenigstens etwas Ablenkung von den Schmerzen zu haben. Immerhin nahm meine Ausdauer stetig zu. Nach zwei Wochen entschied ich schließlich, daß ich wieder gesund sei. Immerhin konnte ich inzwischen jeden notwendigen Weg alleine gehen und an dem Rest würde ich eben arbeiten müssen.

Also stand ich auf und schaute nach, was Kariv mein Stellvertreter so machte. Er trainierte gerade mit den Kadetten, als ich in die Halle kam. Sofort kam alles zum Stocken und er schaute zu mir herüber.
"Weitermachen!" rief ich laut und ging am Rand der Halle entlang zu ihm hinüber.
Er erklärte zwei Kadetten, was sie falsch machten, schaute zwischendurch aber immer wieder zu mir herüber. Als ich bei ihm angekommen war, wartete ich ruhig, bis er den letzten Satz zuendegesprochen hatte und sich mir zuwandte.
"Ich wollte dich fragen, ob ich für ein, zwei Wochen beim Kadettentraining mitmachen kann, bis ich wieder einigermaßen auf dem Damm bin." sagte ich.
"Du solltest beim Training nicht mitmachen, du solltest hier unterrichten." widersprach er.
"Da würde ich aber jedem meiner Männer nach einer solchen Verletzung etwas anderes erzählen. Nein, erst einmal muß ich mich darum kümmern, daß ich körperlich wieder einigermaßen in Form komme. Dann kann ich wieder Befehle erteilen. Jedenfalls gilt das so lange, wie ich einen so guten Stellvertreter habe, wie du es bist. Außerdem werde ich für eine Weile noch mit anderen Dingen beschäftigt sein, ehe ich mich ums Training kümmern kann. Darüber müssen wir noch miteinander reden. Und die Männer werden davon profitieren, mal ein anderes Training zu haben."
Er schaute immer wieder zu mir herüber, während ich mit den Vierzehnjährigen zusammen die einfachen Grundschläge übte. Ich hielt nur die Hälfte der Zeit durch, dann ging ich hinaus, wusch mich, zog trockene Sachen an und fragte, wo der König ist.

Sie schickten mich zu seinem Zimmer, wo er gerade die Haushaltsbücher durchschaute. Nachgerechnet hatte sie jemand anders - aber auch er brauchte einen gewissen Überblick über Einnahmen und Ausgaben und deshalb schaute er sich nicht nur die Jahresabrechnung an sondern diesmal auch das Haushaltsbuch selber. Ich grüßte ihn.
"Du bist auf?" fragte er erstaunt.
"Ja. Ich habe beschlossen, mich wieder als gesund zu betrachten." antwortete ich.
"Und was sagt der Arzt dazu?"
"Ich habe ihn nicht gefragt." antwortete ich.
"Und - bist du wieder gesund?"
"Na ja - ich habe das Kadettentraining mitgemacht. Nach der Hälfte konnte ich nicht mehr." Ich grinste.
"Paß nur auf daß du dich nicht überforderst. Du hast deine Verwundung nur ganz knapp überlebt. Denk an deinen Bruder." sagte er ernst.
An meinen Bruder dachte ich nicht gerne. Es war ein zu trauriges Thema. Es wurde immer schlimmer mit seinem Trinken.
"Ich weiß. Und ich glaube nicht, daß ich mich überfordert habe. Ich habe aufgehört, lange bevor ich wirklich am Ende war. Aber irgendwann muß ich meinen Körper auch wieder an die Bewegungen des Kampfes gewöhnen."
Er sah mich skeptisch an. Ich lächelte ironisch.

"Aber eigentlich wollte ich etwas anderes mit dir besprechen. Du wirst dich in Zukunft nicht damit abfinden immer überallhin zehn Gardisten mitzunehmen, oder?" fragte ich.
Er sah mich lange schweigend an. Ich erwiderte seinen Blick unverwandt.
"Nein. Damit werde ich mich nicht abfinden." sagte er schließlich fest.
"Nun, dann will ich Dir einen anderen Vorschlag machen. Ich will eine Sondertruppe der Palastgarde ausbilden - zehn Mann, die entweder dich in Zivil begleiten, oder, wenn du den Eindruck erwecken willst, allein unterwegs zu sein, sich unauffällig in erreichbarer Nähe aufhalten, um Dir rechtzeitig zu Hilfe kommen zu können, wenn jemand dich angreift. Außerdem bestehe ich darauf, daß du jeden Tag mindestens zwei Stunden das Kämpfen trainierst, damit wir in einem solchen Fall überhaupt genug Zeit haben, um dir helfen zu können." sagte ich.
"Und du gibst keine zwei Zentimeter mehr nach, wie?" fragte er in einem seltsam resignierten Tonfall.
"Nein. Ich gebe keine zwei Zentimeter mehr nach. Weißt du, innerhalb eines halben Jahres habe ich zehn Anschläge auf dein Leben miterlebt. Und ich will nicht, daß du bei dem nächsten umkommst. Also ist das das beste, was ich dir anbieten kann. Denn eine bessere Welt kann ich dir nicht herbeizaubern." sagte ich.
"Und dir auch nicht." sagte er leise und traurig.
"Und mir auch nicht." antwortete ich.
Und mir kamen die Tränen. Ich konnte nichts dagegen tun. Das war am Vormittag.

Kersti


FB13. Kersti: Fortsetzung: Ich konnte es nicht ertragen, das zu sehen.
FB11. Kersti: Voriges: Du bist mir etwas mehr wert als mein Arm
FBI. Kersti: Inhaltsübersicht: Helden leiden länger
FB1. Kersti: Zum Anfang: Das Attentat
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
Sonstiges
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