"So sieht also ein Mann aus, der hundsgemeine Heiratskomplotte
schmiedet." sagte er und schmunzelte.
Ich schwieg.
"Ich frage mich, warum du das getan hast. Oder wie ein Mensch dazu
kommt, seinen König gegen dessen ausdrücklichen Befehl zu
verteidigen und dabei seinen Arm zu verlieren. Ist er das wert, daß
man so etwas für ihn tut?" fragte er leise.
Ich gab ihm dieselbe Antwort wie seiner Tochter vor dem Ausritt.
"Viele Menschen wollen nicht mehr leben, wenn sie einen Arm verlieren
oder eine ähnlich schwere Verletzung zugefügt bekommen."
fuhr er fort.
Ich lachte:
"Ihr seid eurer Tochter sehr ähnlich. Sie hat mir dieselben
Fragen gestellt, als ich mit ihr gesprochen habe."
"Wie - war sie so unhöflich?" fragte er entrüstet.
"Ich sollte ihr von unserem Gespräch erzählen. Vielleicht
fragt sie dann auch entrüstet, ob ihr so unhöflich wart."
entgegnete ich trocken.
Er lachte.
"Tatsächlich gefällt mir diese Direktheit. Ich weiß,
daß jeder, der mich sieht, sich diese Fragen stellt. Und erst wenn
ich sie beantwortet habe, kann man wieder richtig mit den Leuten reden.
Es ist halt nur sehr schwierig, eine Frage zu beantworten, die niemand zu
stellen wagt." erklärte ich.
"Und warum gerade meine Tochter?"
"Beispielsweise wegen der Art, wie sie ihr Pferd zugeritten hat. Ohne
Gewalt, nur mit Konsequenz und Liebe. Wer so mit Tieren umzugehen
versteht, hat eine weit größere Liebesfähigkeit als die
meisten Menschen. Das weiß ich genau, denn ich mache es genauso.
Und er hat Geduld und Ausdauer. Was er anfängt bringt er auch zuende.
Denn ein Pferd ist nicht von heute auf Morgen ausgebildet und es erwidert
nur Treue mit einer solchen Treue. Dann kommt noch hinzu, daß sie
etwas von Politik versteht. Daß sie vernünftige Ansichten
vertritt und sich für jeden verantwortlich fühlt, über den
sie zu bestimmen hat."
"Aber sie ist überhaupt nicht bereit, sich angemessen zu
kleiden."
Ich lachte:
"Na davon habe ich heute beim Essen nichts gemerkt. Im Übrigen ist
es überhaupt nicht schlecht, wenn die Königin dem Volk einen
bescheideneren Stil vorlebt. Dann ist niemand gezwungen sich besser zu
kleiden als sie."
"Du hörst dich an, als wolltest du sie heiraten."
"Ich habe mir auch überlegt, was für ein Mädchen ich
heiraten würde. Er hat bei Frauen einen ähnlichen Geschmack wie
ich." antwortete ich.
"Nur hat er die besseren Chancen. Wer heiratet schon einen
Krüppel."
Ich zuckte zusammen. Kaum zu glauben, wie weh es immer noch tat. Aber
trotzdem hatte er Unrecht:
"Deine Tochter zum Beispiel. Für sie ist nicht der Körper
sondern der Geist eines Menschen wesentlich. Und ansonsten habe ich als
Bürgerlicher einfach die größere Auswahl." antwortete
ich.
Und wenn ich bedachte, daß ich tatsächlich in Liranna eine Frau
gesehen hatte, die ich gerne geheiratet hätte, war es vielleicht an
der Zeit, daß ich eine Frau für mich suchte. Wieder ruhte sein
nachdenklicher Blick auf mir:
"Dich hat schon eine Frau wegen des verlorenen Armes verraten."
stellte er fest.
Ich nickte.
"Du hast deinen Arm verloren, kannst nicht mehr richtig kämpfen,
deine Frau verläßt dich. Dein ganzes Leben fällt
über dir zusammen. Aber du gibst nicht auf, sondern du wächst
über dich hinaus und stellst Dinge auf die Beine, die sonst keiner
zuwegebringt."
"Das stimmt nicht. Wenn ich mit einem Arm nicht richtig kämpfen
könnte, hätte ich den Kampf, in dem ich verwundet wurde, nicht
überlebt. Die Hälfte der Feinde habe ich getötet, nachdem
ich verwundet wurde. Ich habe immer noch dieselbe Stellung wie vorher,
wohne immer noch in demselben Haus, bin immer noch für die Kinder
meines Bruders verantwortlich. Mein Freund und König ist immer noch
da. Die Grundfesten meines Lebens stehen noch. Mein ganzes Leben
würde über mir zusammenfallen, wenn mein König sterben
würde. Und selbst wenn, würde ich eben wieder aufstehen und mir
ein neues Leben aufbauen."
"So verkrüppelt, wie du bist?" fragte er prüfend.
"Ja."
"Wer würde dich schon nehmen?"
"Du zum Beispiel." antwortete ich.
"Das stimmt." antwortete er.
"Oder der Bruder meines Königs." ergänzte ich.
"Der ist doch tot."
"Ich meine den im Kloster. Er würde mich sicher gerne
aufnehmen."
"Das glaube ich dir. Du bist ein merkwürdiger Mensch. Ich glaube,
jeder, den ich so der Reihe nach auf all seine wunden Punkte angesprochen
hätte, hätte das Gespräch nach wenigen Worten abgebrochen
und wäre wütend herausgestürmt. Du aber hast jede meiner
Fragen ruhig und sachlich beantwortet. Du bist stark, sehr mutig und sehr
zuverlässig. Ich würde dich jederzeit gerne bei mir aufnehmen,
wenn sich jemals eine Gelegenheit dazu ergeben sollte. Aber das
wünsche ich dir nicht. Denn die wird erst sein, wenn der König
nicht mehr lebt oder dich verrät und beides würde dich zutiefst
verletzen."
Ich nickte schweigend. Ich glaube nicht, daß er andere Menschen so
der Reihe nach auf ihre wunden Punkte ansprechen würde. Dazu war er
zu feinfühlig. Aber ich wußte aus Erfahrung, daß
Menschen, die so direkt sind, die zuverlässigsten sind, denn sie
gehen auch ihre eigenen inneren Probleme direkt an und sind deshalb mit
sich selbst genug im Reinen, um nicht auf alles mit Wut oder Hinterlist
reagieren zu müssen. Er wäre die Art Herr, mit denen ich gut
auskäme.
"Ich sehe Gared hat sich einen guten Herrn gewählt." sagte ich.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
Ich freue mich über jede Art von Rückmeldung, Kritik, Hinweise auf interessante Internetseiten und beantworte Briefe, soweit es meine Zeit erlaubt.