Ich hörte nicht auf ihn. Ich hörte nicht auf den Arzt, nicht auf den König, auf niemanden. Ich wollte mit zu der Hochzeit, die ich herbeigeführt hatte und ich war einfach nur wütend, daß es nicht gehen sollte. Also bin ich mitgeritten.
Es war vorherzusehen, daß sie mich
notfalls mit Gewalt daran hindern wollten. Ich zumindest hätte das an
ihrer Stelle getan. Also habe ich fünf Tage vorher aufgehört,
darüber zu reden, bin eine halbe Stunde vor den anderen losgeritten
und habe mich ihnen an einer Wegbiegung unauffällig angeschlossen.
Es dauerte fast einen halbe Stunde, bis ihnen bewußt wurde,
daß sie einen zu viel dabei hatten.
Es war Kariv, der mich zuerst sah.
"Korith, was machst du hier?" fragte er vorwurfsvoll.
"Ich reite zur Hochzeit meines Königs." antwortete ich, als
wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Ich achtete darauf, daß mein Pferd gleichmäßig weiterging.
"Du gehst sofort zurück!" forderte Kariv.
Ich ritt einfach weiter.
"Sofort!" bellte er in seinem schärfsten Befehlston.
Dummerweise hatte mich das noch nie sehr beeindruckt. Ich hatte immer nur
gehorcht, weil ich die meisten Befehle vernünftig fand. Jetzt
drehten sich auch die anderen um, erfaßten die Situation, kehrten
zurück und redeten auf mich ein, daß ich umkehren solle. Ich
ritt stur weiter.
"Denk an Jarem." sagte jemand.
Ich tat als hätte ich nichts gehört. Der König fiel dem
Pferd in die Zügel, doch es biß auf die Trense und ging
starrsinnig weiter.
Vermutlich hatte es die Situation falsch interpretiert. Ganz eindeutig hatte es bemerkt daß ich krank war. Es hatte sich den ganzen Unfug gespart, den es sonst immer anstellte, wenn ich es satteln wollte und war die ganze Zeit im Schritt gegangen, ohne auch nur anzudeuten, das es gerne schneller laufen würde - und ich kannte den Hengst als ein so stürmisches verspieltes Tier. Jetzt war es empört, daß die Menschen seinen sowieso schon kranken Herrn auch noch ärgerten. Wenn es begriffen hätte, daß sie mich zum Umdrehen bewegen wollten, damit ich mich nicht durch diesen viel zu langen Ritt umbrachte, dann hätte er sich zweifellos auf die Seite meiner menschlichen Freunde geschlagen. So dagegen ging er starrsinnig weiter und achtete darauf, keine heftige Bewegung zu machen, die mir wehtun könnten, obwohl er offensichtlich verärgert war und nach den Menschen schnappte, die mich aufzuhalten versuchten und dem Pferd in die Zügel fielen, um nicht meinen verletzten Körper noch mehr zu verletzen. Ich aber kümmerte mich nicht darum, sondern ritt starrsinnig weiter. Nach fast einer halben Stunde gaben sie es schließlich auf. An Karivs verkniffenen Gesicht merkte ich, daß er sich ernsthaft Sorgen um mich machte.
Das Reiten verursachte mir immer schlimmer werdende Schmerzen, die ich zornig über meinen widerspenstigen Körper, der mir immer nur wehtat, ignorierte. Und irgendwann kurz nach der Hälfte des Weges spürte ich, wie irgendetwas in meinem Bauch riß. Da wußte ich, ich hatte einen Fehler gemacht, der wahrscheinlich tötlich enden würde. Doch jetzt war es zu spät, um noch umzukehren. Ich biß die Zähne zusammen und ritt weiter. Denn hier war kein Haus, wo man um Aufnahme und Hilfe bitten konnte. Es wurde mit jeder Minute schlimmer. Als wir schließlich ankamen, wollte ich nur noch ins Bett und schlafen. Ich sagte den Anderen, daß sie recht gehabt hatten.
Der Fürst von Longhold besuchte mich in dem mir zugewiesenen Zimmer
und fragte wie es mir ginge.
"Ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte nie mitkommen
dürfen und wahrscheinlich werde ich deshalb sterben." antwortete
ich.
"Und wenn nicht, machst du einen noch größeren Fehler und
reitest wieder zurück?" fragte er zurück.
"Ja. Hier will ich nicht bleiben." antwortete ich.
Ich glaubte aber nicht, daß ich den Rückweg überleben würde. Ich hatte Angst vor den Schmerzen, die er mit sich bringen würde und bezweifelte, daß ich es durchhalten konnte. Und ich ärgerte mich über mich selbst, daß ich so unvernünftig gewesen war, nicht auf meinen Körper zu hören, der mir sehr eindeutig gesagt hatte, daß ich eine solche Strecke nicht würde durchhalten können, ohne mich umzubringen. Ich hatte es besser gewußt und ich bin dennoch geritten. So dumm hatte ich mich in meinem Leben noch nie benommen.
Die Hochzeit habe ich verpaßt. Ich lag die ganze Zeit krank im Bett und konnte nichts essen. Der König blieb einen Monat länger auf Longhold, damit ich mich vor der Abreise so weit erholen konnte, wie das überhaupt möglich war. Und dann ritten wir zurück.
Der Rückweg war schlimmer als der Hinweg. Lange vor der Hälfte des Weges erreichten die Schmerzen das Ausmaß, das sie am Ende des Hinweges erreicht hatten und es wurde danach immer schlimmer. Es gelang mir kaum, bei Bewußtsein zu bleiben. Aber es gab unterwegs keinen Ort, wo ich sinnvollerweise hätte Pause machen und die Wunde auskurieren können. Also mußte ich weiter und ich war überzeugt, ich wäre tot, bevor ich zuhause ankam. Am Ende spürte ich, wie die Bauchwunde nach und nach wieder aufriß und Blut in die Hose sickerte.
Ich ritt direkt bis vor die Haustür, wo der Arzt, von einem
Gardisten, der vorausgeritten war, alarmiert, schon auf mich wartete.
"Du hattest recht. Ich hätte nicht reiten dürfen." sagte
ich ihm.
"Das ist jetzt nicht wichtig." sagte er und führte mich in
mein Bett, wo seine Ausrüstung schon bereitstand.
Während er die offene Wunde reinigte wurde sein Gesicht immer
düsterer. Müdigkeit und Schwäche machten es mir
unmöglich, die bestialischen Schmerzen still zu ertragen. Ich
hörte mich die ganze Zeit leise vor mich hinweinen, während ein
Teil von mir das Ganze sachlich und ziemlich unbeteiligt beobachtete. Ich
blieb bei Besinnung bis er fertig war. Dann sagte ich:
"Diesmal werde ich sterben, nicht wahr?"
Der Arzt hob den Blick und sah mich prüfend an. Ich erwiderte seinen
Blick und wartete auf die Antwort.
"Vermutlich." sagte er.
"Tu dein Bestes. Ich will leben." sagte ich ihm ruhig und
sicher.
Ich glaubte nicht daran, daß ich Erfolg haben würde, aber ich
wollte es zumindest versuchen, obwohl es wieder monatelange Folter
bedeuten würde.
"Meinst du das bringt etwas?" fragte er.
"Vermutlich nicht. Du bist wütend, daß ich einfach
mitgeritten bin, nicht wahr?"
"Ja irgendwie schon. Du hättest sterben können."
"Ich ärgere mich über mich selbst, denn ich habe es besser
gewußt. Aber ich war ja nicht einmal bereit auf mich selbst zu
hören." sagte ich.
"Wenn du es besser wußtest, warum bist du dann geritten?"
"Der reinste Starrsinn, verbunden mit genug Intelligenz, um nicht da zu
sein, wo mich jemand zur Vernunft hätte zwingen können. Also
genau die Eigenarten, die es mir ermöglicht haben, mich in meinem
Alter als Gardehauptmann durchzusetzen. Und niemandem eine Chance zu
lassen, mich daran zu hindern. Ich glaube ich bin einfach zu intelligent
und zu charakterstark, als daß irgendjemand mich dazu zwingen
könnte, vernünftig zu sein, wenn ich es nicht aus eigenem
Antrieb will. Gib dir bloß nicht die Schuld daran. Du hattest keine
Chance. Aber wer weiß, vielleicht bin ich ja auch zu starrsinnig,
um einfach zu sterben." ich lächelte ihm spitzbübisch zu -
bezweifelte aber, daß dieses Lächeln so gut aussah, wie es
sich anfühlte. Dann schlief ich erschöpft ein.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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