FC9.

Phaeriths Erwachen

Ganz gleich, was wir anstellten, es gelang uns an dem Tag nicht, einen weiteren Reiter aus der Apathie zu reißen.

Spät Abends ging ich noch einmal in die Zelle von Phaerith. Er lag apathisch auf dem Bett. Ich grübelte, ob es nicht etwas gab, das ganz gemein wehtat, ohne ernsthaften Schaden anzurichten und dabei nicht so beleidigend war, wie Eier quetschen. Als Kind hatte ich in dem Bereich ausreichend Erfahrungen gesammelt, daß mit auch etwas einfiel. Ich griff den Kopf und drückte an einer bestimmten Stelle unter den Ohren, so daß die an der Stelle durchlaufenden Nervenfasern gequetscht wurden. Phaerith schrie. Der nächste Schritt des Zurückrufens mußte in einfachen Anweisungen bestehen.
"Steh auf." befahl ich.
Er gehorchte und sah mich an. Noch war er zu benommen, um wütend zu werden.
"Komm mit." befahl ich.
Er folgte mir gehorsam, aber seltsam mechanisch und mit leerem Gesichtsausdruck durch die Gänge auf den Gefängnishof. Dort sah er ungläubig den noch sehr jungen Drachen an, der sich dort sonnte.
"Ein Drache! Ein lebender Drache..." Phaerith lächelte und kniete neben dem Kleinen nieder, strich sanft über die weiche Drachenhaut. Dann versuchte er dessen Geist zu erreichen. Er schaute nach einer Weile zu mir auf:
"Er ist völlig in sich zurückgezogen."
"Ja. Ich würde gerne das tun, was auch Drachen tun, wenn sich einer der ihren in sich selbst zurückzieht. Eine ständige telepathische Wache. Aber dazu brauche ich Hilfe." erklärte ich.
"Und Menschen bekommen als Ersatz Prügel... wie ungerecht!" Phaeriths Grinsen zeigte an, daß das ein Scherz war.
"Drachen sind keine Menschen." sagte ich leise.

Das ist ein unter Drachenreitern häufig gebrauchtes Argument. Denn Drachen sind wirklich keine Menschen. Was Menschen schadet, mag für Drachen gut sein und umgekehrt. Die Luft in der Drachenstadt war so dünn, daß es Monate dauerte, bis ich mich einigermaßen daran gewöhnt hatte und nicht schon nach drei Schritten nach Luft japste. Es ist noch kein Mensch daran gestorben, so daß wir diese Eingewöhnungszeit als geringfügige Unannehmlichkeit betrachteten. Andere Drachenlebensräume waren weite, wasserlose Wüsten, wo die Drachen dann von Zeit zu Zeit für die ihnen anvertrauten Menschen Wasser holen flogen. Doch sie lebten nirgendwo gerne, wo auch Menschen gerne leben. Sie mochten keine wolkigen Himmel und keine Wälder. Wo sie lebten, sollte es Felsen und Sonne geben und in Flugreichweite Wasser... aber Flugreichweite bei einem Drachen ist über hundert Kilometer.

"Ich werde dir bei der Wache helfen. Was meinst du, was sie mit uns tun werden?"
"Sie scheinen sich darüber noch nicht so ganz klar geworden zu sein. Wenn ich raten dürfte, was die Regierung tut, nehme ich an, daß sie schon bald alle Drachenreiter außer Daeraith hinrichten werden. Auch im Menschenreich geht das Gerücht um, daß wir unsere eigene Rasse verraten hätten. Daera kommt höchstwahrscheinlich in einen Zoo und Daeraith wird seine Wärterin - wenn wir Daera ins Leben zurückrufen können. Wenn nicht werden auch die beiden bald getötet werden. Aber wenn sie überleben und man nie Ärger mit ihnen hat, werden mehr junge Drachen die nächste Eroberung überleben dürfen. Und das hoffe ich zu erreichen." erklärte ich.
"Du bist aber pessimistisch." sagte Phaerith leise.
Ich lächelte traurig:
"Ich fürchte nur, ich habe damit recht, auch wenn der hiesige Gefängniswärter uns bis jetzt in allem freie Hand läßt, weil er selbst Drachenreitern nicht wünscht, daß sie so vor sich hinvegetieren müssen."
"Du warst doch sonst immer so optimistisch..." meinte Phaerith leise.
Ich zuckte mit den Schultern.

Danach weckte ich einen anderen Freund von mir. Khaladarith. Und auch er versprach, bei der Wache zu helfen, als er den jungen Drachen gesehen hatte. Mit Ferith als fünften war unser kleiner Kreis dann vollständig und wir hielten Tag und Nacht bei dem bewußtlosen Drachen Wache.

Niemand sprach davon, noch einen weiteren Drachenreiter ins Leben zurückzurufen - sie in eine Leben ohne Hoffnung zu rufen, hätte nur weitere Selbstmorde zur Folge gehabt. Keiner von uns sagte etwas dazu, als allen Drachenreitern Kanülen zur intravenösen Ernährung gelegt wurden. Das zeigte, daß sie uns irgendwozu brauchten - und mir wollte zu dem Thema einfach nichts einfallen, worüber ich gerne geredet hätte. Ich hoffte nur, daß sie es verschlafen würden, was immer es auch war.

Dann wurden die ersten von ihnen abgeholt. Zehn Stück. Es hieß, sie kämen zur Behandlung ins Krankenhaus. Aber ich hatte immer noch böse Ahnungen - zumal der Gefängnisleiter mir nicht den Bericht dazu in den Akten zeigte und auch nicht die Art der Behandlung erklären wollte, obwohl ich ziemlich danach bohrte und er mir sonst freigiebig jede Information gab, um die ich bat. In den folgenden Tagen wurden immer wieder Drachenreiter abgeholt und fortgebracht. Ich gab das Fragen auf.

Kersti


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FCI. Kersti: Inhaltsübersicht: Damit Drachen leben können
FC1. Kersti: Zum Anfang: Trgerische Ruhe
Thema: Drachen

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V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
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