Wie man Zentauren kontrolliert
Vorgeschichte:
FE1.
Wissenschaftler sind eine Landplage
Jorian der Zentaur:
Ich wuchs viel langsamer als Pferde, deshalb durfte
ich meine Freundin erst als ich
schon dreieinhalb war, reiten lassen, obwohl
sie mit ihren fünf Jahren leicht genug war,
um einen Jährling reiten zu können. Sie
hatte sich das immer heiß und innig
gewünscht, während ich mir nicht sicher war,
ob ich behandelt werden wollte wie ein
Pferd. Als ich sie zum ersten mal tatsächlich
trug, fand ich, daß es ein wunderbares
Gefühl war, ihr Gewicht auf meinem Rücken
zu spüren.
Kurz nach meiner ersten Reitstunde bekam meine Freundin einen Privatlehrer bei dem sie lesen und schreiben lernen durfte. Ich bettelte, am Unterricht teilnehmen zu dürfen, doch das wurde mir nicht gewährt. Dabei wünschte ich mir nichts so sehr, wie lesen und schreiben zu lernen. Wenn wir miteinander spielten, sagte ich ihr jedesmal, daß ich Schule spielen wollte. Leider ließ sie sich nur selten dazu überreden, denn sie durfte ja lernen und wußte nicht, wie wichtig das war. Ich lieh mir von ihr kleine Bücher, die ich zu lesen versuchte. Es funktionierte nicht, weil ich zu wenige Buchstaben kannte und niemand bereit war, mir den Rest zu erklären.
Während Karima lernte, sperrte man mich immer in die dunkle Box, die mit einem Metallgitter und Vorhängeschloß verschlossen war. Es war zu eng, langweilig und stank nach Pferdescheiße und -schweiß. Jeden, der an meiner Box vorbeikam, bettelte ich an, daß er mich herausließ. Es nützte nichts. Die Stallburschen hatten Angst, erwischt zu werden und Schläge zu bekommen. Sie waren ja nur ungebildete Sklaven. Und die Wissenschaftler interessierten sich nicht für mich.
Ich hatte gehofft, daß man beim Reitlehrer lesen und schreiben lernen kann, weil er ja Lehrer war. Statt dessen sollte ich lernen, zu tun, als wäre ich so dumm wie ein Pferd. Er redete nur mit Karima, auch wenn ich Fehler machte. Oft sagte er, daß sie mich schlagen sollte, dabei hatte ich nichts verstanden, weil er ja nur gesagt hatte, was sie machen soll und ich mußte raten was ihre Bewegungen nun für mich bedeuten sollten. Ich habe ihm mehrfach gesagt, daß er gefälligst auch mit mir reden soll, aber er hat mich nur bestraft.
Ich dachte mir, daß ich lieber sterben wollte, als weiter ein Leben zu führen, das nur aus wissenschaftlichen Experimenten, in der Box eingesperrt sein und Reitstunden bei diesem Mistkerl bestand. Das war aber gar nicht so einfach, weil sie lauter Geräte hatten, mit denen sie jede meiner Körperfunktionen überwachten und es sofort merkten, wenn ich ein wenig krank war. Außerdem wurden Sachen, mit denen man sich verletzen oder vergiften kann, sorgfältig von mir ferngehalten. Ich habe mich natürlich bemüht, daß meine Selbstmordversuche nicht als solche zu erkennen sind - aber im Nachhinein scheint es mir doch merkwürdig, daß niemand darauf gekommen, ist, daß meine plötzlich so schwache Gesundheit auf fortgesetzte Selbstmordversuche zurückzuführen ist.
Eines Tages wurde der Reitlehrer verkauft.
Kanandor, Gutsherr von Faht:
Als er etwa sieben war, wurde der Zentaur
immer rebellischer und war auch durch Strafen
nur zur Räson zu bringen, wenn man ihn
bis zur Besinnungslosigkeit folterte. Nur
wenn Karima dabei war, war er wie verwandelt
und hörte bei ihr aufs Wort. Schließlich
riet mir ein Psychologe, eine Person,
beispielsweise eine Reitlehrerin, zu kaufen, die
quasi als Mutterersatz fungieren sollte. Er
meinte, das würde ihn vielleicht wieder unter
Kontrolle bringen.
Der Psychologe erstellte ein psychologisches Anforderungsprofil und ich setzte eine entsprechende Anzeige ins Netz.
Geria, die Reitlehrerin:
Ich war vierzig Jahre alt, als mein jüngster
Sohn zehn wurde und damit alt genug, um in
eine Lehre verkauft zu werden. Die Lehre als
Schiffsmechaniker, die er schließlich begann,
war das beste, was ich finden konnte. Seinen Kaufpreis überwies ich
ihm auf sein eigenes Konto, damit er sich notfalls freikaufen konnte.
Obwohl mein Mann mir regelmäßig Geld geschickt und ich jede Gelegenheit genutzt hatte, etwas dazuzuverdienen, hatte ich Schulden. Deshalb mußte ich auch mich selbst möglichst schnell an eine möglichst gute Arbeitsstelle verkaufen.
Im Netz fand ich eine Anzeige in meinem
Fachgebiet:
"Reitlehrer für ein großes Gestüt gesucht. Es
wird erwartet, daß er fähig ist, einen rebellischen
jugendlichen Nichtmenschen zur Mitarbeit zu bewegen."
Das angebotene Gehalt war sehr gut und ich
als Mutter bin wohl zum Umgang mit rebellischen
Jugendlichen ausreichend qualifiziert.
Also gab ich eine Bewerbung ab und wurde
umgehend zu einem Vorstellungsgespräch auf
dem Gestüt eingeladen.
Die Anreise war langwierig, denn das letzte Stück mußte mit einem kleinen Vorort-Flugbus bewältigt werden, der ein großes Gebiet bediente, indem er die Ziele der Fahrgäste auf telefonische Bestellung in einem zeitoptimierten Kurs anflog. Ein Taxi, das direkt fliegt, wäre für mich unbezahlbar gewesen.
Schon von Weitem waren die großen Gebäude des Gestüts zu sehen, die einsam in der Landschaft lagen, ein ganzes kleines Dorf. Ein großes Wohnhaus für die Besitzer, Reihenhäuser und ein Wohnblock für Dienstpersonal, große Stallgebäude, Scheunen, eine Reithalle, ein wissenschaftliches Forschungszentrum. Auf dem Landeplatz des Zentrums erwartete mich schon ein Diener, der mir zuerst einige Räume zeigte, in denen ich später arbeiten würde und als er über ein in sein Ohr eingepflanztes Funktelefon die Anweisung dazu erhielt, in ein Besprechungszimmer führte.
Anwesend waren der Herr, seine Tochter und ein Wesen, das wie eine Kreuzung zwischen einem einjährigen Rapphengst und einem Menschen aussah. Ein Pferdekörper, der da, wo beim Pferd der Hals ansetzt, in einen menschlichen Oberkörper überging. Wobei - allzumenschlich sah er nicht aus. Der Ansatz des Oberkörpers war fast wie der Halsansatz eines Pferdes und hatte eine bis zum Kopf durchgehende, lange, glänzende schwarze Mähne. Auch der Rest des menschlichen Oberkörpers war mit kurzem schwarzen Fell bedeckt, das nur Handflächen und Gesicht freiließ. Er hatte schwarze Haut und große, schwarze Augen mit kaum Augenweiß, eher wie die eines Pferdes als eines Menschen.
Den Gesichtsausdruck hatte ich allerdings schon bei vielen menschlichen Jugendlichen gesehen, die ich zu Pferdeburschen ausgebildet hatte: mißtrauisch und verschlossen. Das war darauf zurückzuführen, daß sie, wie viele Angehörige der Unterschicht, oft ungerecht behandelt wurden und teilweise auch schmerzhafte Operationen über sich hatten ergehen lassen müssen, an denen die jeweiligen Herren verdient hatten. Es hatte oft Monate gedauert, bis sie begriffen, daß ich, soweit sie die Möglichkeit dazu habe, immer für die mir anvertrauten Untergebenen eintrete.
Ich begrüßte zuerst den Hausherrn, dann seine Tochter und schließlich den Nichtmenschen, der daraufhin plötzlich lächelte. Das Mißtrauen in seinem Gesicht war wie weggewischt.
Ich beantwortete die Fragen, die der Herr
mir stellte - nichts Außergewöhnliches -
dann fragte ich, welche besonderen Wünsche
er bezüglich des Nichtmenschen hätte.
"Ich will einen Reitlehrer, der..." setzte der
Nichtmensch an und stellte erstaunlich detaillierte Forderungen auf. Ich
sah den Herrn fragend an, der mir mit einem Nicken zu
verstehen gab, daß es in Ordnung sei, wenn
ich mit den Nichtmenschen seine Ansichten
bespräche.
Daraufhin hinterfragte ich die Wünsche des Jungen und ließ mir erklären, warum er jede einzelne Forderung aufgestellt hatte. Von Zeit zu Zeit warf ich einen Verbesserungsvorschlag ein und lobte ihn am Ende für sein wirklich sehr gut durchdachtes Ausbildungskonzept.
Jorian, der Zentaur:
Das erste Vorstellungsgespräch war mit einer
Frau. Sie war der erste Erwachsene, der richtig
mit mir sprach. Sie beantwortete meine Fragen,
hörte mir zu, machte vernünftige
Verbesserungsvorschläge und gab
keine Versprechungen, von denen ich mir an
fünf Fingern abzählen konnte, daß sie sie
nicht würde einhalten können. Also sagte
ich, daß ich sie als Reitlehrerin haben wollte
und Karima stimmte mir zu. Dennoch bestand der
Herr darauf, daß ich auch mit
den drei anderen Bewerbern redete, die mir
aber alle nicht gefielen. Was ich nicht zu
hoffen gewagt hatte, trat ein: Ich bekam
tatsächlich die Reitlehrerin, die ich mir
wünschte.
Die erste Reitstunde war, wie ich es gehofft hatte: sie schrieb meiner Freundin schwierige Aufgaben auf den Zettel und sie mußte mir ohne Worte, nur durch Hilfen, für die sie nicht einmal Zügel zu Verfügung hatte, da ich ja kein Pferd war, klarmachen, was es war. Oder sie erklärte mir, wie Gangarten funktionieren, die nur sehr wenigen besonders berühmten Pferderassen angeboren sind und ich mußte die Fußfolge auswendiglernen. Wir übten Dressurreiten, weil es die Methode war, für die man wirklich lernen mußte, beinahe die Gedanken seines Partners zu lesen. Es machte großen Spaß.
Geria, die Reitlehrerin:
Schon wenige Tage nach dem Vorstellungsgespräch zog ich auf das
Gestüt um und brachte meine kleine Stute in den mir zugewiesenen
Stall. Die Wohnung, die ich bekommen hatte, bestand aus
Arbeitszimmer, Wohnzimmer, Küche, Bad und war sehr hübsch. Das
war mehr, als einem Menschen mit meiner Stellung üblicherweise
zugewiesen wurde.
Neben dem Reitunterricht für die Tochter des Herrn und den jungen Nichtmenschen, hatte ich mich um das Zureiten der Jährlinge des Gestüts zu kümmern und die Oberaufsicht über alle Pferde und Stallburschen.
Am Abend nach der ersten Reitstunde besuchte ich den Nichtmenschen in
seiner Box.
Ich hatte inzwischen erfahren, daß die neu
erschaffene Rasse als Zentauren bezeichnet
wurde. Sofort kam er ans Gitter und bat
mich, ihn rauszulassen.
"Ich glaube nicht, daß das so klug wäre." antwortete
ich.
"Aber warum denn nicht? Ich bin auch bestimmt ganz brav und gehe
sofort wieder rein, wenn du mir das sagst." bettelte er.
"Ich habe den Schlüssel mit der Maßgabe bekommen, dich nur
für die Reitstunden herauszulassen. Wenn ich mich daran nicht
halte, wird Herr es früher oder später bemerken. Dann nimmt er
mir den Schlüssel endgültig ab und ich habe keine Chance
mehr, von ihm die Erlaubnis zu bekommen, daß ich dich
tagsüber herauslassen darf, weil er mir dann nicht mehr vertraut.
Ich werde mit dem Herrn reden, und ihn bitten, daß ich dich
öfter herauslassen darf." erklärte ich ihm.
Der Zentaur sah einen Augenblick nachdenklich ins Leere.
Schließlich nickte er. Dann fragte er unvermittelt:
"Kannst du mir lesen und schreiben beibringen?"
"Warum lesen und schreiben?" fragte ich verblüfft.
"Die Wissenschaftler haben so Forschungsentwürfe. Da steht drin,
was sie vorhaben. Ich will die lesen können." erklärte
er.
"Du könntest sie doch einfach fragen." meinte ich.
"Die lügen doch immer!"
Die Verbitterung, die in diesen Worten mitklang, erschreckte mich.
"Das glaube ich nicht." widersprach ich.
"Doch. Einmal haben sie mir vorher gesagt, sie machen nur eine
Untersuchung und als ich wieder aufgewacht bin, hatten sie mir
eine Hand abgeschnitten. Dann habe ich gesagt, daß ich nie wieder
eine Betäubung will. Auch nicht bei einer
Nervenfunktionsprüfung."
Bei der Vorstellung wurde mir beinahe
schlecht. Eine Nervenfunktionsprüfung bei
vollem Bewußtsein mitzuerleben, mutet man
niemandem zu, es sei denn, man wollte durch
Folter seinen Willen brechen. Wie kam dieses
Kind dazu, so etwas freiwillig auf sich zu nehmen?
"Du hast doch noch beide Hände." sagte ich.
"Sie haben mich an so eine Maschine angeschlossen. Das hat zwar
immer schrecklich weh getan, aber die Hand ist davon nachgewachsen."
erklärte er.
Das war ein teures Verfahren. Aber vermutlich lohnte es sich, wenn man
es mit den Kosten für die Erschaffung einer neuen
nichtmenschlichen Rasse verglich.
"Meinst du, du kannst irgendetwas tun, damit
sie so etwas nicht mehr mit mir machen?"
"Nein. Bestimmt nicht. Der Herr verdient daran, daß die
Wissenschaftler so etwas tun." erklärte ich.
"Versuch es wenigstens. Bitte."
"Ich werde es versuchen, Kind, aber ich glaube nicht, daß das
viel bringt."
Vermutlich würde der Herr genau das von
mir erwarten. Er hatte mich eingestellt, weil
ich das Vertrauen des Kindes gewinnen sollte,
damit es fügsamer würde. Sanft strich
ich über das glänzende schwarze Fell. Ich
fragte mich, wie Menschen es übers Herz
bringen konnten, ein solches Wesen nur zu
erschaffen, um es durch hunderte von Versuchsreihen
zu quälen, bis es völlig am Leben verzweifelt.
"Du bringst mir doch lesen bei, oder?" fragte er mich wieder.
"Also gut. Aber ich kann dir nicht versprechen, daß ich mehr
als fünf Minuten Zeit pro Tag dafür finde." antwortete
ich.
"Wenn du das wirklich jeden Tag machst, reicht das bestimmt."
sagte er und strahlte.
Als ich am nächsten Morgen vor der Arbeit bei seiner Box
vorbeischaute, holte ihn gerade ein Stallbursche ab. Jorian folgte dem
Jungen schweigend mit verschlossener Miene
und ohne Fragen zu stellen. Als er mich jedoch sah,
begrüßte er mich strahlend. Ich
fragte mich, wie ich mir in so kurzer Zeit
eine solche Zuneigung verdient haben konnte.
Ich hatte doch nichts besonderes getan, oder?
"Na wie geht's heute?"
"Nicht besonders. Jetzt kommt ja erst wieder
Forschung." antwortete er.
"Na, so schlimm wird es wohl nicht sein." sagte ich.
"Wenn es nicht schlimm ist, liegt es daran, daß der
Wissenschaftler krank ist und nicht arbeiten kann." widersprach
er.
"Aber..."
"Wenn du mir nicht glaubst, komm und schau zu." sagte er.
Ich ging mit. Und ich werde nie vergessen, was ich dort sah.
Im Labor stand ein Gerüst. Jorian trat
rückwärts zwischen die Stangen und sah zu, wie
der Stallbursche ihn fesselte. Brav hielt er
ihm die Hände hin, damit er auch sie an das
Gestänge fesseln konnte. Jorian fragte dann
den Wissenschaftler:
"Was wirst du heute mit mir tun?"
"Das geht dich nichts an. Sei still und tu, was ich dir sage."
"Das geht mich ja was an. Das ist mein Körper, den du hier
kaputt machst." widersprach der Zentaur zornig.
Er zuckte heftig unter dem Strafimpuls zusammen, mit dem der
Wissenschaftler ihn für seine rebellischen Worte strafte, doch
seine Miene zeigte nur einen wilden Zorn. Er
sagte kein Wort mehr, als der Wissenschaftler
ihm ein Muskelrelaxans spritzte und seitlich
den Bauch aufschnitt, sobald der Kopf
des Zentaurs kraftlos in die Fesseln sackte,
die ihn in aufrechter Stellung hielten.
Die Operation dauerte Stunden. Ich konnte
nicht erkennen, wozu sie diente, doch holte
er einige Gewebeproben aus der Bauchwunde
und pflanzte diverse Drähte und einen
faustgroßen Gegenstand ein. Noch ehe er die
letzte Wunde wieder zuheilte, ließ die
Wirkung des Muskelrelaxans nach, der Zentaur
hob seinen Kopf und schaute nach hinten,
um zu sehen, was der Wissenschaftler tat.
Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung
aus Wut und dem verzweifelten Versuch, keine
Schmerzen zu zeigen. Dann holte der
Wissenschaftler den Nervenfunktionsprüfer
und prüfte die im Wundbereich liegenden
Nerven durch, ob sie richtig geheilt waren.
Jorian verkrampfte sich am ganzen Körper
und schrie. Er bäumte sich in den Fesseln
auf und sein schwarzes Fell war innerhalb
von Sekunden klatschnass, noch ehe der
Wissenschaftler zuende geprüft hatte.
"Du kannst ihn jetzt losmachen." sagte der
Wissenschaftler zum Stallburschen und ging.
Ich meinte:
"Mein Gott, das war ja schrecklich!"
"Es war nichts Ungewöhnliches." widersprach
er obwohl er am ganzen Leibe bebte.
Ich machte ihn los und führte ihn nach
draußen, wo ich ihn an der Hand hin und
herführte, bis er trocken war. Er beruhigte
sich schnell wieder.
"Was meintest du damit daß das nichts
Ungewöhnliches war?" fragte ich ihn.
"So etwas kommt ungefähr jeden zweiten oder
dritten Tag. Und die Operation an sich ist
fast genauso schmerzhaft wie die
Nervenfunktionsprüfung nachher, nur sind die
Muskeln betäubt, so daß man das von außen
nicht so sieht." erklärte er.
Bei dem ruhigen sachlichen Ton, in dem er
darüber redete, lief es mir kalt den Rücken
herunter. Ich hätte mir nie vorstellen können,
daß man wem auch immer so etwas antun kann.
Nachher beim Reitunterricht mit der Tochter des Herrn war er wie ausgewechselt. Die beiden scherzten und lachten miteinander und Jorian arbeitete sehr konzentriert mit. Zwischendurch machten wir mehrfach Pause, redeten über aufgetretene Mißverständnisse und überlegten, wie sie in Zukunft zu vermeiden seien. Sie hielten, obwohl das Mädchen nur zehn war und der Zentaur mit seinen sieben Jahren sicher auch nur halbwüchsig die kompletten fünf Stunden Training durch, die mir viel zu lang erschienen waren. Und es war eindeutig, welche Freude dem Zentauren das machte.
Schon am nächsten Tag war eine deutliche Verbesserung zu sehen und in den nächsten Wochen ging ich zu den schwierigsten Dressurübungen über, die mir bekannt waren. Schließlich schlug ich den Kindern vor, an den Jugendressurwettkämpfen in der Großstadt teilzunehmen.
Der Herr gab die Erlaubnis. Auf dem Turnier bewies Jorian, daß er tadellose Manieren hatte und ging mit den anderen Kindern um wie mit Gleichgestellten.
Jorian, der Zentaur:
Die Reitlehrerin fand nicht jeden Tag Zeit,
mich im Lesen zu unterrichten. Aber sie
bemühte sich sehr um Regelmäßigkeit und
achtete sorgfältig darauf, daß ich alles
verstand, was sie mich lehrte. In der Box war
ich nun meist mit Hausaufgaben beschäftigt.
Eines Tages entdeckte sie ein Kinderbuch in der Box, das ich mir von Karima geliehen hatte. Es war mir fast gelungen, es zu entziffern, nur gerade die wichtigsten Worte enthielten Buchstaben, die mir neu waren, so daß ich gerade das Wesentliche nicht verstand. Also fragte ich sie nach den fehlenden Buchstaben und las das Buch mit ihrer Hilfe vollends durch. Sie sagte mir dann, daß ich solche Bücher nicht einfach in die Box legen dürfte, weil sie davon schmutzig würden. Sie würde aber mit dem Herrn reden und ihn bitten, ein Bücherregal in der Box anbringen zu lassen. Ich sah das nicht ganz ein, denn ich achtete immer sehr darauf, daß das Stroh nicht schmutzig wurde, weil ich es überhaupt nicht ausstehen konnte in meine eigene Scheiße zu treten. Als Klo stand ein großer Bottich in einer Ecke der Box.
Tatsächlich ging das diesmal sehr schnell. Schon am nächsten Tag befestigte der Handwerker das Brett und ich durfte mir offiziell Bücher ausleihen, um darin zu lesen. Ich las als nächstes noch ein Kinderbuch und lieh mir, als ich merkte, daß ich das alleine schaffte, ein Buch über die Erschaffung von uns Zentauren. Ich kam nicht über das Titelblatt hinaus, denn das allein enthielt schon drei Fremdwörter, die ich nicht kannte.
Auch ihr Reitunterricht war sehr gut. Nach einem Jahr gewann ich den ersten Preis in einem örtlichen Dressurwettkampf.
Wichtig waren auch ihre Ratschläge. Im Gegensatz zu Karima, der als Tochter des Herrn kaum etwas verwehrt wurde, hatte sie Erfahrung damit, wie man Menschen, die beinahe unumschränkte Macht über einen haben, klug im eigenen Sinne beeinflußt. Auf ihren Rat hin, wurde ich höflicher zu Wissenschaftlern. Es war keine freundliche Höflichkeit, sondern die eisige Höflichkeit, die man Feinden entgegenbringt, gegen die man nichts machen kann. Sie hatte mir erklärt, daß der Einzige, der einen dauerhaften Schaden davon hatte, wenn ich ihnen etwas tat, ich selbst war. Und daß ich nichts gegen die Untersuchungen tun konnte, weil das der Zweck war, für den mich der Herr hatte im Reagenzglas erschaffen lassen. Nur um an mir zu verdienen, indem er Wissenschaftler an mir forschen ließ. Sie sagte, daß das ungerecht ist, weil jedes Lebewesen um seiner selbst Willen leben dürfen sollte und nicht für die Zwecke anderer.
Die Herren hätten darauf kommen können, daß es klüger ist, mich gut zu behandeln: wenn es mir damals, als ich sterben wollte, wirklich gelungen wäre, Selbstmord zu begehen, wäre das ihnen teuer gekommen. Jetzt, wo Geria da war, wollte ich leben.
Geria, die Reitlehrerin:
Es war leicht gewesen, den Herrn zu überreden,
daß der Zentaur sich Bücher leihen
durfte. Es war auch ihm leicht klarzumachen,
daß ein Zentaur, der mit lesen
beschäftigt ist, ganz bestimmt nicht viel Zeit
hat, sich Unfug auszudenken.
Schon eine Woche später bekam ich arge Zweifel an dieser Theorie. Der Bursche wandte sich ganz empört an mich, weil er eine wissenschaftliche Forschungsarbeit über Zentauren nicht verstand. Leider kannte auch ich die meisten Fremdwörter nicht. Ich glaubte nicht, daß dem Herrn der Lesestoff seines Zöglings gefallen hätte, dennoch klärte ich ihn nicht darüber auf, sondern kaufte Jorian ein gentechnisches Fachlexikon.
Einen Monat später bekam ich endlich grünes Licht, ihn bei meiner Arbeit mitnehmen zu dürfen. Er war wirklich froh, nicht mehr den ganzen Tag eingesperrt zu sein. Ich allerdings bekam mit, daß er tatsächlich diese wissenschaftlichen Bücher systematisch durcharbeitete. Ich bezweifelte, daß er sie verstand.
Kanador, Gutsherr von Faht:
Die Reitlehrerin hatte tatsächlich einen
beruhigenden Einfluß auf den Zentaur. Er
wurde sehr brav und kam jeden Tag gehorsam
zu den Untersuchungen, die angesetzt waren.
Er ließ alles mit unendlicher Geduld über
sich ergehen, war stets höflich zu den
Wissenschaftlern, die mit ihm arbeiteten und
benahm sich gut, wenn man ihn zu offiziellen
Anlässen mitnahm. Rätselhafterweise bestand
er darauf, alle Untersuchungen bei vollem
Bewußtsein mitzuerleben. Vermutlich war er
einfach masochistisch veranlagt. So etwas
soll es ja geben. Der Psychologe meinte
allerdings, das würde nicht zu seinem Persönlichkeitsprofil
passen.
Fortsetzung:
FE3.
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