erste Version zwischen dem 02.06.06 und dem 01.05.07

Das Drachenreich: Ich bin ein Zentaur

FE8.

Der Institutspsychologe

Vorgeschichte: FE7. Kersti: Humbolds Strafe

Jorian, der Zentaur erzählt:
Ich habe mich ein halbes Jahr lang mit Händen und Füßen gegen Gats Vorschlag, ich solle eine Pychotherapie machen, gewehrt. In meiner Kindheit hatte ich den Eindruck gewonnen, Psychologie sei nur dazu da, daß Folteropfer lernen sollten, diese Foltern auch noch als große Wohltat dankbar entgegenzunehmen. Der Institutspsychologe des Gestüts, und auch der Institutspsychologe des Lebensforschungszentrums Dulits waren offensichtlich ebenfalls dieser Ansicht, sonst hätten sie Elis nicht diesen ganzen Mist eingeredet. Schließlich gab Gats auch noch zu, daß der Institutspsychologe diesen Vorschlag gemacht hatte, woraufhin ich mich endgültig querstellte.

Schließlich rief mich der Institutspsychologe in sein Büro und teilte mir mit:
"Wenn Du nicht bereit bist, regelmäßig jede Woche eine psychotherapeutische Sitzung mitzumachen, schreibe ich dich krank, bis du damit anfängst."
"Ich will aber keine Psychotherapie!" protestierte ich.
"Dann schreibe ich dich jetzt krank." stellte er fest, griff nach dem Computer und begann das entsprechende Formular auszufüllen.

Ich erschrak - denn auf meine Arbeit, die das interessanteste in meinem Leben war und die einzige Gelegenheit, mich regelmäßig mit meinen Freunden zu unterhalten, wollte ich nicht verzichten. Zumal ich hunderte von Gründen wußte, warum sie mein Leben sicherer machte. Der Wert meiner Arbeitsleistungen war ein gutes Argument gegen viele unerfreuliche Versuche, die ich sonst nicht von mir abwenden könnte.
"Was muß ich denn mindestens machen, damit du zufrieden bist?" fragte ich.
"Ein halbes Jahr einmal die Woche eine Stunde mit Adeira, meiner Assistentin reden. Sonst brauchst du dich auf nichts einzulassen."
"Also gut. Aber gib ihr schriftlich, daß sie mich zu sonst nichts zwingen darf."
"Gut."
Er löschte das Formular und setzte statt dessen das von mir gewünschte Schreiben auf.

Noch am selben Tag erschien ich mißmutig zu der so zwangsverordneten ersten psychologischen Sitzung.
"Oh - Du siehst aber mißmutig aus." empfing mich die Psychologische Assistentin.
"Wärest du etwa nicht mißmutig, wenn dich jemand zwingt, eine Behandlung über dich ergehen zu lassen, die du nicht willst?"
Ich legte die Ohren an und starrte sie zornig an.
"Ja. Das wäre ich wohl. Warum willst du keine psychologische Behandlung?"
"Ich kann darauf verzichten, mich von anderen dazu bewegen zu lassen, daß ich auch noch für diese ganzen Foltern, die ich erdulden mußte, dankbar bin." erklärte ich.
"Das wollte ich auch nicht versuchen. Kennst du den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Psychologen?"
"Soll das ein Witz sein?" fuhr ich sie an.

Ich konnte mich nur mit Mühe davon abhalten, vor Zorn mit den Vorderhufen in die Luft zu trommeln.

"Na - mit Tiana hast du dich ja wohl verstanden, oder?"
"Sie hat ja auch nicht an mir herumtherapiert."
"Oh doch, das hat sie."
"So? Und warum bin ich dann mit jedem Tag, den ich sie kannte wütender auf die Wissenschaftler und den Leiter des Gestüts geworden, als ich es sowieso schon war?"
"Weil du begriffen hast, was dir angetan wurde und begonnen hast, darüber hinauszuwachsen. Ich wollte dir ein anderes Beispiel geben. Du weißt ja, daß Geria, deine Reitlehrerin für dich als eine Art Psychotherapie eingestellt wurde."
"Ja. Das habe ich gelesen."

Sie sollte bloß nicht wagen meine Geria schlechtzumachen!

"Sie hatte echtes Interesse an dir, hat dir geholfen, zu lernen, wie du deine Interessen wirkungsvoll durchsetzt - so weit das die miesen Umstände überhaupt erlaubten - und war dir ein Ersatz für die Mutter, die du nie gehabt hast."
"Ja. Und was hat das jetzt mit Psychotherapie zu tun?" fragte ich ungeduldig und gereizt.
"Das ist gute Psychotherapie."
"Du kennst auch den Vorschlag, den der Gestütspsychologe als Alternative vorgeschlagen hat?" erkundigte sie sich.
"Ja. Er wollte meinen Willen durch Foltern brechen." gab ich zurück.
"Und er hätte damit nicht erreicht, was er erreichen wollte - wahrscheinlich wäre es dir nämlich irgendwann gelungen, Selbstmord zu begehen, wenn er das versucht hätte." sagte die Psychologin.
"Und es wäre auf die bekannte schwache Gesundheit von Nichtmenschen der ersten Generation zurückgeführt worden, nicht auf einen Selbstmordversuch." ergänzte ich.
"Genau. Das ist schlechte Psychotherapie. Also war der Gestütspsychologe ein schlechter Therapeut und deine Reitlehrerin ein guter."
Ich schnaubte lachend.

"Dann hatte Elis es aber bisher nur mit schlechten Psychotherapeuten zu tun. Sonst würde sie nicht so einen Müll reden."
"Allerdings. Hätte sie rechtzeitig gute Therapeuten gehabt, wäre sie nicht zur Schwachsinnigen geworden. Aber gute Therapeuten gibt es hier erst, seit Gats die Einstellungen vornimmt. Nur den Institutspsychologen kann er nicht loswerden, da er ja von der Regierung eingesetzt wurde, um Gats zu überwachen."

"Und was ist deiner Ansicht nach jetzt eine gute Therapie für mich?" erkundigte ich mich.

Die erste Sitzung verbrachten wir damit, darüber zu reden, nach welchen Kriterien sie bei ihren Therapien vorging und wie sie mit verschiedenen anderen psychologischen Problemen umgegangen war. Wenn sie es anders angefangen hätte, hätte ich mich wohl kaum darauf eingelassen, ihr irgendetwas zu erzählen, was mir innerlich wirklich wehgetan hatte. So aber bekam sie meine wirklichen Sorgen zu hören, und ich stellte fest, daß es gut tat, jemanden zu haben, mit dem ich darüber reden konnte.

Es erschien mir seltsam, daß der Institutspsychologe ohne sichtbaren Zwang etwas getan hatte, das tatsächlich gut für mich war. In meiner Vorstellung waren Institutspsychologen immer Wesen gewesen, die sich nur für ihr eigenes Wohlergehen interessieren und deshalb die Befehle der Drachen - die Herren unseres Planeten - an Grausamkeit noch übertrafen. Auch kein anderer Mensch, den ich kannte, hatte jemals etwas Positives über den Psychologen gesagt, der für seinen Arbeitsbereich zuständig war. Sie galten allgemein als Verräter an der Menschheit und Spitzel der Drachen und wurden von den meisten Menschen gehaßt. Doch wagte es fast niemand, ihren Befehlen zuwiderzuhandeln, denn sie waren die direkten Vertreter der Drachen.

Gatz erzählt:
Je mehr Reformen Jorian mit meiner Zustimmung und der unseres Institutspsychologen durchführte, desto größer wurde meine Sorge, daß die Drachen darüber vielleicht doch aus irgendeinem Grund böse darüber sein könnten. Der Psychologe war sorgloser.
"Ganz so unmenschlich sind sie nun auch wieder nicht." meinte er.

Als der Institutspsychologe zum Fünfjahresbericht zum Drachenplaneten flog, machte ich mir trotzdem Sorgen. Und diese Sorgen wurden nicht kleiner, als der Psychologe zurückkehrte, sagte, daß alle Befehle anstandslos abgesegnet worden seinen und Jorian mitteilte, daß die Drachen ihn sehen wollten und das Gehirnschiff, das ihn dorthinbringen sollte, schon auf ihn warte.

Was Jorian darüber dachte, weiß ich nicht. Er verabschiedete sich hastig von uns und packte für die Reise, als würde er so etwas ständig tun. Man weiß sowieso selten, was Jorian denkt.

Jorian erzählt:
Ich hatte zuerst Angst. als ich erfuhr, daß ich zu den Drachen sollte, doch der Institutspsychologe beruhigte mich.
"Da du kein Mensch bist, können sie dich nicht zum Gehirnschiff umoperieren. Und sie schauen sich Leute nur dann an, wenn ihnen deren Arbeit gefallen hat. Du hast also nichts zu befürchten."

Trotzdem wollte ich nicht so kurz vor der Geburt meiner beiden Fohlen eine so weite Reise machen, deren Folgen so ungewiß waren. Aber natürlich konnte ich mir das nicht aussuchen.

Gehirnschiffe haben offiziell den gleichen Rang in der Hierarchie des Drachenreiches wie die Institutspsychologen aber einen wesentlich besseren Ruf. Das liegt wohl daran, daß sie mehr Freiheit haben, und daß sie als militärische Schiffe die Aufgabe haben, gegen äußere Feinde zu kämpfen, nicht die, ihre Untergebenen möglichst wirkungsvoll auszubeuten. Sie müssen auch nicht regelmäßig den Drachen Bericht erstatten und kaufen ihre Arbeiter nicht ohne deren ausdrückliche Zustimmung. Wenn Gehirnschiffe nicht so häufig in Kämpfe verwickelt würden, wäre die Arbeit auf ihnen sehr beliebt. Menschen, deren Nervensystem erfolgreich mit der Schiffselektronik verbunden wurde, leben durchschnittlich nur zehn Jahre, ehe sie von Feinden des Drachenreiches abgeschossen werden. Nur selten überleben Mannschaftsangehörige den Abschuss, weil es üblicherweise nur für hochrangige Passagiere Raumanzüge gibt.

Schon am nächsten Tag, brachte das Shuttlefahrzeug mich zum Schiff.

Ich duckte mich - der Gang war so flach, daß ich mir sonst den Kopf gestoßen hätte und betrat die Luftschleuse des Gehirnschiffes.

"Hallo?" fragte ich.
Ich wußte, daß ich mich in einem Gehirnschiff befand und hatte irgendwo gelesen, daß sie sich jeden Besucher spätestens in der Luftschleuse ansehen und dann auch gerne begrüßt werden wollen. Gespräche in den Schlafkabinen werden dagegen nicht belauscht.
"Willkommen an Bord, Jorian." antwortete eine angenehme Stimme, der jeglicher Gefühlsausdruck fehlte.

"Guten Tag. Mit wem spreche ich?"
"Kesrith."
"Mein Gott ist das eng hier! Gibt es an Bord wenigstens irgendeinen Platz, wo ich aufrecht stehen kann?"
"Ich habe eine Standartpferdebox für dich im Laderaum stehen. Die ist drei Meter hoch."
"Das ist knapp."
Ich war von den Vorderhufen bis zum Kopf gemessen nämlich selber drei Meter groß - größer als ein Pferd mit gleicher Widerristhöhe.

Ich verließ die Druckausgleichskabine und lief geduckt durch die niedrigen Gänge des Schiffes, während mir das Schiff mit den Weg wies.
"Stell dich vor die Tür der Box, wenn du dich da wohler fühlst. Der Laderaum selber ist vier Meter hoch."
Dort war es mir zu zugig und ungemütlich.
"Kann man nicht das Dach der Box abnehmen?" fragte ich.
"Ich werde meinen Kapitän bitten, sich darum zu kümmern."

"Kann ich auch irgendwo laufen?" fragte ich.
"Schlecht. Du kannst dich natürlich im Schiff frei bewegen - doch die Gänge sind nur zweieinhalb Meter hoch und ich bin voll beladen. Es tut mir leid - aber Gehirnschiffe sind nicht für Pferde gebaut."
"Ich bin kein Pferd!" widersprach ich entrüstet.
"Das habe ich schon gemerkt. Nur weiß ich nicht, wie man deine Rasse nennt."
"Ein Zentaur."
"Gut, gespeichert und registriert - und ich werde es nie mehr wagen, dich ein Pferd zu nennen."

War das jetzt Humor?

"Können Gehirnschiffe lachen?" fragte ich.
"Nicht wirklich. Ich kann ein Lachen von Band abspielen - aber es fühlt sich dann nicht wie ein Lachen für mich an." erklärte er.
"Aber das eben war ein Scherz?"
"Ja. Ich kann dich schon verstehen. Ich werde schließlich auch oft genug wie eine Maschine behandelt."
"Das stelle ich mir noch schlimmer vor, wie wenn man als Tier behandelt wird. Einem Tier glaubt man wenigstens, daß es Gefühle hat."
"Ich habe ja meinen Kapitän - da kommt er übrigens."

Dieser Satz klang wie die Ausreden, die ich immer benutze, wenn ich mit Fremden nicht über meine persönlichen Gefühle und Ängste reden will. Also fragte ich nicht weiter. Manche Dinge sind zu schmerzhaft, als daß man sie vor Fremden diskutieren wollte.

Der Kapitän war ein netter Mann, der sehr schnell heraus hatte, wie er meine von der menschlichen erheblich abweichende Körpersprache zu deuten hatte. Ich habe mich auf der Reise - wenn ich nicht gerade am Computer arbeitete - viel mit ihm oder dem Schiff unterhalten und er nahm es mir auch nicht übel, daß ich wegen der Enge oft ziemlich gereizt war.

Im ganzen Schiff gab es keine einzige Stelle, wo man auch nur zehn Meter traben konnte - und mein ganzer Körper kribbelte vor unterdrücktem Bewegungsdrang. Ich mußte mich sehr beherrschen, um die Pferdebox nicht zu Kleinholz zu verarbeiten. Als ich schließlich am Heimatplaneten der Drachen angekommen war, überwog meine Erleichterung, endlich dieser Enge entronnen zu sein, meine Traurigkeit die neugefundenen Freunde verlassen zu müssen bei weitem.

Mit der dünnen Luft hatte ich keine Probleme, da das Schiff während der dreiwöchige Reise durch die Überwelt langsam und kontinuierlich den Bordluftdruck auf den niedrigen Wert der Raumstation, auf der wir andockten und der ebenso dünnen Gebirgsluft der Drachenberge angepaßt hatte, die ich besuchen sollte. Das war das Standartverfahren um den menschlichen Gästen der Drachen die Höhenkrankheit zu ersparen.

Ich wurde sofort mit einem Transporter beordert, der mich zum Boden brachte. Unterwegs striegelte mich ein Diener, der mir von den Drachen zugewiesen war und erklärte mir, daß ich sofort den Drachen gegenübertreten solle.

Unten ließ ich ihn reiten und galloppierte den ganzen Weg zur Höhle, in der der Drache mich empfangen sollte. Ich öffnete das Tor, erblickte das Ungeheuer und floh im gestreckten Gallopp. Erst einige hundert Meter weiter kam ich wieder zur Besinnung und kam zitternd zu stehen. Ich versuchte wieder zu Atem zu kommen und irgendwie meine panische Angst unter Kontrolle zu bekommen.

Dann erst begann ich nachzudenken und versuchte mich zu erinnern, was ich eigentlich gesehen hatte. Eine Riesenstechmücke? Eine Bremse, groß wie ein Haus? Eine Spinne? - Irgendwie konnte das alles nicht sein. Aber immer wenn ich an dieses Ungeheuer dachte, begann ich haltlos zu zittern und mir wurde übel vor Angst.

Das Bild war verdammt unklar. Ich kam zu dem Schluß, daß ich es, was immer es war, nicht richtig angeschaut hatte. Und bei Licht betrachtet, konnte es nur der Drache gewesen sein.

Da hatte ich mich echt bescheuert benommen. Offensichtlich hatten meine Instinkte die Oberhand über über meinen Körper gewonnen, weil dieses Wesen irgendeine Urangst angesprochen hatte. Was heißt "benommen"? Ich hatte so automatisch reagiert, wie ein Mensch die Hand zurückzieht, wenn er einen heiße Herdplatte berührt. Ich ärgerte mich über mich selber. Außerdem hatte ich - glücklicherweise immer noch - einen unerfahrenen Reiter auf meinem Rücken.

"Kandit?" sprach ich ihn an.
Der Diener löste zögernd die Arme, mit denen er sich an meinen Oberkörper geklammert hatte und entspannte seine verkrampften Beine.
"Sind Drachen Insekten?" fragte ich.
"Nein. Sie stammen aber aus derselben entwicklungsgeschichtlichen Wurzel und haben Faszettenaugen wie Insekten." antwortete er.

Eigentlich hatte ich das gewußt. Aber daß sie aussehen wie ein gestaltgewordener Alptraum, hatte mir niemand erzählt. Er zitterte am ganzen Leibe. Offensichtlich war er genauso außer sich vor Entsetzen wie ich. Dabei kannte er doch Drachen und hatte mir erzählt, daß er keine Angst vor ihnen hatte. Daran konnte es also nicht liegen.

*Du meine Güte!* fiel mir ein *Der arme Mann kann ja noch nicht einmal richtig reiten. Er hätte sich den Hals brechen können, wenn er sich nicht so gut festgeklammert hätte.*
"Tut mir leid, daß ich so davongestürmt bin - aber mit so einem Anblick habe ich einfach nicht gerechnet. Wenn du dich dann sicherer fühlst, kannst du diesmal vor der Tür absteigen. Aber eigentlich denke ich, daß ich mich unter Kontrolle haben werde, weil ich weiß, was für ein Anblick mich erwartet."

Er stieg vor der Tür ab. Dann schaute ich vorsichtig hinein und betrachtete den Drachen. Ähnlichkeit mit Insekten war kaum vorhanden - Drachen sahen sehr fremdartig aus und hatten neben den riesigen Flügeln vier Beine und zwei Arme - aber das Chitinskellet war bei ihnen nach innen verlagert und umgab nur noch das Nervensystem und die verkümmerten Reste des Verdauungssystems. Von der Gestalt her erinnerte der Drache eher an einen Vogel oder eine Eidechse als an Insekten.

"Kandit. Es ist alles in Ordnung. Du kannst wieder aufsteigen."
"Das ist nicht nötig. Ich gehe lieber zu Fuß."
"Kandit, du SOLLTEST wieder aufsteigen. Und zwar sofort. Wenn du das nicht machst, wirst du dich nie wieder auf ein Pferd wagen. Alte Reiterweisheit."
Er biß sich auf die Lippen und wich zurück.
"Komm. Es ist immer besser, sich seinen Ängsten zu stellen, als davonzulaufen."
Er bleib stehen, zitterte aber am ganzen Leibe.

"Du hättest mich umbringen können!" warf er mir vor.
"Das stimmt. Ich wußte nicht, daß mir auch so etwas passieren könnte. Ich dachte immer, nur Pferde gehen durch. Komm steig auf. Hier gibt es keine zweite Überraschung, die mich erschrecken könnte."
Er rührte sich nicht.
"Steig auf, das ist ein Befehl."
Er versuchte es, zitterte aber so sehr, daß es ihm nicht gelang. Also hob ich ihn hoch drückte ihn an mich und sagte:
"Tut mir leid, es tut mir ehrlich leid."
Er begann zu weinen. Ich trug ihn so lange in den Armen, bis er sich einigermaßen wieder beruhigt hatte, dann setzte ich ihn wieder auf meinen Rücken.

Da hatte meine Panik ja etwas angerichtet.

Ich spürte einen sanften Druck in meinem Geist, öffenete mich dem und spürte fremdartige Gedanken, die mich zu einem Gestell leiteten, an dem ich wie zu den Untersuchungen festgeschnallt werden sollte. Ich ließ den Diener herunter, trat rückwärts zwischen die Stäbe und half ihm dabei, mich festzuschnallen. Das diente zu meinem Schutz, denn der Drache würde meinen Geist lesen und das kann so heftige Krämpfe auslösen, daß es zu Knochenbrüchen führt, wenn man nicht mit gestreckten Gelenken angeschnallt ist, so daß man sich nicht bewegen kann. Der Diener zitterte immer noch.

Ich sah zu dem Drachen auf, er erwiderte meinen Blick, dann spürte ich einen Druck außen an meinem Geist, öffnete mich ihm und verlor das Bewußtsein für die Außenwelt.
In meinem Geist war der Drache wie eine Ansammlung schillernder unabhängig voneinander fliegender kleiner Seifenblasen.

"Hier bist du ja ein Mensch!" bemerkte es.
Ich schaute mich überrascht an und stellte fest, daß ich hier tatsächlich die Gestalt eines dunkelblau gekleideten Mannes angenommen hatte. Dabei hatte ich mich einfach nur wie ich selbst gefühlt.
"Ja. Hier bin ich ein Mensch." antwortete ich.
"Und blau gekleidet."
Er sagte das, als hätte es irgendeine ganz besondere Bedeutung. Mir aber wollte beim besten Willen keine solche Bedeutung einfallen. Sie war einfach nur meine Kleidung und fühlte sich richtig an.

Ich verwandelte mich in einen Zentaur, schnaubte und scharrte mit den Hufen.
"Was möchtest du wissen?"
"Warum bist du eben davongerannt?"
Ich führte eine der Seifenblasen, die Teile des Drachen waren in eine bestimmte Tür meines Geistes und zeigte ihm meine Erinnerung an die panische Flucht, während die anderen Blasen sich in alle Richtungen zerstreuten und sich andere Teile meines Geistes ansahen. Ich versuchte vergeblich den Überblick zu bewahren, was sie sich alles anschauten, während der Hauptteil meiner Aufmerksamkeit der einen galt, die meine panische Flucht beobachtete.
"Und dann bist du zurückgekehrt..." dachte er, beeindruckt, als er meine überwältigende Panik wahrnahm.

"Ja. Es wäre dumm gewesen, das nicht zu tun." antwortete ich.
"Sicher. Aber es gab genug, die nicht zurückgekehrt sind, obwohl sie auch nicht mehr Angst gehabt haben können als du."
Ich zuckte mit den Schultern.
"Ich wußte, daß die Angst nichts mit der Realität zu tun hatte, die hier auf mich wartete. Sie muß sich auf irgendwelche Insekten beziehen." antwortete ich.

Ich weiß sonst nicht mehr, was alles geschah. Als ich nach der Geistlesung wieder zu mir kam, hatte ich Kopfschmerzen, aber es ging. Der Drache war der Drachenkönig.

Ich erhielt einen Tag Ruhe in einer dunklen Box, um mich zu erholen, dann klopfte ein fremder Mann an. Ich ließ ihn ein und wunderte mich, daß seine Kleidung keinerlei Berufskennzeichen und Rangabzeichen hatte und auch keine Fabrik- oder Institutsuniform war. Selbst freie Forscher kleideten sich nie dermaßen seltsam.
"Ich bin Kesrith, der Reiter von Luzifer, dem jüngsten Sohn des Drachenkönigs."
Ich lud ihn zu einer Tasse Tee ein und fragte nach seinen Wünschen. Drachenreiter, so sagt man, sind halbe Drachen und ihr Wort gilt genauso wie das des Drachen, den sie reiten. Deshalb war es höchst unklug, einen Drachenreiter zu verärgern.

Kesrith, Luzifers Reiter erzählt:
Luzifer hatte so lange hartnäckig gebettelt, daß er sehen wollte, wie ich den Zentaur reite, daß ich schließlich trotz meiner Bedenken hinging und ihn bat, zu tun was der Kleine will.

Ich klopfte an den Ruheraum, in dem er sich von der Geistlesung erholt hatte und hielt die Luft an, als er öffnete. Jorian, der Zentaur war einfach schön. Atemlos vor Bewunderung sah ich seine stolze Gestalt an und wollte bewundernd über das glänzende kohlrabenschwarze Fell streichen.

Er räusperte sich vernehmlich.

Ich zuckte zurück:
"Tut mir leid. Aber du bist so schön - ich habe mich bei Deinem Anblick völlig vergessen."
"Ich bin kein Tier und ich kann es zum Tod nicht ausstehen, wie ein solches behandelt zu werden!" antwortete er ungnädig.
"Es war echt keine Absicht..."
"Wer bist Du überhaupt?"

Als ich mich vorstellte erschrak er, lächelte verlegen, faßte sich sofort wieder und meinte:
"Ich glaube, das können wir beide besser. Vielleicht vergessen wird das eben einfach und beginnen noch einmal von vorne."
Er lud mich zum Tee ein - und verhielt sich wie der vollendete Gastgeber.

Bei dem darauffolgenden Gespräch stellten wir fest, daß wir einiges gemeinsam hatten. Wir waren beide auf einem Gestüt aufgewachsen und hatten beide einige örtliche Dressurwettkämpfe gewonnen, wenn auch ich als Reiter und er als derjenige, der geritten wurde. Schnell kamen wir überein, daß wir draußen gemeinsam reiten wollten, auch wenn diese Hochgebirgslage dafür nicht die beste Gegend war.

Es war ein ganz eigenes Erlebnis ihn zu reiten. Jorian hatte sich jede Gangart einstudiert, die jemals ein Pferd beherrscht hatte. Er beherrschte die unglaublichsten reiterischen Tricks und erklärte mir, die Hilfen, die seine Reiterin und Übungspartnerin bei ihm benutzt hatten. - Das war nötig, da ich bei ihm ja im Gegensatz zu jedem Pferd, das ich bisher geritten hatte, keine Zügel hatte.

Doch als wir zum Abschluß ein Stück galloppieren wollten, trat er sich einen Stein ein und bat mich abzusteigen, bis ihm sein Huf nicht mehr so wehtut. Daraufhin meinte Luzifer, er wolle uns abholen.

Als ich das Jorian mitteilte begann er zu zittern und meinte:
"Sag ihm, er soll außer Sichtweite landen!"
Ich war verblüfft und fragte:
"Warum? Hast Du etwa Angst? Er tut dir doch nichts!"
"Das weiß ich. Es ist eine instinktive Angst. Mein Körper verwechselt ihn mit einer Riesenbremse oder so, und ich glaube einfach nicht, daß ich mich genug unter Kontrolle habe, um nicht wegzulaufen, wenn er direkt vor mir landet. Sag ihm er soll außer Sichtweite landen. Wenn ich zu ihm hingehe, habe ich mich unter Kontrolle."

Ich war erstaunt, tat aber, worum er mich gebeten hatte. Luzifer landete hinter einer Felsnase und achtete dabei sorgfältig darauf, daß wir ihn nicht sehen konnten. Dann begleitete ich den Zentaur dorthin und beobachtete, wie er als er den ersten Blick auf meinen Drachen warf, vor Angst erstarrte und am ganzen Leibe zu zittern begann. Dennoch ging er auf den Drachen zu und sprang sogar auf seine Hand, als Luzifer ihn dazu aufforderte. Dort legte er sich hin und erlaubte Luzifer sogar in seinen Geist zu schauen.

Erst als es Abend wurde, tat er das, wozu er hergekommen war. Luzifer fragte Jorian, ob er ihn reiten wolle und als er zustimmte, schnallte ich den Zentauren im Sattel sorgfältig fest. Auch Menschen erlauben wir nicht, ohne Sicherungsriemen zu reiten, aber da Jorian sich nicht vernünftig festhalten konnte, war das bei ihm noch wichtiger. Jorian konnte diesen Ritt überhaupt nicht genießen, er hatte schreckliche Höhenangst.

Wie sehr Luzifer durch diese kurze Begegnung beeindruckt worden war, merkte ich erst nach und nach. Er muß wohl fast die gesamten Erinnerungen des Zentauren kopiert haben, denn von da ab zeigte er mir bei allen möglichen Gelegenheiten kurze Scenen aus dem Leben des Zentauren, die mit seinen eigenen liebevollen Gedanken unterlegt waren.

Gats erzählt:
Nach seiner Rückkehr teilte Jorian dem bisherigen Institutspsychologen mit, daß er auf einen anderen Posten versetzt worden sei und wurde selber der Psychologe von Dulitz.

Ich war mit dem vorherigen Institutspsychologen schon befreundet gewesen, bevor die Drachen ihn für dieses Amt ausgewählt hatten. Nach seinem ersten Flug zum Drachenplaneten hatte er überhaupt nicht mehr wie er selbst gewirkt. Zeitweise tat er Dinge, die so gar nicht nach ihm aussahen und in den Zeiten, wo er sich benahm, wie ich ihn kannte, wirkte er, als hätte er vor irgendetwas furchtbare Angst.

Schließlich sprach ich ihn darauf an und er erzählte mir:
"Wenn ich einfach tue, was ich denke, dann merke ich oft mittendrin, daß ich mir das nicht selbst ausgedacht habe sondern etwas getan habe, was jemand anders gedacht hat. Drachengedanken. Ich habe einfach Angst, daß ich irgendwann nur noch tue, was der Drache will, weil ich gar nicht mehr weiß, was ich selbst bin."

Wir redeten nachher noch öfter über dieses Problem und ich machte ihn jedesmal aufmerksam, wenn ich dachte, er sei nicht er selbst. Dieses Problem war jeweils, wenn er frisch von den Drachen zurückkehrte am schlimmsten und wurde dann besser, bis er wieder zu den Drachen mußte. Trotzdem vertraue ich meinem alten Freund immer noch, denn ich weiß, er würde nicht absichtlich etwas Schlechtes tun.

Als Jorian zu den Drachen befohlen wurde, machte ich mir deshalb Sorgen um ihn. Doch er wirkte überhaupt nicht verändert, als er zurückkehrte. Und er tat etwas was sein Vorgänger nie getan hatte: Er sagte immer wieder
"Der Drachenkönig hat dies befohlen, der Drachenkönig hat jene Anweisung gegeben."

Schließlich erzählte ich Jorian von dem Problem seine Vorgängers und fragte, warum das bei ihm so anders ist.
"Das mit den fremden Gedanken kenne ich auch." antwortete Jorian, "Aber eigentlich ist es eher so ähnlich, als hätte jemand ein Buch, das ich geschrieben habe, korrekturgelesen und kommentiert. Ich habe mit zwei Drachen geredet. Was Luzifer, der kleine Drache in meinen Geist eingefügt hat, erkenne ich immer sofort, denn es beginnt mit "Hallo Jori" und hört mit "Tschüß" auf. Mit den Anmerkungen des Drachenkönigs ist das schwieriger. Ich weiß nicht, ob ihm einfach egal ist, ob ich seine Anmerkungen als fremd erkenne, oder ob er sie sogar bewußt getarnt hat. Jedenfalls muß ich aufmerksam sein, um sie zu erkennen. Aber das geht eigentlich schon, denn sie fühlen sich etwas anders an als meine eigenen Gedanken. Und wenn ich mich mit einem Problem befasse und dabei eine Anmerkung in meinem Geist finde, bezeichne ich sie je nach Tonfall als Befehl oder Verbesserungsvorschlag des Drachenkönigs." erklärte Jorian.
"Und der kleine Drache?"
"Oh der kleine Luzifer ist einfach lieb. Und er gibt nie Befehle."

Kersti

Fortsetzung:
FE9. Kersti: Elternsorgen

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben