Er ließ das Ende eines dünnen Bandes zu mir herunterfallen und befahl mir, eine Strähne meines Haares daran festzubinden, dann würde er mich freilassen. Ich schnitt eine Strähne ab, band sie fest und wunderte mich. Er zog sie hoch. Ich hörte wie er oben etwas tat und rätselhafte Worte flüsterte. Schweigend wartete ich, bis er fertig war und fragte mich, was das sollte. Dann warf er mir eine Strickleiter herunter und befahl mir hochzukommen. Ich gehorchte und war noch verwirrter, weil er offensichtlich keine Sicherheitsmaßnahmen getroffen hatte, um mich festzuhalten. Er wirkte einfach zu sorglos - was mich sehr beruhigte, denn die Menschen hatten mich immer nur aus Angst angegriffen. Nur verstehen tat ich es nicht.
"Knie nieder!" befahl er scharf und fuchtelte
mit einem merkwürdigen Amulett herum.
Ich sah ihn verwirrt an und beschloss mitzuspielen, einfach um
herauszufinden, was er sich bei dem ganzen Zirkus dachte. Ich
kniete nieder. Abgesehen davon war er seit
sehr langer Zeit der erste Mensch, der mit
mir redete und ich wollte, daß das so bleibt.
"Erstarre!"
Ich blieb unbeweglich knien und fragte mich, ob er wirklich glaubte, Macht
über mich zu haben. Er kam her und gab mir eine gepfefferte Ohrfeige,
so daß ich hinfiel. Ich tat so, als könnte ich mich nicht
bewegen.
"Siehst du, du mußt mir gehorchen und kannst nichts dagegen
tun." sagte er.
Er glaubte es wirklich. Ich fragte mich, wo
er das Märchen herhaben mochte.
"Steh auf." "Folge mir."
Ich gehorchte seinen nächsten beiden Befehlen und folgte ihm
neugierig, wo das wohl hinführen mochte, zu seinem Haus.
Dort stand eine Käfig bereit und er befahl mir hineinzugehen. Einen Augenblick zögerte ich, dann gehorchte ich. Wenn er glaubte, mich unter seiner Gewalt zu haben, war anzunehmen, daß er keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen treffen würde, eine Flucht zu verhindern, wenn er etwas Häßliches mit mir vorhatte. Sollte es nur Sklavenarbeit sein, würde ich die tun und froh sein, unter Menschen leben zu dürfen. Abgesehen davon erbrachte eine kurze Untersuchung des Käfigs das Ergebnis, daß meine Kraft ausreichen würde, die Hinterwand mit ein paar festen Handkantenschlägen in Kleinholz zu verwandeln. Ich war stärker als Menschen und das wußte er nicht oder hatte es nicht bedacht.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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