Als ich beinahe mit der Geschichte fertig war, stürmte eine Frau aus
dem Haus auf uns zu. Sie hatte ein großes Messer in der Hand.
"Geh zu ihr hin." sagte ich zu dem Kind und stellte sie auf den
Boden.
Dadurch war sie zwischen mir und der Frau und verhinderte einen
erfolgreichen Angriff auf mich. Es war nur die Angst einer Mutter um ihr
Kind, und sie würde sich nicht gegen das Kind richten. Sie nahm das
Kind auf den Arm.
"Ich lasse nicht zu daß du Retia etwas tust." fauchte sie
mich an.
"Wenn ich ihr wirklich etwas tun wollte, wäre es längst zu
spät gewesen. Wir haben uns seit über einer Stunde
unterhalten." antwortete ich.
So kam es also, daß ich unter Menschen lebte. Zehn Jahre ging es gut. Ich arbeitete Tag und Nacht hart auf den Feldern und bekam dann Abends dafür zu essen. Alle außer dem Kind redeteten sehr herablassend mit mir und wann immer jemand etwas Ungezogenes tat, war ich schuld. Mein Gefühl, an allem Schuld zu sein, war so überwältigend, daß ich nicht einmal innerlich gegen diese ständigen ungerechten Strafen rebellierte, sondern sie als selbstverständlich hinnahm und die Schläge dafür klaglos über mich ergehen ließ. Nur Retia beobachtete mich und merkte, daß ich nicht nur für ihre kleinen Raubzüge in der Speisekammer bestraft wurde, sondern für alle Ungezogenheiten, die irgendeiner in der Familie tat. Sie gewöhnte sich ihre Ungezogenheiten ab, damit ich nicht so oft bestraft wurde. Die anderen waren eher häufiger ungezogen als am Anfang.
Im Großen und Ganzen war ich glücklich denn ich durfte unter Menschen leben und dann war da dieses Kind, daß mich abgöttisch liebte und ich liebte es auch.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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