vor 15.2.00

Fantasy, Darkover: Zwillingsbande

G8.

Des Kampfes dunkler Tanz

von Kersti Nebelsiek

Toal erzählt:

An einem schönem, sonnigen Frühlingstag saß ich wie so oft am Rande des Übungsfeldes und sah zweien meiner Halbbrüder bei einem Übungskampf zu. Ich haßte die ständigen Kampfübungen, mit denen ich als Sohn des Herrn vom großen Haus von Shainsa so viel Zeit verbringen mußte. Ich war ein unauffälliger Junge, hellblond, mittelgroß und ungeschickt mit allen Waffen. Kurz, ich war wie geschaffen als Opfer aller Hänseleien meiner Brüder und Halbbrüder, von denen es zu meinem Leidwesen sehr viele gab. Ich war zwölf. Meine älteren Brüder hatten schon das Haus verlassen, um sich in den vielen Jugendbanden Kihar zu erwerben. Doch das half mir wenig, denn schon die neun- oder zehnjährigen waren mir im Kampf überlegen.

Gedankenverloren holte ich meinen blauen Stein aus seiner seidenen Umhüllung und schaute ihn an. Er war eine Erbstück von meiner Mutter, die bei meiner Geburt gestorben war. Ich rätselte, warum sie mir ausgerechnet einen so gewöhnlichen blauen Stein vererbt hatte. Ich verstand mich selbst nicht, wieso ich dieses lächerliche Ding nicht schon längst weggeworfen hatte. Ich gab es nie einem anderen in die Hand. Unverwandt sah ich den Stein an. Da, im Stein war ein blaues Licht. Oder hatte ich mich getäuscht? Eine ganze Weile suchte ich noch danach, doch es tauchte nicht wieder auf. Plötzlich stand Rakhal, einer meiner Brüder hinter mir:
"Na spielst du schon wieder mit deinem Steinchen? Du wirst noch mal so verweichlicht wie ein Laranzu aus den Domänen!"

Wie oft hatten mich die anderen schon mit dieser Frage geärgert? Jedesmal, wenn ich es gewagt hatte zu antworten, endete das mit einem Kampf, den ich unweigerlich verlor. Das brachte mir noch mehr Spott ein. Deshalb hatte ich es mir abgewöhnt, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Ich spürte Neid. Es fühlte sich fast so an, als wäre ich neidisch. Aber es war anders. Es ging von Rhakal aus. Irgendwie hatte seine Gefühle einen anderen Klang als meine. Ruhig sagte ich zu ihm:
"Du würdest auch gern so einen Stein haben."
*Kann Toal Gedanken lesen?* fragte sich mein Bruder und hatte eine Angst, die an Panik grenzte. Höhnisch widersprach er:
"Pah! Ich bin kein verweichlichter Laranzu wie du. Ich spiele nicht mit Steinchen."
Dieser Satz war eine Lüge. Ich spürte den Neid, der hinter diesen Worten lag und hatte Mitleid mit Rhakal. Da tauchte Verachtung in seinen Gedanken auf:
*Er ist sogar zu feige mir zu widersprechen.*
Wütend fuhr ich herum, zog Dolch und Schwert.
"Komm her, wenn du was willst!" forderte ich ihn heraus.
"Na Kleiner, willst du nicht lieber gleich aufgeben?" spöttelte Rhakal. Er war verwirrt und verunsichert, weil ich auf seine Gedanken reagiert hatte. Doch er beruhigte sich schnell bei dem Gedanken:
*Toal kann nicht kämpfen. Er war schon immer ein Feigling.*

Rasend vor Wut ging ich auf ihn los, erkannte, wie ich mir eine Blöße gab. Ich wußte genau, wo er mich zu treffen versuchte und konnte mich doch nicht schützen. Jeden Hieb sah ich voraus, doch es gelang mir oft nicht, ihn abzuwehren. Meine Wut, die Angst mich übernommen zu haben, mischten sich mit den Gefühlen meines Bruders. Irgendwann bemerkte ich einen Rhythmus in seinem Kampf, fast wie bei einem Tanz. Behutsam fügte ich mich ein, wurde zu einem Teil seines Kampfes.
*Ich tanze den Sieger.* kam mir seltsam klar und eindringlich der Gedanke. Das änderte alles. Wie von selbst gelangte meine Waffe stets an die richtige Stelle, fing die Hiebe meines Gegners ab. Langsam begann Rakhal unsicher zu werden. Seine Klinge traf immer öfter ins Leere. Er kam aus dem Tritt, reagierte langsamer. Plötzlich hatte er keine Deckung mehr. Wie ein Blitz zuckte mein Schwert vor, riß eine tiefe, klaffende Wunde in meines Bruders Brust. Brennende Schmerzen flammten auf. Dann wurde mir schwarz vor Augen.

Die Erinnerungen an die folgenden Wochen sind wirr, unlogisch und es gelang mir nicht, Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Ich träumte oft, ich wäre ein Mädchen und täte Dinge, die Mädchen nicht tun. Dann folgten andere Träume, von mir selbst oder Rhakal:

Ich befinde mich in einem blauen Kristall und kämpfe gegen Rakhal, ein unheimlicher Tanz, und ich tanze den Sieger. Des Kampfes dunkler Rythmus zieht mich vollkommen in seinen Bann läßt mich weitertanzen, immer weiter, unaufhaltsam. Wieder steht Rakhal ungedeckt vor mir und mein Schwert reißt eine tiefe Wunde in seine Brust. Plötzlich bin ich dann der Verlierer, breche unter dem Hieb zusammen, den ich selbst geführt habe. Es wird dunkel um mich herum, alles verliert seine Bedeutung, nur der Schmerz bleibt.

Ein anderer Traum folgte. Er war genauso wirr, genauso vom Schmerz durchzogen wie der vorhergehende.

Dann wandere ich über eine endlose graue Fläche, ich suche etwas, ich weiß nicht was, doch ist es wichtig für mich. Plötzlich steht meine Zwillingsschwester vor mir und schickt mich zurück zu meinem Körper. Ich tue, was sie mir sagt, denn ich weiß: sie hat recht.

Ich wurde sehr krank, viel kränker als sich durch meine Wunde allein erklären ließ.

Tianna erzählt:

Kurz nach meinem zwölften Geburtstag wurde ich schwer krank. Ich hatte eine Krankheit, die die Heilerin nicht kannte. Alle hatten sie Angst, daß ich sterben könnte. Meine Amme, die mich und meinen Zwillingsbruder liebte, als wären wir ihre eigenen Kinder, saß die ganze Zeit an meinem Bett und hielt meine Hand. Ich schlief und hatte Alpträume. Viele dieser Träume waren so konfus, daß ich beim besten Willen keinen Sinn darin erkennen konnte. Es gab einen Traum, der oft in leicht abgewandelter Form wiederkehrte. Darin war ich ein Junge, der nicht kämpfen konnte und doch ständig gegen andere antreten mußte, die ihn besiegten und danach verspotteten. Ich haßte diese Träume voller Spott und Scham darüber, daß ich ein unfähiger Kämpfer wäre. Dabei hatte ich nie den Wunsch verspürt, kämpfen zu lernen. Ich wurde wieder gesund, aber die Träume von diesem Jungen blieben. Sie wurden seltener, doch es kam hin und wieder vor, daß sie mich am hellichten Tage überfielen.

Eines Tages hatte ich einen anderen Traum. Wieder war ich dieser Junge, doch diesmal konnte ich kämpfen. Ich trat gegen meinen Halbbruder Rhakal an. Der Kampf war wie ein Tanz. Ein Tanz, der schnelle und richtige Reaktionen verlangte, der wunderschön und gefährlich war. Atemlos verfolgte ich ihn, genoß die Schnelligkeit, die Genauigkeit der Hiebe, den mitreißenden, ständig wechselnden Rhythmus. Und dann sah ich, wie Rhakhal verwundet wurde, spürte einen alles überwältigenden Schmerz. Zitternd lehnte ich mich an die Wand. Ich wußte jetzt, wer der Junge war, von dem ich immer geträumt hatte.
"Tianna, du siehst so blaß aus. Ist etwas?" fragte mich eine der Frauen des Hauses besorgt.
"Nein nur ein Alptraum." entgegnete ich abwesend.
"Alptraum? Kind, es ist hellichter Tag!" rief die Frau bestürzt.
"Ich habe geträumt, daß mein Zwillingsbruder Toal gegen Rakhal gekämpft hat."

Gedankenverloren kaute ich auf meinem roten Zopf. Flüchtig kam mir in den Sinn, daß mein Haar doch eigentlich blond und kurz sein müßte.
*Es schien mir so wirklich*, dachte ich *vielleicht ist es tatsächlich geschehen. Ich glaube, zur Sicherheit gehe ich ihn suchen.*

Ohne zu überlegen tat ich das, was mein Bruder getan hätte, wäre er an meiner Stelle gewesen. Wie ein Affe kletterte ich vom Fenster aus in den Apfelbaum und sprang hinunter ins Gras, bewegte mich genauso, wie mein Bruder immer. Seinen Erinnerungen folgend ging ich zu der Stelle, wo sie gekämpft hatten und starrte entsetzt die Wunden an.
*Bin ich nicht eigentlich Toal,* fragte ich mich verwirrt, *und Tianna ist meine Schwester?*

Entschlossen schob ich diesen unsinnigen Gedanken zu Seite und und verband behelfsmäßig die Wunden, wie mein Bruder es gelernt hatte. Es war nur eine erste Hilfe, den Rest würde eine Heilerin machen müssen.

Schnell lief ich zu meines Vaters Räumen und rief:
"Vater, Vater Toal und Rakhal haben auf dem Übungshof miteinander gekämpft und sind verletzt."

Ich versteckte mich, bevor man mich fragen konnte, woher ich das wußte, denn plötzlich wurde mir klar, daß ich etwas getan hatte, daß den meisten Frauen eines großen Hauses undenkbar erschienen wäre: Ich hatte heimlich die Frauengemächer verlassen.

Es gab nichts, das mich auf das vorbereitet hätte, was in den nächsten Wochen auf mich zukam. Ich hatte vorher Toals normalen Alltag miterlebt, ohne es zu wollen. Das war mir oft auf die Nerven gegangen. Ich hatte es gehaßt. Aber es war auch interressant gewesen und hatte meinem Geist Beschäftigung geboten. Durch die Verletzung wurde das anders. Er war krank, hatte Schmerzen und Alpträume, die zu konfus waren, als das sie für mich interressant hätten sein können. Hinzu kam, daß er mich plötzlich genauso wahrnahm wie ich ihn und darauf ebenso gereizt und wütend reagierte wie ich auch. Die Wunden heilten gut und ich glaubte deshalb, diese Alpträume würden bald wieder aufhören. Ich fand mich damit ab, die Zeit bis dahin durchstehen zu müssen. Doch als seine Wunden verheilt waren, fiel er in einen Schlaf voller Alpträume und wachte nicht wieder auf. Die Heilerin wußte sich keinen Rat und ich ging den ganzen Tag nervös auf und ab und überlegte, was ich tun könnte, damit diese unerträglichen Alpträume aufhörten. Die ganze Geschichte erinnerte mich an meine eigene, schwere Krankheit, durch die ich angefangen hatte, Toals Leben zu träumen. Ich überlegte, wodurch ich wieder gesund geworden war und kam auch auf einen Idee, von der ich glaubte, daß sie Toal helfen könnte. Also wartete ich auf eine Gelegenheit, meinen Vater anzusprechen. Ich war seine Lieblingstochter. Ich vermute es lag daran, daß ich meiner Mutter, je älter ich wurde, immer mehr ähnelte. Ich glaube, er war regelrecht verliebt in mich. Er war fähig, die Gefühle und Gedanken einer Frau zu verstehen und respektierte meine Wünsche. Ich dachte damals, das sei normal. Erst Jahre später habe ich erfahren, daß die wenigsten Männer in den Trockenstädten eine Frau verstehen können, oder ihr Achtung entgegenbringen. Ich habe von verliebten Vätern gehört, die ihre Kinder vergewaltigten und nie begriffen, wie grausam das war.

"Vater, bitte laß mich zu meinem Bruder!" bat ich meinen Vater, sobald ich ihn alleine erwischen konnte.
"Aber Kind, du weißt doch, daß er zu krank ist, um dich zu erkennen und Ruhe braucht!" wies mich mein Vater zurecht.
"Vielleicht kann ich ihn ja gesundmachen." argumentierte ich.
"Red keinen Unsinn, Mädchen. Du hast keine Ahnung von der Heilkunde." Mein Vater nahm mich nicht ernst.
"Ich weiß was er hat." behauptete ich.
"So und was ist es?" fragte Vater prüfend.
"Letztes Jahr, als ich krank war, hatte ich dasselbe." erklärte ich ihm.
*Das hilft ihm auch nicht.* glaubte mein Vater zu wissen und befahl: "Der Junge braucht Ruhe und damit basta. Geh auf dein Zimmer, Tianna. Ich habe wichtigeres zu tun, als mit dir zu streiten."

Den Tränen nahe warf ich mich vor ihm auf die Knie und flehte:
"Oh bitte Vater! Ich kann es nicht ertragen, wenn Toal so leidet!"
"Nein."
Ich brach in Tränen aus.

*Jetzt denkt Vater, daß ich meinen Bruder liebe, dabei weiß ich doch bloß nicht mehr, wie ich seine Alpträume ertragen soll.* dachte ich. Vater konnte es nicht ertragen, mich weinen zu sehen.
"Dann geh nur, Kind. Ein Versuch kann ja nicht schaden." meinte er und befahl einem seiner Männer, mich zu Toal zu bringen. Dort bat ich den Mann, das Zimmer zu verlassen, da ich für das, was ich versuchen wolle, Ruhe brauche. Kaum war der Mann fort, trat ich an Toals Bett und gab ihm eine Ohrfeige.

Toal erzählt:

Ich lernte, Tianna zu hassen. Sie hatte nichts getan, womit sie das verdient hätte, doch die Träume, in denen ich ihr Leben und ihre Probleme miterlebte, waren mehr, als ich während meiner Krankheit ertragen konnte. Wütend fuhr ich auf, als Tianna mir eine gepfefferte Ohrfeige gab. Ich hatte schon wieder geglaubt, ich sei sie.
*Ich wußte keine andere Möglichkeit, dich zu wecken.* entschuldigte sie sich. Wütend sprang ich auf und griff sie an, doch das Mädchen warf mich mit ein paar Handgriffen zu Boden.
*Das sind genau die Griffe, die ich verwendet hätte!* staunte ich.
*Natürlich. Glaubst du, jemand hätte mir Unterricht im Kämpfen gegeben?* spottete sie in Gedanken.
*Gibt es irgendeinen Gedanken, den dieses Biest nicht mitkriegt?* fragte ich mich ärgerlich.
*Was kann ich dafür, daß du mich mit deinen Problemen plagst?* warf sie mir vor.
*Als wenn ich mir das ausgesucht hätte!* entgegnete ich zornig.
Langsam wurden wir beide wütend, doch keiner hatte Lust wieder mit dem Kämpfen anzufangen.

*Besonders schön ist sie nicht, meine Schwester, aber wegen der roten Haare werden die Männer sich um sie reißen.* überlegte ich.
*Hör auf darüber nachzudenken, das geht dich nichts an.* reagierte Tianna zornig.
Ich verdrehte die Augen und dachte aus tiefstem Herzen:
*Ich wünschte, ich hätte keine Schwester!*
*Ich wünschte, ich hätte keinen Bruder.* gab sie zurück. Es war ihr genauso ernst wie mir. Dann fuhr sie ruhiger fort:
*Gib mir deine Hand. Hier ist es. Spürst du wie da etwas fließt? Hier auch ... und da entlang.*

Langsam führte Tianna meine Hand über das ganze System dieser merkwürdigen Strömungen in ihrem Körper und während sie das tat, begann ich sie fast zu sehen.
*Siehst du, so muß das aussehen. Nun guck mal bei dir. Es stockt überall. Bring es dazu, richtig zu fließen.*

Ich fühlte mich hilflos. Woher sollte ich wissen, wie man so etwas macht?

*Du weißt, wie das geht. Horch in dich hinein, dann mach einfach das, was sich richtig anfühlt.* erklärte sie.
*So einen Rat kann einem aber nur ein Mädchen geben.* dachte ich.
Wütend fuhr Tianna auf:
*Los, mach was ich dir gesagt habe, bring das Zeug zum fließen!*
*Und wie?* fragte ich.
*Ich hab dir gesagt, daß du weißt, wie es geht! Streng dich doch an!* dachte meine Schwester mir wütend zu, *So dumm kann sich nur ein Junge anstellen!*
*Ach ja, kennst du Mädchen, die das versucht haben?* spöttelte ich.
*Schon gut. Ich geb's auf. Es ist zwecklos.*
Einen Augenblick saß sie nachdenklich an meinem Bett und rief sich ins Gedächtnis zurück, wie es sich angefühlt hatte, diese Strömungen wieder richtig zum Fließen zu bringen. Sie dachte weder in Bildern noch in Worten. Ich verstand sie dennoch. Es war ganz einfach, als ich es machte und als verzöge sich ein Nebel vor meinen Augen, als wären meine Ohren plötzlich schärfer. Sobald sie sicher war, daß ich es geschafft hatte, verließ meine Schwester ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Neugierig untersuchte ich die Stellen, an denen Rakhal mich verwundet hatte. Es waren nur unauffällige, kleine Narben zurückgeblieben. Ich war sehr mager geworden und hatte Hunger.
*Wie lange war ich krank?* fragte ich mich.
*Fast zwei Monate.* antwortete meine Schwester von irgendwoher.
*Verdammtes Biest! Liest du alle meine Gedanken?*
*Hoffentlich nicht.*

Ich war schon wieder so wütend, daß ich Tianna am liebsten verprügelt hätte. Leider war sie zu weit weg.
*Und Rakhal?*
*Der ist wieder gesund.*

In dem Augenblick betrat der Krieger das Zimmer, der Tianna zu mir gebracht hatte.
"Du bist ja tatsächlich wach!" Argwöhnisch musterte er mich. "Was hat sie denn gemacht?"
"Sie hat mir verraten, wie ich mit dieser merkwürdigen Krankheit fertigwerden kann."
"Und?"
"Du siehst doch, daß es mir gut geht!"
"Dann sage ich deinem Vater Bescheid." sagte er und ging. Als ich versuchte aufzustehen, mußte ich feststellen, daß meine Beine mich nicht tragen wollten. Ich war zu lange krank gewesen.

Tianna sorgte dafür, daß ich so schnell wie möglich einen Teller warmer Suppe erhielt, den ich verschlang wie ein hungriger Wolf. Dann fiel ich in einen langen, erholsamen Schlaf ohne Alpträume von Kämpfen, blauen Kristallen und einer endlosen grauen Ebene. Nur Tianna störte meinen Schlaf.

Später kam mein Vater, um mit mir zu reden. Es ist mir unbegreiflich warum, aber ich war sein Lieblingssohn.
"Toal, was hast du dir dabei gedacht, mit Rakhal einen Kampf anzufangen? Ihr hättet beide sterben können!"
"Rakhal hat mich beleidigt. Soll ich mir das gefallen lassen?"
"Nein. So lange du in meinem Haus lebst, hast du die Pflicht, darauf zu achten, daß du kein Mitglied unseres Haushaltes verletzst. Ernsthafte Kämpfe führt man mit Feinden, nicht mit den eigenen Brüdern. Du weißt doch, wie ich zu diesem Haus gekommen bin?"

Diese Geschichte kennt jeder Junge unseres Hauses. Eines Tages wurde der Herr dieses Hauses von einigen Kiharai getötet. (Kiharai= Frauen, die sich Kihar erworben haben. Es handelte sich um die freien Entsagenden, die Melora Aillard befreit hatten. Anm. von Tianna) Augenblicklich begannen seine Söhne, um das Haus zu streiten. Seine Männer schlossen sich entweder einem der Söhne an, oder versuchten, das Haus auf eigene Faust zu erringen. Diese Situation nutzte mein Vater geschickt aus, indem er mit seiner damals nur zehnköpfigen Bande alle Gruppierungen nacheinander besiegte. Nun ist es das Haus meines Vaters.

Während ich langsam wieder zu Kräften kam, hatte ich reichlich Zeit zu grübeln und mich selbst dafür zu hassen, daß ich so ein schlechter Kämpfer war. Tianna muß wohl einiges davon mitbekommen haben, jedenfalls unterbrach sie mich irgendwann, als sie Zeit dazu hatte und alleine in ihrem Zimmer saß, indem sie mir zudachte:
*Ich weiß, warum du so schlecht kämpfen kannst. Du willst gar nicht gewinnen.*

Wütend widersprach ich. Tianna lachte - vermutlich nur in Gedanken. Wir haßten uns gegenseitig insbrünstig dafür, daß wir einander ständig unbeabsichtigt die Gedanken lasen. Sie hatte mich wütend machen wollen, dann fuhr sie ernst fort:
*Ich meine, du hast eine Abneigung gegen das Kämpfen. Es wäre schwierig für dich, wenn du diese Abneigung mit der Freude über einen Sieg in Einklang bringen müßtest.*

So klang das wesentlich vernünftiger. Wenn ich es mir richtig überlegte, war es tatsächlich einer der Gründe, warum ich nicht gut im Kämpfen war. In einem langen Gespräch über das für und wider von Kämpfen, nahmen wir meine Gedanken zu diesem Thema auseinander, durchdachten meine und ihre Ängste und Zweifel. Nachher war ich mir sicher, daß ich lernen wollte, so gut zu kämpfen, daß ich es mir leisten konnte, meine Feinde zu besiegen, ohne ihnen schwere Verletzungen zuzufügen. Denn mir war klar, daß in den Trockenstädten kein Mann in Frieden leben kann, der nicht kämpft, um seine Rechte zu verteidigen.

Es dauerte lange, bis ich wieder so gut wie früher kämpfte. Nicht nur, daß ich anfangs durch meine Krankheit geschwächt und aus der Übung war. Es bereitete mir weit grössere Probleme, daß ich im Voraus wußte, was mein Gegner machen würde. Rechtzeitig, um noch zu erschrecken und zurückzuzucken, wenn ein Hieb gut gezielt war, doch für eine vernünftige Abwehrbewegung reichte die Zeit nie. Stattdessen brachte mich dieses Vorherwissen immer aus dem Tritt, so daß ich nach wenigen Minuten verwirrt und erschöpft aufgab. Wochen vergingen so, Monate bis es mir endlich einmal wieder gelang, den Rhytmus des Kampfes zu finden, wie ich das bei meinem Streit mit Rakhal gemacht hatte. Doch in diesem Kampf spielte ich die Rolle des Verlierers. Dabei sollte es noch fast ein halbes Jahr bleiben. Jeden Tag übte ich mit den anderen Jungen des Hauses stundenlang kämpfen und jeden Übungskampf verlor ich. Selbst den Kleinen, die ich vorher nur mit einem Dolch hätte auseinandernehmen können, war ich unterlegen.

Der einzige Lichtblick waren meine Übungen mit dem kleinen Joel, ein niedlicher Junge von 4 Jahren, der mich vergötterte. Es machte Spaß ihm das Kämpfen beizubringen, denn er lernte viel schneller, als ich je gelernt hatte. Manchmal hörte ich, wie die anderen hinter meinem Rücken spotteten, daß an mir doch eine gute Mutter verlorengegangen sei. Ich zog vor das zu überhören. Vielleicht hätte ein ernsthafter Kampf dazu geführt, daß ich wieder richtig hätte kämpfen können, so wie gegen Rakhal. Aber diese Vorstellung war für mich noch furchterregender als die, hoffnungslos unterlegen zu sein. Was wäre, wenn ich einen von meinen Brüdern erschlagen hätte?

Stattdessen übte ich mit dem kleinen Joel und angetrieben durch Tiannas bissige Kommentare, versuchte ich herauszufinden, was ich bei ihm anders machte, als bei meinen anderen jüngeren Brüdern, denen ich früher auch immer überlegen gewesen war. In mühevoller Kleinarbeit fand ich die Unterschiede in meiner Einstellung heraus und ich verlor doch immer wieder. Irgendwann kam ich bei einem meiner Übungskämpfe mit dem kleinen Joel auf die Idee:
*Ich könnte jetzt Kampf den Verlierer spielen.* Ich tat es. Plötzlich gelang es mir nicht mehr die ungeschickten Hiebe meines kleinen Brüderchens abzuwehren. Ich wußte bei jedem Schlag vorher genau, wo er treffen wollte, er bewegte sich so, wie ich vorhergesehen hatte, wie in einem Alptraum. Und doch gelang es mir nicht, sie abzuwehren. Ich kam ins Schwitzen, versuchte verzweifelt, mich zu wehren. Immer weiter mußte ich zurückweichen. Unausweichlich fanden die Hiebe meines kleinen Bruders ihr Ziel, trieben mich gegen die Wand, bis ich schließlich ganz aufgeben mußte.

*Jetzt müßte ich nur noch gegen Rakhal den Sieger spielen.* dachte ich ironisch.

Am nächsten Tag kämpfte ich dann wieder gegen meinen Halbbruder Rakhal. Wir stellten uns gegenüber wie immer. Plötzlich kam mir der Gedanke:
*Ich brauche ja gar nicht zu glauben, daß ich der schlechtere Kämpfer von uns beiden bin!*

Eine seltsame Erleichterung, eine Freude machte sich in mir breit. Bei Beginn des Kampfes übernahm ich wie selbstverständlich die Rolle des Siegers, wehrte mühelos jeden seiner gut gezielten Hiebe ab, drängte Rakhal Schritt für Schritt zurück an die Wand der Übungshalle, bis er schließlich völlig erschöpft aufgeben mußte.

"Wie hast du denn das gemacht?" fragte mein Bruder fassungslos, "Du bist doch eigentlich gar nicht so gut."
"Ich habe eben den Sieger gespielt." antwortete ich wahrheitsgemäß.

Rakhal überlegte, ob ich plötzlich verrückt geworden sei, was mich zum Lachen brachte. Daraufhin kam er zu dem Ergebnis, daß ich wohl doch nur einen Witz gemacht hätte.

*Irren ist menschlich.* dachte ich mir und zog es vor, ihm nicht zu erklären, was ich damit gemeint hatte. Es ist nicht unbedingt vergnüglich, als Verrückter betrachtet zu werden.

Bald darauf verließ ich mein Mutterhaus und ging hinaus in die Wüste. Ich wurde bei einer der berühmtesten Jugendbanden als Mitglied aufgenommen und galt als einer der besten Kämpfer dieser Bande, neben Taron Einarm, dem Führer. Da der seine Sache sehr gut machte, sah ich keinen Grund, ihn abzusetzen. Ich hatte mehr davon, ihn bei der Führung der Bande zu beobachten und von ihm zu lernen.

Erst viel später begriff ich, daß ich Tianna nicht nur haßte. Ich liebte sie mehr als jeden anderen Menschen auf dieser Welt.

Kersti


G9. Kersti: Fortsetzung: Frau mit Kihar
GI1: Kersti: Übersicht: Zwillingsbande
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
Z60. Kersti: Fantasywelt Darkover
VB17. Kersti: Fantasy
1. Kersti: Zauberschloß
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Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de