Ein Essenerheiler, der unerwarteterweise mitten in Kampfhandlungen hineingerät, arbeitet weiter, ohne den Kampf eines Blickes zu würdigen. Das ist eine Sicherheitsfrage. Es führt dazu, daß die kämpfenden Parteien ihn automatisch umgekehrt auch nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie nur auf Menschen achten, die ihnen gefährlich werden könnten.
Die Römer gewannen, sahen sich im Dorf um und erschlugen jeden, den sie dabei fanden - jeden Mann, jede Frau, jedes Kind. Zum Schluß kamen sie zu uns und erstachen die Verletzten der Reihe nach. Ich konnte nichts tun. Ich gab nicht zu erkennen, daß ich sie überhaupt bemerkte, arbeitete einfach weiter, indem ich um Heilung für meinen augenblicklichen Patienten betete. Schließlich kam der Römer zu mir, erstach den Patienten und stieß mich grob an.
"Jetzt bist du an der Reihe."
"Friede sei mit dir." grüßte ich ihn und lächelte ihm
zu.
"He, du bist jetzt dran, mit dem Sterben." wiederholte er.
"Ja. Friede sei mit dir." wiederholte ich den Gruß ruhig und sah
ihm offen in die Augen.
Er holte mit dem Messer demonstrativ aus stach zu und wurde von den
Rippen aufgehalten. Insgesamt war es nur ein Kratzer. Ich schloß
daraus, daß der Römer mich nicht wirklich hatte erstechen
wollen. Er wußte zweifellos, daß er das Messer nur um 90
Grad hätte drehen müssen, damit es zwischen den Rippen
hindurchgleiten und mein Herz treffen kann. Ich strahlte ihn an.
"Der hier ist verrückt geworden." sagte der Römer trocken zu
seinen Kameraden.
Ich mußte über diese Bemerkung lachen, was den Eindruck der
Römer nur noch bestätigte. Eigentlich gibt es keinen logischen
Grund, weshalb man Verrückte nicht erstechen sollte. Dennoch wurde
ich nur in Ketten gelegt und abgeführt.
Dann marschierten sie mit mir ab und Maria stand im Dorf und sah mir entsetzt nach. Ich wunderte mich, daß sie noch lebte, wo die Römer doch selbst die Babys erstochen hatten.
Als Gefangener war ich ein schrecklicher Langweiler. Ich beobachtete die Wolken am Himmel und bewunderte ihre schönen Farben. Die Soldaten fragten sich, was mich daran interessieren konnte. Ich gab auf die wüstesten Beschimpfungen nette Antworten. Sie kamen zu dem Ergebnis, daß ich nicht verstand, wovon sie redeten. Die drei, vier Schläge, die sie mir versuchsweise gaben, ignorierte ich völlig, wies nur auf einen hübschen Vogel hin, der vor uns herflatterte. Schließlich gaben sie den Versuch auf, meine heitere Laune zu erschüttern und unterhielten sich über ihre eigenen Probleme.
Als sie in ihrer Garnison ankamen, mußten zwei Männer mich
bewachen. Sie waren mit ihren Unterhaltungen bei ihren Familien
angekommen. Einer von ihnen hatte eine kranke Tochter. Ich erkundigte
mich nach genaueren Einzelheiten der Erkrankung und gab ihm dann eine
Salbe für das Kind. Da bekam auch sein Kamerad Interesse an mir und
fragte mich, ob ich auch seiner gelähmten Mutter helfen
könne.
"Vermutlich ja. Dazu muß ich sie jedoch sehen." antwortete ich.
Also verließen die Männer ihren Posten und brachten mich zu
der alten Frau.
Ich mußte einige Stunden arbeiten, um ihr verschmutztes
Energiefeld zu heilen, während das gesamte Lager nach dem
verschwundenen Gefangenen und seinen pflichtvergessenen Wächtern
abgesucht wurde. Als ich endlich fertig war, konnte die Frau aufstehen -
und sie fanden uns. Langsam machte mir die Geschichte Spaß, mit
diesen ganzen Verwicklungen. Ich begrüßte die empörten
Soldaten mit einem herzlichen Lächeln und sagte:
"Oh - ihr habt uns gesucht. Entschuldigt. Es tut mir leid, das ihr so
viel Mühe damit hattet. Aber diese Frau war so schwer krank. Ihr
müßt verstehen, daß ich mich zuerst um ihr Leiden
kümmern mußte." entschuldigte ich mich.
Zuerst einmal blieb ihnen der Mund offenstehen. Dann besann sich der
Zenturio doch noch auf seine Strafpredigt, die er für uns
vorbereitet hatte und ließ uns allen dreien jeweils zehn
Peitschenhiebe geben. Und nachdem ich noch eine unwesentliche Verletzung
am Arm des Zenturios geheilt hatte, durften mich die beiden Soldaten
freilassen.
"Und, war euch das die Schläge wert?" fragte ich.
"Ja. Aber warum hast du dich um unsere Familien gekümmert? Das
hatten wir doch nicht verdient." fragte einer.
"Essenerheiler heilen auch die Verletzten ihrer Feinde. Das ist eine
Frage der Ehre." antwortete ich mit einem alten Lehrsatz Karmels.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
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