7/2008

VB53.

Ockhams Skalpell dient nicht dazu die richtigste Theorie auszuwählen, sondern dazu die nützlichste Theorie zu finden

Ockhams Skalpell (auch Occams Rasiermesser, Ockhams Rasiermesser, engl. Occam's Razor) ist das Sparsamkeitsprinzip der Wissenschaft. Es besagt, daß von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, die einfachste allen anderen vorzuziehen ist. Gewöhnlich wird hierbei unter "einfach" verstanden, daß sie auf möglichst wenigen Grundannahmen beruht.

Diese Aussage ist in vielen Zusammenhängen und für viele Zwecke der Wissenschaft sehr hilfreich und nützlich. In anderen Fällen sollte man dieses Prinzip nicht anwenden, da es dort mehr schadet als nützt.

Ockhams Skalpell hilft bei der Frage, welche Theorie man zuerst auf ihre Richtigkeit überprüfen sollte

Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, sind die einfachsten meist am leichtesten überprüfbar, weil man wenige Variablen hat, die man bei der Überprüfung miteinbeziehen muß.

Wenn man etwas erklären will, fängt man also, wenn man schnell verwertbare Ergebnisse haben will, mit Theorien an, die nur wenige Faktoren berücksichtigen. Von diesen einfachen Theorien findet man durch Experimente heraus, welche am besten zutrifft.

Erst danach beginnt man sich zu überlegen, wie die Abweichungen zwischen Theorie und Experiment zu erklären sind und überprüft ob sie eher durch eine der nächst komplizierteren Theorien oder eher durch Nachbesserungen der bisher richtigsten Theorie korrigiert werden könnten.

Wenn man so vorgeht wird man schneller zu nützlichen Ergebnissen kommen, als wenn man zuerst versuchen würde, komplizierte Theorien zu überprüfen. Deshalb beschleunigt die Anwendung von Ockhams Skalpell die wissenschaftliche Forschung und hilft ihr, zu besseren Ergebnissen zu kommen.

Ockhams Skalpell ist nützlich bei Theorien, die im Hintergrund der Forschung verwendet werden

Seit etwa 500 Jahren - seit Beginn der Neuzeit - nimmt das Ausmaß der wissenschaftlichen Forschung immer mehr zu. Sachverhalte die sich leicht erforschen lassen und mit wenigen Grundannahmen zu erklären sind, sind gewöhnlich schon seit langem erforscht.

Um heute Forschung betreiben zu können, die zu neuen und für die Wissenschaften interessanten Ergebnissen führt, braucht man eine umfassende Allgemeinbildung. zusätzlich braucht man eine fachspezifische Bildung, die in dem Bereich der bisherigen Forschung an dem man arbeiten will, noch wesentlich tiefgehender sein und die aktuellen Forschungsergebnisse umfassen muß.

Wenn man ein konkretes Forschungsvorhaben hat, nutzt man das bisher erforschte Wissen, um darauf aufbauend, neue Dinge zu erforschen.

Beispiel

Wenn man annimmt, daß bei einem Experiment zu einem ganz anderen Thema, errechnet werden muß, wie weit ein geworfener Körper kommt, bevor er auf die Erde auftrifft, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen, stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl, das zu tun.

  • Man rechnet gar nichts, sondern mißt den gesuchten Wert direkt
  • Man verwendet die Formel, die man im Gymnasium gelernt hat. Ihr liegen unausgesprochen folgende eigentlich falsche Annahmen zugrunde:
    • Die Erde ist eine Scheibe, d.H. die Erdoberfläche ist gerade
    • Die Fallbeschleunigung ist auf der Erdoberfläche überall gleich (9,80665ms-2)
    • Außer dem Gewicht des Körpers, seiner Anfangsgeschwindigkeit, der Lage der Erdoberfläche und der Fallbeschleunigung spielen keine weiteren Faktoren eine Rolle
  • Man benutzt eine Formel, die auf der Annahme beruht, daß die Wurfbahn der Ausschnitt einer Ellypse ist, in deren einem Brennpunkt der Schwerpunkt der Erde liegt. Dem liegt immer noch folgende falsche Annahme zugrunde:
    • Außer dem Gewicht des Körpers, seiner Anfangsgeschwindigkeit, der Lage der Erdoberfläche und dem Gewicht und Schwerpunkt der Erde spielen keine weiteren Faktoren eine Rolle
  • Man mißt die tatsächlich vorhandene Schwerkraft und ihren Winkel zur Erdoberfläche an jeder Stelle im Raum und berechnet darauf aufbauend die exakte Flugbahn Dem liegt immer noch folgende falsche Annahme zugrunde:
    • Außer dem Gewicht des Körpers, seiner Anfangsgeschwindigkeit, der Lage der Erdoberfläche und der vorhandenen Schwerkraft spielen keine weiteren Faktoren eine Rolle
Jede dieser Formeln kann verbessert werden, indem man weitere Faktoren mit einbaut, wie beispielsweise:
  • Den Luftwiderstand berücksichtigen
  • Winddruck berücksichtigen
  • Bei der ersten Möglichkeit: Die Normfallbeschleunigung durch die Ortsfallbeschleunigung ersetzen
  • Die Einflüsse der Anziehungskraft von Mond und Sonne berücksichtigen
In der Praxis kann es sein, daß nur ein Teil der möglichen Verfahren, den gesuchten Wert herauszufinden, genau genug sind, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Aber von diesen Verfahren sollte man möglichst das einfachste nehmen, denn
  • Das spart Geld und Material, so daß man mehr verschiedene Dinge erforschen kann, wenn man möglichst einfache Verfahren verwendet
  • Die Gefahr, daß man einen Fehler macht und ihn übersieht, ist bei komplizierten Verfahren größer als bei einfachen Verfahren
  • Rundungsfehler summieren sich nicht so stark auf, deshalb kann ein einfaches Verfahren, das aber auf nicht ganz richtigen Annahmen beruht, manchmal genauere Ergebnisse liefern, als ein kompliziertes aber theoretisch richtigeres Verfahren

Ockhams Skalpell macht keinerlei Aussage über den Wahrheitsgehalt einer Theorie

Beim Lesen der vorherigen Abschnitte wird schnell klar, daß Ockhams Skalpell eine Entscheidungshilfe dafür ist, wie man möglichst effizient forscht. Es beschleunigt die Forschung, wenn man diesen Grundsatz beherzigt. Ockhams Skalpell macht Aussagen darüber, welche von drei Modellvorstellungen, deren Ergebnisse der Wahrheit ähnlich nahekommen am nützlichsten ist, wenn man sie in der Praxis verwenden will - es macht aber keine Aussage darüber, welche dieser Modellvorstellungen der Wahrheit am nächsten kommt.

Deshalb kann Ockhams Skalpell nicht dazu dienen, ungeprüfte Theorien als falsch auszusortieren, nur weil sie zu kompliziert sind. Im Gegenteil - die Realität ist immer komplizierter als jede Theorie. Wir vereinfachen die Realität, um trotz der beschränkten Leistungsfähigkeit unseres Gehirns sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Ockhams Skalpell ist ein Werkzeug, das beim sinnvollen Vereinfachen hilft.

Kersti

VA42. Kersti: Warum es nicht sinnvoll ist, sich in der Physik gleich gar keine Modellvorstellungen mehr zu machen
VA43. Kersti: Randomisierte Doppelblindstudien - braucht man noch andere Methoden in der Medizin?
VA49. Kersti: Literaturrecherche nach wissenschaftlich fundierter Literatur
VA67. Kersti: Welche nichtwissenschaftlichen Faktoren verfälschen das Wissen der Fachleute über den Stand medizinischer Forschung?
VA122. Kersti: Erkenntnistheorie: Was ist Wahrheit?
VA125. Kersti: Fehlertypen in der Wissenschaft
VA126. Kersti: Forschungsstrategien: Wenn ein Mediziner, ein Physiker und ein Historiker sich mit demselben medizinischen Thema beschäftigen, kommt nicht dasselbe dabei heraus
VA127. Kersti: Um das Wissenschaftliche Weltbild der Fachleute realistischer zu machen, brauchen wir viel mehr auswertende Forschung
VA128. Kersti: Wer sollte die Forschung in der Medizin betreiben?
VA136. Kersti: Was ist eine Wissenschaft?
VA137. Kersti: Esoterik ist keine Wissenschaft
VA138. Kersti: Homöopathie ist eine Wissenschaft
VA139. Kersti: Wissenschaftsforschung
VA152. Kersti: Wissenschaft ist nicht was wahr ist, Wissenschaft ist was bewährt ist
VA178. Kersti: Der Unterschied zwischen "schlecht recherchiert" und "nicht allwissend sein"
VA277. Kersti: Entwicklung einer Wissenschaft
VA288. Kersti: Ist die Schulmedizin kritikfähig?
VA297. Kersti: Ist Rationalismus das Gegenteil von Mystik?
VA298. Kersti: Wissenschaftliche und esoterische Erforschung des Feinstofflichen
VA318. Kersti: Wissenschaftlicher Umgang mit Esoterik
VA319. Kersti: Warum alle bekannten Beweise für das feinstoffliche den Naturwissenschaftler nicht befriedigend vorkommen
VB2. Kersti: Lernen ist Spiel
VB6. Kersti: Wer beweist mir den Nutzen von Impfungen?
VB7. Kersti: Danke für Kritik
VB14. Kersti: Wie lernt man etwas grundsätzlich Neues dazu?
VB15. Kersti: Lernen: Zwischen den Stühlen
VB20. Kersti: Fachidiotentum
VB45. Kersti: Warum ich meine Seite nicht so organisiere, wie es die wollen, die sie nicht gut finden
VB50. Kersti: Entwicklungspsychologie: Weltbild-Stufen
VB56. Kersti: Verschiedene Formen des Ahnung habens
VB57. Kersti: Die Fehler der GWUP am Beispiel von Sitchin
VB58. Kersti: Drei Arten der Disziplin
VB59. Kersti: Was sind echte Neuerfindungen?
VB66. Kersti: Warum es keine Skeptikervereine gibt, die meinen Ansprüchen genügen
VB71. Kersti: Maßlose Grausamkeit: Leben die sich nicht mehr wirklich sortieren lassen
VB76. Kersti: Unser Gesamt-Ich steht zu unserem Alltags-Ich in demselben Verhältnis wie ein Rollenspieler zu seiner Spielfigur
VB87. Kersti: 3. ADHS und Kreativität: Erfolg ist nicht einfach Zufall
VB89. Kersti: Hamers Biologische Konflikte sind so etwas Ähnliches wie Schlüsselreize
VB92.2.1 Kersti: Typen von Absichten: Glaubenssätze
VB92.3.5 Kersti: Überlagerte Absichten: Weltbilder
VB92.4.7 Kersti: Kollektive Weltbilder
VB92.6.4.7 Kersti: Wahrnehmung des Wyrd: Weltbilder und Gedankenkristalle
VB96. Kersti: Das Alien-Problem der außergewöhnlichen Menschen
V33. Kersti: Wissenschaftliche Arbeit, Doktortitel und Verschwörungstheorien
V93. Kersti: Fantasyersatz und die Scheißwahrheit...
V94. Kersti: Eine Sammlung sämtlicher denkbarer Verrücktheiten
V95. Kersti: Literaturrecherche nach Büchern der Impfgegner
V96. Kersti: Suche nach Beweisen für den Nutzen von Impfungen
V150. Kersti: Den Fachleuten vertrauen?
V176. Kersti: Standpunkte
V194. Kersti: Was unterscheidet eine Gehirnwäsche von einem Dazulernen?
V213. Kersti: Was unterscheidet eine Ideologie von einem gesunden Weltbild?
V255. Kersti: Einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten...
V292. Kersti: Populärwissenschaftliche Bücher?
V294. Kersti: Warum Außenseitermeinungen für Fachleute schwerer zu verstehen sind als für Laien
V300. Kersti: Ohne eigene Erfahrungen keine zutreffende Theorie
V307. Kersti: Über den 100. Affen...

Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de
Da ich es leider nie schaffe, alle Mails zu beantworten, schon mal im Voraus vielen Dank für all die netten Mails, die ich von Lesern immer bekomme.
Werbung ist nicht erwünscht und ich bin nicht damit einverstanden, daß diese Adresse für Werbezwecke gespeichert wird.