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VB253.

Es gibt keine Spiegelneuronen, sondern nur ein neuronales Spiegeln

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1. Gibt es Spiegelneuronen?

Als ich das erste mal etwas von Spiegelneuronen (englisch: mirror neurons) hörte fand ich das interessant, aber irgendetwas daran kam mir auch komisch vor. Ich schaute also nach, was die Originalartikel waren und kam zu dem Schluß, daß es keine Spiegelneuronen gibt, sondern daß neuronales Spiegeln ein Funktionsmechanismus des Gehirns ist, der überall da eingesetzt wird, wo es sinnvoll erscheint, die Vorgänge, die in einem anderen Gehirn ablaufen, zu simulieren.

In diesem Artikel versuche ich die Überlegungen die mich zu diesem Schluß führten deutlicher zu machen.

Zunächst einmal setze ich voraus, daß "Spiegelneuronen", wenn man die Bezeichnung rechtfertigen kann, eine spezielle Neuronenklasse sind, deren Hauptzweck spiegeln ist, oder die noch andere gemeinsame Eigenarten haben außer daß sie unter anderem zum spiegeln eingesetzt werden. Diese anderen gemeinsamen Eigenarten können chemische Eigenarten sein wie ein gemeinsamer Rezeptortyp, der mit dem Spiegeln im Zusammenhang steht oder aber Eigenarten in der Gestalt der Neuronen, die sie besonders geeignet zum spiegeln machen. Wenn diese Neuronen neben anderen Tätigkeiten auch neuronales spiegeln mit durchführen, ist das keine ausreichende Begründung für eine Bezeichnung, die eine eigene Neuronenklasse nahelegt.

Der Ausdruck Neuronales Spiegeln legt dagegen keine Neuronenklasse nahe, sondern ist von dem generellem Ausdruck "Spiegeln" abgeleitet der in der Verhaltensforschung, beschreibt, daß eine Person das Verhalten des Gegenübers nachahmt. Neuronales Spiegeln ist daher eine Nachahmung, die im Gehirn durch Nervenzellen stattfindet und wird zwar in manchen Gehirnbereichen stattfinden und in anderen nicht, weil Nachahmung im Rahmen der Gehirnfunktionen nicht überall sinnvoll ist, aber es ist ein generelles Funktionsprinzip, das in verschiedenen Gehirnbereichen stattfindet, die abgesehen davon unterschiedliche Funktionen haben.

Die Frage ist also, ob es nur ein neuronales Spiegeln gibt, das durch unterschiedliche Nervenzelltypen in unterschiedlichen Gehirnbereichen ausgeführt wird oder ob es auch Spiegelneuronen gibt, die eine spezielle Zellklasse darstellen. Wenn das nicht der Fall ist, wäre der Begriff Spiegelneuronen falsch gewählt, weil man jede dieser Neuronenklassen, die spiegeln nach ihren anderen Funktionen benennen müßte.

 
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2. Meinten die Originalautoren und ihre Mitarbeiter Spiegelneuronen oder neuronales spiegeln?

Autor: Giuseppe di Pellegrino, Autor: Luciano Fadiga, Autor: Leonardo Fogassi, Autor: Vittorio Gallese, Autor: Giacomo Rizzolatti veröffentlichten 1992 einen wissenschaftlichen Artikel mit dem Titel "Understanding motor events: a neurophysiological study" in der Zeitschrift " Zeitschrift: Experimental Brain Research"5.. In dem Text ist ebenfalls von Aktivitätsmustern des Gehirns die Rede, nicht von einem Aktivitätsmuster eines einzelnen Neurons, wie der Hauptautoren des Wikipedia-Artikels fälschlichterweise behauptete15.. "Neuronen des rostralen Teils des inferioren prämotorischen Kortex des Affen entladen sich bei zielgerichteten Handbewegungen wie Greifen, Halten und Reißen. Wir berichten hier, dass viele dieser Neuronen auch dann aktiv werden, wenn der Affe spezifische, sinnvolle Handbewegungen beobachtet, die von den Experimentatoren ausgeführt werden."5.1

Der Begriff Spiegelneuronen (englisch: mirror neurons) wurde erst in einem späteren Artikel über den Forschungsgegenstand von Autoren derselben Forschungsgruppe das erste mal erwähnt. 1996 - Action recognition in the premotor cortex - Zitat aus dem Abstract: "Previous data had shown that neurons of this area discharge during goal-directed hand and mouth movements. We describe here the properties of a newly discovered set of F5 neurons ("mirror neurons', n = 92) all of which became active both when the monkey performed a given action and when it observed a similar action performed by the experimenter. Mirror neurons, in order to be visually triggered, required an interaction between the agent of the action and the object of it. The sight of the agent alone or of the object alone (three-dimensional objects, food) were ineffective." - es geht also wieder um Aktivitätsmuster im Gehirn und die "mirror neurons" sind diejenigen Neuronen die sowohl beim selber handeln als auch bei der Beobachtung derselben Handlung aktiv werden.1.

Auch der Artikel Action recognition in the premotor cortex beschreibt Aktivitätsmuster des gesamten Gehirns, bei denen manche Neuronen beim Beobachten einer Handlung exakt so reagieren wie beim ausführen derselben Handlung während andere Neuronen nur ähnlich reagieren. Hier sind wieder die Worte "mirror neurons" für den Begriff des neuronalen Spiegelns verwendet, denn die Neuronen sind nicht NUR für das Spiegeln zuständig, sondern haben eigentlich die Funktion der Handlungsplanung und werden eben auch verwendet, um Handlungsplanungen nachzuvollziehen.1.

Grasping objects and grasping action meanings: the dual role of monkey rostroventral premotor cortex (area F5), der 1998 erschienen älteste Artikel mit den Worten "mirror neurons" als zusammenhängendem Ausdruck, den ich auf PubMed gefunden habe, hat noch eine auf F5 beschränkte Perspektive. Er verwendet die Worte, um Aktivitätsmuster des gesamten Gehirnbereiches zu beschreiben. "Monkey area F5 consists of two main histochemical sectors, one buried inside the arcuate sulcus, the other located on the cortical convexity. Neurons of both sectors discharge during hand movements. Many of them also fire in response to the presentation of visual stimuli." hier wird deutlich, daß die englische Sprache falsch verwendet wurde: "In the case of 'canonical' neurons, this copy gives a description of how to grasp an object; in the case of mirror neurons it gives a description of an action made by another person." Hier wird deutlich daß die englische Sprache falsch verwendet ist, denn die "canonical neurons" sind nach der zuerst zitierten Aussage exakt dieselben Neuronen wie die "mirror neurons" - man hätte besser von "neuronal motor actions" und "neuronal mirroring" gesprochen.2.

Giacomo Rizzolatti, Maddalena Fabbri-Destro und Luigi Cattaneo, die italienischen Autoren des Originalartikels Mirror neurons and their clinical relevance benutzen zwar die Worte "Mirror neurons" beschreiben aber tatsächlich Aktivitätsmuster des gesamten Gehirns, die einander ähneln, also ein neuronales Spiegeln, das man auf englisch korrekterweise als "neuronal mirroring" bezeichnet hätte. Ich nehme an, daß sie als Nicht-Muttersprachler einfach die falschen Worte gewählt haben, weil sie eben Biologen und nicht berufliche Übersetzer sind. Sie haben definitiv keine speziellen Spiegelneuronen nachgewiesen. Nenn mir ein Beispiel eines wissenschaftlichen Artikels, in dem nachgewiesen wird, daß es spezielle Spiegelneuronen und nicht Aktivitätsmuster des gesamten Gehirns gibt.3.

In Hearing Sounds, Understanding Actions: Action Representation in Mirror Neurons ist von Ähnlichkeiten in den Aktivitätsmustern des gesamten Gehirns die Rede, nicht von einzelnen Neuronen die ausschließlich die Funktion des spiegelns haben. Auch hier sind die Worte "Mirror neurons" für den Begriff des neuronalen Spiegelns verwendet worden.4.

Motor and cognitive functions of the ventral premotor cortex in den angezeigten Teilen des Artikels ist ausdrücklich gesagt, daß der genannte Gehirnbereich zwar beim nachahmen eine Rolle spielt aber auch andere Funktionen hat, es wird deutlich daß auch hier von Aktivitätsmustern des Gehrinbereiches die Rede ist, es wird also wieder neuronales spiegeln beschrieben, keine speziellen extra Spiegelneuronen. 6.

 
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Texte anderer Autoren

Im Abstract des Artikels "Single neuron responses in humans during execution and observation of actions" von Roy Mukamel, Arne D. Ekstrom, Jonas Kaplan, Marco Iacoboni und Itzhak Fried ist sogar ausdrücklich von "multi-sensory mirroring mechanisms" die Rede: "In humans, indirect measures of neural activity support the existence of sensory-motor mirroring mechanisms in homologue frontal and parietal areas, other motor regions, and also the existence of multi-sensory mirroring mechanisms in non-motor regions." Der Ausdruck "Single neuron responses" bezieht sich auf die Genauigkeit der Untersuchung, nicht darauf, daß eine einzelne Nervenzelle "Aktivitätsmuster" zeigen würde. Wär mir jetzt auch unbekannt, daß es so etwas gäbe. 8.

Der Text Genetic dissection of neural circuits beschäftigt sich nicht mit Spiegelneuronen, macht aber indirekt eine wesentliche Aussage dazu: "The realization that individual neurons are the building blocks of the nervous system was a key conceptual leap in neuroscience (Cajal, 1911). This advance is analogous to the insight that the gene is the unit of operation in genetics and molecular biology (Morgan, 1911; Beadle and Tatum, 1941; Benzer, 1955; Jacob and Monod, 1961). However, studying individual genes is insufficient to understand cells. Similarly, studying single neurons is insufficient to comprehend how the brain works." Den zentralen Satz noch einmal auf deutsch: Das Verstehen einzelner Nervenzellen reicht nicht aus, um zu verstehen, wie das Gehirn arbeitet.9.

Eight Problems for the Mirror Neuron Theory of Action Understanding in Monkeys and Humans sucht nach einem System an Spiegelneuronen in der wörtlichen Bedeutung und an dem Ort, wo diese zuerst beobachtet wurden. Der Autor Gregory Hickok hält den Nachweis nicht für erbracht, weil das Beobachtete eher nach neuronalem Spiegeln im Gehirn und nicht nach einer Population an speziellen Spiegelneuronen aussieht.10.

in Critical review of the research leading to the mirror neuron paradigm - biomed 2010 kommen Paolo B Pascolo, Riccardo Budai und Rubens Rossi dem abstract nach zu urteilen zu demselben Schluß wie der vorhergehende Autor.11.

In Where do mirror neurons come from? schreibt Cecilia Heyes daß die ähnlichen Aktivitätsmuster im Gehirn durch Assoziatives lernen zustandekommen und das kein spezialisiertes und vorgefertigtes Muster an Spiegelneuronen existiert.12.

V. Kosonogov kommt Why the Mirror Neurons Cannot Support Action Understanding. zu dem Schluß, daß die in den ersten sachbezogenen artikeln beobachteten Neuronenpopulationen zum Verständnis von Handlungen beitragen, weil es sinn macht, Handlungen innerlich zu simulieren um sie später selbst ausführen zu können, daß sie aber eben nicht die bedeutung der Handlung verständlich machen13.

In The role of shared neural activations, mirror neurons, and morality in empathy – A critical comment kommen die Autoren zu dem Schluß "In sum, use of the term “mirroring” might be helpful as a loose analogy for the process of “reproducing” the affective experiences of others in our own emotion-related neural systems. However, we need to be aware that this is not the same as presuming that empathic abilities are causally linked to mirror neurons. Not only is this view empirically incorrect; it might also have broader, negative scientific and practical implications for our understanding of empathy."7.

Ich habe also keinen Text gefunden, der Spiegelneuronen beweist, sondern nur Formulierungen, die zeigen daß die Autoren die das Wort benurtzen und die Existenz befürworten, neuronales Spiegeln meinen.

Kersti

 
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Quellen

  1. Autor: Vittorio Gallese, Autor: Luciano Fadiga, Autor: Leonardo Fogassi, Autor: Giacomo Rizzolatti: Action recognition in the premotor cortex. In: Zeitschrift: Brain, Volume 119, Issue 2, April 1996, Pages 593–609, Welt: DOI: 10.1093/brain/119.2.593, Welt: PMID: 8800951 (Welt: Volltext)
  2. Autor: Giacomo Rizzolatti, Autor: Luciano Fadiga: Grasping objects and grasping action meanings: the dual role of monkey rostroventral premotor cortex (area F5). In: Zeitschrift: Novartis Foundation symposium, 1998:218:81-95; discussion 95-103. Welt: doi: 10.1002/9780470515563.ch6., (Welt: PMID: 9949817)
  3. Autor: Giacomo Rizzolatti, Autor: Maddalena Fabbri-Destro, Autor: Luigi Cattaneo: Mirror neurons and their clinical relevance. In: Zeitschrift: Nature, Clinical Practice, Neurology, 01 Jan 2009, 5(1):24-34 (Welt: DOI: 10.1038/ncpneuro0990, Welt: PMID: 19129788 (Welt: Volltext)
  4. Autor: Evelyne Kohler, Autor: Christian Keysers, Autor: M. Alessandra Umiltà, Autor: Leonardo Fogassi, Autor: Vittorio Gallese, Autor: Giacomo Rizzolatti: Hearing sounds, understanding actions: action representation in mirror neurons. In: Zeitschrift: Science, 2002 Aug 2;297(5582):846-8. (Welt: PMID: 12161656, Welt: DOI: 10.1126/science.1070311 (Welt: Volltext)
  5. Autor: Giuseppe di Pellegrino, Autor: Luciano Fadiga, Autor: Leonardo Fogassi, Autor: Vittorio Gallese, Autor: Giacomo Rizzolatti Understanding motor events: a neurophysiological study. In: Zeitschrift: Experimental Brain Research, Volume 91, pages 176–180, (1992) Welt: DOI: 10.1007/BF00230027, Welt: PMID: 1301372
    • 5.1 "Neurons of the rostral part of inferior premotor cortex of the monkey discharge during goal-directed hand movements such as grasping, holding, and tearing. We report here that many of these neurons become active also when the monkey observes specific, meaningful hand movements performed by the experimenters."
  6. Autor: Giacomo Rizzolatti, Autor: Leonardo Fogassi, Autor: Vittorio Gallese: Motor and cognitive functions of the ventral premotor cortex. In: Zeitschrift: Current Opinion in Neurobiologypremotor cortex, Volume 12, Issue 2, 1 April 2002, Pages 149-154, Welt: DOI: 10.1016/s0959-4388(02)00308-2, Welt: PMID: 12015230
  7. Autor: Claus Lamm, Autor: Jasminka Majdandžić: The role of shared neural activations, mirror neurons, and morality in empathy – A critical comment. In: Zeitschrift: Neuroscience Research, Volume 90, January 2015, Pages 15-24 (Welt: Volltext)
  8. Autor: Roy Mukamel, Autor: Arne D. Ekstrom, Autor: Jonas Kaplan, Autor: Marco Iacoboni, Autor: Itzhak Fried: Single neuron responses in humans during execution and observation of actions. In: Zeitschrift: Current biology (27. April 2010) 27;20(8):750-6. Welt: PMID: 20381353, Welt: doi: 10.1016/j.cub.2010.02.045 (Welt: Volltext)
  9. Autor: Liqun Luo, Autor: Edward M. Callaway, Autor: Karel Svoboda: Genetic Dissection of Neural Circuits. In: Zeitschrift: Neuron, 2008 Mar 13; 57(5): 634–660. Welt: doi: 10.1016/j.neuron.2008.01.002, Welt: PMID: 18341986 (Welt: Volltext)

     

  10. Autor: Gregory Hickok: Eight Problems for the Mirror Neuron Theory of Action Understanding in Monkeys and Humans. In: Zeitschrift: Journal of cognitive neuroscience, 2009 Jul; 21(7): 1229–1243, Welt: doi: 10.1162/jocn.2009.21189, Welt: PMID: 19199415 (Welt: Volltext)
  11. Autor: Paolo B. Pascolo, Autor: Riccardo Budai, Autor: Rubens Rossi: Critical review of the research leading to the mirror neuron paradigm - biomed 2010. In: Zeitschrift: Biomedical sciences instrumentation 2010:46:422-7. Welt: PMID: 20467117
  12. Autor: Cecilia Heyes: Where do mirror neurons come from? In: Zeitschrift: Neuroscience and Biobehavioral Reviews, Volume 34, Issue 4, March 2010, Pages 575-583 Welt: doi: 10.1016/j.neubiorev.2009.11.007., Welt: PMID: 19914284
  13. Autor: Vladimir Kosonogov: Why the Mirror Neurons Cannot Support Action Understanding. In: Zeitschrift: Neurophysiology, Volume 44, pages 499–502, (2012) (Welt: Volltext)
  14. Autor: Cecilia Heyes, Autor: Caroline Catmur: What Happened to Mirror Neurons? In: Zeitschrift: Perspectives on Psychological Science, July 9, 2021, Volume 17, Issue 1 (Welt: Volltext)
  15. Seite „Diskussion:Spiegelneuron“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12:52, 11. September 2015 (CEST) URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diskussion:Spiegelneuron&oldid=145933370 (Abgerufen: 14. März 2024, 09:05 UTC)
    • 15.1 Der Text sagt etwas anderes über ein "einzelnes Neuron", nämlich: "das gleiche Aktivitätsmuster zeigt". Das ist korrekt. Mit "Aktivitätsmuster" kann hier nur gemeint sein "Aktivitätsmuster der Zelle", nicht welche Aktivitäten dadurch anderswo ausgelöst werden.--[[Benutzer:Saidmann|Saidmann]] ([[Benutzer Diskussion:Saidmann|Diskussion]]) 12:52, 11. Sep. 2015 (CEST) (Welt: Versionsvergleich)