12Kersti:

Sturmwind steigt von seiner Silberschlange. Im flackernden Licht der Öllampen siehst du schemenhaft die geschmeidigen Bewegungen deines Gegners, das Blitzen seiner langen, schlanken Klinge. Schnelle harte Hiebe folgen dicht aufeinander, drängen dich immer weiter auf die rechte Wand der Höhle zu. Seine schnellen, geschmeidigen Bewegungen sind nicht leicht einzuschätzen, vorauszuahnen. Jede deiner Schwächen scheint er zu kennen, entdeckt jeden Fehler, nutzt jede deiner Blößen aus, um dich weiter zurückzudrängen. Verzweifelt versuchst du, ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen, doch er tritt schnell einen Schritt zur Seite, du triffst ins Leere. Du verlierst durch die Wucht deines eigenen Hiebes das Gleichgewicht, wehrst im letzten Augenblick einen auf deinen Hals gezielten Hieb ab. Mit derselben Bewegung zischt das gegnerische Schwert zurück, zerschlägt das Handgelenk deines noch zur Abwehr des vorherigen Angriffes erhobenen Armes. Wie in Zeitlupe siehst du dich nach dem blutigen Stumpf greifen, das Gleichgewicht verlieren. Dann faßt dein Gegner dein Bein, hält dich fest, damit du nicht von der Strömung davongetrieben wirst. Als du dich mühsam wieder aufrichtest, sagt er leise:
"Ich habe dich gewarnt, Junge, jetzt kann ich dir nicht mehr helfen."
Du bist viel zu benommen, um zu antworten.

Die Silberschlangenreiter haben merkwürdige Gesetze: Für fast alle Verbrechen, wie schlimm sie auch sein mögen, ist die Strafe, daß man für den Geschädigten arbeitet. Wie lange, hängt vor allem davon ab, wie gut man seine Arbeit tut. Es ist verboten, Gefangene zu mißhandeln oder zu töten. Nur wer vor seiner Strafe davonrennen will, wird mit Folter und Tod bestraft.

Der Ort, an dem die Todesstrafen vollstreckt werden, ist eine riesige Höhle mit einer kreisrunden Manege in der Mitte, von abgetreppten Zuschauerrängen umgeben, wie in einem großen Zirkuszelt. Als Sturmwind dich mit seiner Silberschlange hinunter in die Manege bringt, sind schon alle Männer der umliegenden Höhlen versammelt. Auch ihre Gefangenen, die bei ihnen eine Strafe abarbeiten müssen, haben sie mitgebracht. Man erkennt sie daran, daß sie weder Waffen noch Schmuck tragen dürfen. Viele sind Silberschlangenreiter, selbstbewußte, stolze Männer, die zwischen den Bewaffneten kaum auffallen. Andere kommen aus den Orten am Fuße der großen Felswand. Sie haben dunklere Haut und Haare als die blassen, weißblonden Silberschlangenreiter. Sturmwind führt dich hinunter in die Mitte der Höhle, und kettet dich mit ausgebreiteten Armen und Beinen so am Boden fest, daß du dich nicht rühren kannst. Du findest keine Möglichkeit zu einem Fluchtversuch. Es lohnt nicht, die Foltern näher zu beschreiben, denn für solche Schmerzen, wie du sie erlebst, bevor du vor Schmerz ohnmächtig wirst, gibt es keine angemessenen Worte.

Als du wieder zu dir kommst, befindest du dich in einem kleinen, abgedunkelten Raum. Eine junge Frau gibt dir zu trinken und sagt:
"Ich habe Anpruch auf dich erhoben, wie es mein Recht als Silberschlangenreiterin ist. Es gibt so wenig interessante Fremde. Also schlaf erst einmal, werd gesund, damit ich etwas von dir habe. Ich werde dich pflegen, bis du wieder gesund bist, nur deine Hand kann ich nicht nachwachsen lassen. Für ein Jahr kann ich dich schützen, dann mußt du selber gut genug kämpfen können, um dich gegen Sturmwind zu verteidigen, Prinz Einarm."

Du schläfst wieder ein, bevor du etwas erwidern kannst.

Weiter in Kersti / Buch 2 ("Das Volk der Silberschlangenreiter") Nr. 12


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