484Kersti:

Als die schlanke, schwarzhaarige Jora dir antwortet, erkennst du, daß sie die Geschichtenerzählerin vom Markt ist. Sie lächelt über deinen Ärger und erzählt:
"Weißt du, zuerst habe ich mich durch diese ständige Kritik auch angegriffen gefühlt. Irgendwann habe ich mich schließlich dagegen gewehrt und die anderen Begleiter meiner damaligen Karawane wütend ausgeschimpft, sie könnten es ja schließlich auch nicht wesentlich besser als ich. Sie haben mich nur ausgelacht. Weißt du, deine Geschichte ist nicht schlecht erzählt, aber es ist üblich, Geschichten in dieser Form zu kritisieren, da die Helfer der Karawanen zu einem Gutteil nebenher durch Geschichtenerzählen Geld verdienen. Deshalb bin ich jetzt immer froh über Kritik, aus der ich lernen kann, meine Geschichten besser zu erzählen."

Bald darauf löschen die anderen das Feuer und legen sich schlafen. Du wirst für die zweite Wache eingeteilt. Sobald du dich wieder hingelegt hast, schläfst du ein und wachst erst wieder auf, als du am nächsten Morgen für den Weiterritt geweckt wirst. Der Ritt des nächsten Tages verläuft völlig ereignislos. Am Abend übernimmt eine der beiden Frauen die erste Wache. Torajin der Sänger erzählt folgendes Märchen:

Die Suche nach dem Glück

Es war einmal ein Waldelf, der in den leuchtenden Wäldern seiner Heimat nicht sang, spielte und glücklich war, wie die Waldelfen es dort immer zu sein scheinen. Deshalb zog er aus, um das Glück zu suchen. Er wanderte nach Süden in das Land der Silbernen Gärten, wo Tag und Nacht ein einziges Lied, ein Tanz, ein Fest sind. Dort feierte er mit. Die Tage vergingen wie ein Traum, ohne Pause, ohne Sorgen. Doch als der Waldelf eines Nachts in einem kurzen Augenblick der Ruhe nachdachte, ob er glücklich sei, konnte er sich das nicht beantworten. Also feierte er weiter. Und je länger er im Land der Silbernen Gärten weilte, desto deutlichter wurde ihm, daß er sich in Wahrheit langweilte.

So überlegte der Waldelf erneut, was ihn glücklich machen könnte. Ihm fiel vieles ein, von dem er glaubte:
"Wenn ich das kaufen könnte, wäre ich glücklich."

Also wanderte er auf langen, gefahrvollen Wegen in das Land des goldenen Sandes und brachte von dort genug Gold mit, um sich all diese Wünsche zu erfüllen. Sieben Jahre lebte er im Lande Noramis und kaufte sich von seinem Golde alles, was man mit Geld kaufen kann. Doch jedesmal, wenn er nachdachte, ob er glücklich sei, fiel ihm noch etwas ein, das zu seinem Glück fehlte. Der Waldelf ließ sich wundervolle Säle bauen, in denen er Bankette feierte, wie man sie nur aus Märchen kennt. Er ließ Gärten pflanzen, deren Schönheit im ganzen Lande gerühmt wurde. Er umgab sich mit weisen Männern, mit Sängern, Märchenerzählern, schönen Frauen und hübschen Knaben. Er probierte mancherlei Zauberkräuter. Sieben Jahre vergingen so, doch glücklich wurde er nicht.

Es würde lange dauern, alles aufzuzählen, was der Waldelf auf seiner Suche nach dem Glück ausprobierte. Er wurde Sänger und wandernder Geschichtenerzähler, lernte zaubern, Flöte spielen, trieb Handel, zähmte eine große Silberschlange und ritt mit ihr durch die Lüfte, dressierte wilde Tiere, feierte Liebesorgien, Er probierte alles aus, von dem man meinen könnte, es mache glücklich.

Vier mal sieben Jahre vergingen, doch der Waldelf wurde nicht glücklich.

So saß er eines Abends trübsinnig auf dem Marktplatz einer kleinen Stadt und beobachtete die Leute um sich herum. Auch von diesen schien keiner glücklich zu sein. Er begann zu bezweifeln, daß es Glück gibt. Schließlich raffte er sich auf und entschied:
"Für mich habe ich schon auf jede denkbare Art nach Glück gesucht, jetzt will ich einmal sehen, ob ich nicht andere glücklich machen kann."

So begann der Glückssucher, für andere nach Glück zu suchen. Manchen Leuten machte er Dinge zum Geschenk, die sie sich ein ganzes Leben lang gewünscht hatten. Er lehrte einem Kind das Lautenspiel, leistete einer einsamen, alten Frau Gesellschaft, deren Leben leer und sinnlos geworden war. Er erlöste einen Werwolf von seinem Fluch, so daß er als Mensch unter Menschen leben konnte, führte einige Wanderer zur Silberwiese, damit sie sich an der sagenhaften Schönheit der Einhörner ergötzten...

Sieben Jahre gingen ins Land. Der Waldelf zog von Ort zu Ort, und versuchte, Menschen glücklich zu machen. Doch er war sich nicht sicher, ob er auch nur in einem Fall Erfolg hatte. Trotzdem arbeitete er immer weiter in dieser Weise.

Sieben mal sieben Jahre nachdem er zu seiner Suche nach dem Glück aufgebrochen war, kam der Waldelf auf seinen Wanderungen in einen Wald. Je weiter er dem Weg folgte, um so dichter standen die Bäume, desto knorriger waren ihre Äste und die Stämme wurden immer dicker. Das sanfte grüne Licht, das durch das dichte Blätterdach fiel, ließ die uralten Pflanzen fremdartig und zauberhaft erscheinen. Die Blätter schienen sich Geheimnisse zuzuraunen, leise zu lachen. Mehrmals ertappte der Elf sich dabei, wie er sich umdrehte, weil er glaubte einen Troll oder Gnom gesehen zu haben, doch wenn er genauer hinschaute, war es nur ein seltsam geformter Aststumpf, eine Wurzel oder ein Stein. Irgendwann sah er vor sich das helle Licht der Sonne auf den Boden dringen und trat hinaus auf eine Lichtung. Vor ihm stand eine schlanke Frau, deren helles Haar in einem unsichtbaren Wind zu wehen schien. Auf ihre eigene, helle Art wirkte die Frau ebenso verzaubert wie der dunkle Wald, genauso unwirklich und fremdartig. Doch sie schien nicht beängstigend, sondern schön und gut. Freundlich begrüßte sie den Neuankömmling:
"Willkommen auf meiner Lichtung, Elf. Ich bin Fajona Tausenfee, die die Menschheit liebt. Ich beobachte nun schon seit langem, wie du versuchst, Menschen glücklich zu machen. Solcher Eifer sollte belohnt werden. Du hast einen Wunsch frei, aber du darfst dir nur etwas wünschenl das ganz für dich alleine ist."

Da begann der Waldelf zu überlegen, was er sich wünschen könne. Er grübelte und grübelte, doch je länger er nachdachte, desto weniger wollte ihm einfallen. Ihm wurde klar, daß er endlich glücklich war.

Und wenn er nicht gerade einmal traurig ist, ist er das auch heute noch.

Solange Torajin erzählt, hören die anderen aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen, dann Kritisieren sie wie üblich. Die Nacht und ein Weiterer anstrengender Tagesritt vergehen.
 
Kersti / 318: Du meldest dich für die erste Wache.
Kersti / 311: Du bleibst am Lagerfeuer.

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Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de
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