erste Version:vor dem 26.2.01
letzte Bearbeitung: 6/2013
Eines Tages wurde ich zum Verkauf in ein großes
Handelshaus verschickt. Von dem Käfig aus, in dem ich
untergebracht war, beobachtete ich aufmerksam das Treiben
in der Halle und versuchte die Menschen und Echsenwesen,
die als Käufer kamen, nach ihrer Körperhaltung und ihrem
Gesichtsausdruck einzuschätzen. Ich hatte den
Verkaufsleiter schon zweimal damit geärgert, daß ich
Käufer, die mir nicht gefallen hatten, gleich beim ersten
Kontakt so geärgert hatte, daß sie mich nicht mehr haben
wollten. - Lieber einmal eine richtige Tracht Prügel als
jahrelang täglich Schläge wegen nichts und wieder nichts.
Und er kam jetzt zum drittenmal mit jemandem an, der mir
nicht gefiel. Ein Echsenwesen mit grün glänzender
Schuppenhaut, das mich geringschätzig musterte. Ich blieb
scheinbar völlig gelassen sitzen und tat als sehe ich ihn
nicht. Der Verkaufsleiter zeigte schweigend auf mich.
"Das da meinst Du?" fragte die Echse verächtlich und warf
mir einen Blick zu, als sei ich so etwas ekliges wie eine
Schnecke oder schlimmeres.
Immer noch rührte ich mich nicht.
"Erweise Deinem zukünftigen Herrn die Ehre!" befahl mir
der Verkaufsleiter.
"Nein. Das werde ich erst tun, wenn Du mir jemanden
bringst, der mir gefällt." widersprach ich ruhig und hob
endlich den Blick, um ihm in die Augen zu schauen.
Die Echse lachte über diese Unverschämtheit. Es gefiel
ihr. Scheiße. Dann drang sie urplötzlich mit ihrer
geistigen Energie in meinen Geist. Ich hatte sie abgewehrt, bevor
ich dazu kam, darüber nachzudenken, was
ich da tat. Dafür waren schon Menschen hingerichtet
worden, daß sie es gewagt hatten, einen solchen Versuch,
den Geist zu lesen, abzuwehren. Ich erstarrte vor Schreck,
dann entspannte ich mich willentlich wieder. Jetzt war es
sowieso zu spät. Danach erst merkte ich, daß die Echse
wieder nur lachte. Es gefiel ihr, daß ich sie abgewehrt
hatte. Da wußte ich, daß ich ein Problem hatte. Wenn es
einen Posten gab, zu dem man solche Fähigkeiten brauchte
und den die Echsenwesen nicht einem der Ihren
zuschusterten, dann hatte ich ein echtes Problem. Eisern
hielt ich meine Gefühle unter Kontrolle. Es war zu spät.
Sie kaufte mich.
"Was habt ihr mit mir vor?" fragte ich die Echse, sobald
wir drei Schritte weit gekommen waren.
Sie lachte häßlich:
"Einer von den kleinen Drachen will ein
Schmusetierchen haben. So wie ihr Menschen Hamster haltet."
"Und warum hat es dich dann gefreut, daß ich so
unverschämt war?" fragte ich.
"Die Drachen mögen das." antwortete die Echse und lachte
wieder hämisch.
Ich glaubte daß Drachen wären wie viele Echsen und Spaß
daran hätten, den Willen von Menschen zu brechen. In mir
erwachte ein tiefer Zorn. Ich schwor mir, daß ich mich nie
verhalten würde, wie ein Schoßtier.
Ich sah ihn an und mein erster Gedanke war, daß er schön war. Wunderschön. Ich sah ihn an und konnte mich nicht sattsehen. Dann wurde mir bewußt, daß er mich ebenso betrachtete. Voller Liebe und Freude, das es so etwas Wunderbares wie mich gab. Sein Geist stand mir weit offen. Nach und nach wurden mir mehr Einzelheiten bewußt. Beispielsweise daß er noch jung war. Von der Persönlichkeitsentwicklung nicht weiter als ein dreijähriges Kind. Und dann tat er, was auch ein Menschenkind in seinem Alter getan hätte. Er nahm mich in die Faust. Ich spürte Rippen brechen, Schmerz. Dann machte das Kind die Hand wieder auf und schrie entsetzt über das, was es angerichtet hatte nach seiner Mama. Mir wurde schwarz vor Augen. Und ich war überzeugt, daß niemand sich die Mühe machen würde, mich zu heilen.
Als ich wieder aufwachte lag ich in einem Krankenbett und war an teure medizinische Maschinen angeschlossen, wie sie normalerweise nur für die reichen und mächtigen unter den Menschen zur Verfügung stehen. Und das waren nicht viele damals im Drachenreich.
Als ich das nächste mal erwachte, war eine Krankenschwester
da. Auf meine Frage hin erklärte sie, daß seit dem Unfall
zehn Tage vergangen waren und daß der junge Drache so sehr
geheult hätte, daß ich ins Krankenhaus gebracht worden
sei.
"Ja." sagte ich "Er ist noch ein richtiges kleines Kind."
Die Frau starrte mich an, als sei ich jetzt endgültig
verrückt geworden.
"Mein Gott, das ist doch kein kleines Kind! Er ist zehn
Meter groß. Auf seiner Hand kann man bequem sitzen!"
"Ich weiß. Oder was meinst du, wo meine Verletzungen
herstammen." antwortete ich völlig gelassen.
"Aber er wird wiederkommen! Was tust du dann?" jetzt war
sie wirklich entsetzt.
"Mich mit Kindererziehung beschäftigen?" schlug ich vor.
Das war kein Scherz. Ich hatte mir die Scene mit dem
Drachen immer wieder durch den Sinn gehen lassen. Da war
so viel Liebe gewesen, die Bereitschaft mich zu achten, ja
zu verehren aber ohne Unterwürfigkeit. Und das Kindliche.
Von seiner Persönlichkeit war dieser Drache noch ein Kind.
Und ich war erwachsen. Und wenn ich mit ihm umginge, wie
ein Erwachsener mit einem Kind umgeht, dann würde er mir
folgen. - Aus Achtung, aus Liebe. Ich mußte mich nur
selbstbewußt verhalten wie ein Erwachsener.
In dem Augenblick kam der Drache. Ich zwang die panische Angst
wieder herunter, die in mir aufsteigen wollte und
beruhigte meinen Geist. Dann versuchte ich wieder mit dem
Drachen Kontakt aufzunehmen wie bei unserer ersten
Begegnung. Er wirkte sehr niedergeschlagen und bedrückt,
bis er merkte, daß ich wach war.
Dann begann er innerlich zu jubeln und fragte
hoffnungsvoll ob jetzt alles wieder gut sei.
"Nein." antwortete ich "Schau. Mir tut noch alles weh".
Ich ließ ihn über unseren telepatischen Kontakt mitfühlen,
daß immer noch jeder meiner Atemzüge durch einen
stechenden Schmerz unterbrochen wurde, der anzeigte, daß
die Rippen noch lange nicht verheilt waren.
"Bist du mir böse?" fragte er und war völlig geknickt.
"Nein. Aber du darfst mich jetzt nicht anfassen, sonst
tust du mir wieder weh."
"Nie wieder?" Er schien fast zu heulen.
"Später schon. Aber du darfst die Hand nie wieder
zumachen, wenn ich draufklettere. Du muß sie immer schön
offenlassen und warten bis ich mich richtig hingesetzt
habe und mich selbst festhalte, ehe du mich hochhebst."
erklärte ich "Aber jetzt bin ich noch zu krank dazu. Du
willst mich doch nicht totmachen, oder?"
"Aber dann bist du wieder lieb zu mir?"
"Ich bin auch jetzt schon wieder lieb zu dir. Aber ich
habe Angst. Du hast mir sehr wehgetan." erklärte ich.
Der Drache war so niedergeschlagen deshalb, daß ich ihn
gerne gestreichelt hätte, um ihn zu trösten. Ich wußte, er
würde mir nie absichtlich wehtun - aber das erste mal war
ja auch keine Absicht gewesen. Kleine Kinder können
schrecklich ungeschickt sein. Wenn ich an die Zukunft
dachte, gelang es mir nicht, wirklich optimistisch zu
sein.
Etwas später kam der Vater des Drachen zu mir. Er war ein
Drittel kleiner als die Mutter und machte auf mich den
Eindruck eines zurückhaltenden Menschen, der bei allen
seinen Untergebenen wissen will, daß es ihnen gut geht.
Selbst wenn es ein Hamster sein sollte. Er berührte von
sich aus meinen Geist und entschuldigte sich, daß niemand bei
seinem Sohn gewesen sei, als er mich abgeholt hatte.
"Aber er ist heimlich losgeflogen, als es fast noch eine
Stunde hin war und wir haben ihn dann zuhause gesucht,
weil er doch unbedingt mitwollte."
Ich lachte:
"Dann hat er sich benommen wie alle kleinen Kinder."
"Wie fühlst Du Dich?"
"Es geht." antwortete ich.
Und öffnete meinen Geist, damit er meine Schmerzen spüren konnte.
Seine Stimmung wurde dadurch wesentlich ernster.
"Meine Frau hat erzählt, daß du nicht ihren Schutz willst,
wenn mein Sohn zu dir kommt."
"Wenn er nur zu mir darf, wenn sie dabei ist, wird er irgendwann etwas ganz
Dummes tun, weil er die Geduld verliert. Ich hoffe, er hat aus dem was
passiert ist, genug gelernt, daß er auf mich hört."
erklärte ich.
"Und wenn nicht?"
"Dann weiß ich nichts, was mich vor ihm schützen könnte.
Er war heute schon einmal heimlich bei mir." antwortete ich und ließ
ihn meine Erinnerungen an den Besuch nacherleben.
Danach spürte ich in seinem Geist Hochachtung. Er hat mich danach nie
herablassend behandelt - immer fast wie einen Gleichstehenden - auch wenn er
natürlich am Ende über mich entschied.
Ich nähte ihm einen Rucksack - eigentlich ein Sicherheitsgeschirr zum Reiten, das ich ihm mit den Packtaschen schmackhaft gemacht hatte - denn ich wollte meinen Drachen reiten. Wozu sonst sind Drachen schließlich gut, wenn nicht, um mit ihnen durch die Lüfte zu reiten? ;-) Da traf es sich ganz gut, daß er mich sowieso überallhin mitnehmen und allen seinen Freunden zeigen wollte. :) Und dann gab es ja auch noch Sachen, die ich sehen wollte und Leute die ich besuchen wollte, und dort brachte mich der junge Drache dann auch immer brav hin.
Dann jedoch kam er in das Drachenäquivalent einer Schule und ich durfte nicht mit. Also hatte ich plötzlich lange langweilige Stunden, in denen ich in einem wie eine Puppenstube eingrichteten Käfig bleiben mußte. - äh - Eigentlich hätte bleiben sollen. Es gab dort einfach nichts Sinnvolles zu tun - also beschäftigte ich mich mit ausbrechen. Und Menschen sind da viel schlimmer als jedes Tier - nicht nur daß sie geschickte Hände haben - sie verstehen es auch noch, mit Werkzeugen umzugehen. Und wenn sie keine Werkzeuge haben, können sie aus den verschiedensten Materialien Werkzeuge herstellen. (Das Nähzeug war nicht weit weg...) Und wenn keines der üblichen Werzeuge mit dem vorhandenen Material herzustellen geht, fangen sie auch noch an, neue Werkzeuge zu erfinden... ;-) Und außerdem ist das Größenverhältnis zwischen Drachen und Menschen so, daß sie einfach nicht sehr gut darin sind, Menschen auf Werkzeuge zu durchsuchen. Die Drachenmutter war den ganzen Tag damit beschäftigt mich wieder einzufangen. In ihrer Verzweiflung sperrte sie mich in Töpfe und Schränke, die daraufhin "rätselhafterweise" Löcher bekamen, durch die ein Mensch sie verlassen kann. In der Zeit wurde ich dann auch kastriert.
Irgendwann schließlich kam der Vater des jungen Drachen zu
mir und fragte mich, was denn eigentlich mit mir los sei.
"Ich langweile mich."
Ich ließ ihn ausführlich mitfühlen, wie es war, alleine in
dieser blödsinnigen Puppenstube von Käfig stundenlang
eingesperrt zu sein.
Er fragte mich, ob es mir helfen würde, wenn ich eine Arbeit am
Computer zugewiesen bekäme. Mir erschien das als Lösung.
Von da ab verdiente ich mir mit einer Arbeit am Computer
ein Taschengeld hinzu und pflegte e-mail-Kontakte übers Netz zu
verschiedenen Menschen. Und ich ärgerte mich über mich
selbst, weil ich ja auch von mir aus um Arbeit hätte
bitten können und das hätte mir vermutlich die Kastration
erspart.
Danach kam mir ein anderer Gedanke: Der Drachenmutter ging es in Wirklichkeit nicht anders als mir. Sie hatte auch nichts Sinnvolles zu tun und nur deshalb hatte sie Zeit gehabt, sich darüber zu ärgern, daß ich nicht da war, wo ich eigentlich hätte sein sollen. Zumindest glaubte ich nicht, daß der Faden, aus dem ich eine Strickleiter hergestellt hatte, so wertvoll gewesen war, daß sie mich allein deshalb eingesperrt hatte. - Und ansonsten hatte ich nichts kaputtgemacht, bis sie mich in Schränken und Töpfen einzusperren begann. Überhaupt mischte sie sich oft in Dinge ein, die für sie schlicht bedeutungslos waren.
Also suchte ich nach einer passenden Gelegenheit, redete dann mit dem Drachenvater darüber und fragte ihn, ob er nicht auch für seine Frau eine passende Beschäftigung wüßte. Als er ihr daraufhin die Aufgabe übertrug, sich um sämtliche Drachenfrauen des Planeten politisch zu kümmern, kam ich zum ersten mal auf den Gedanken, ihn nach seiner gesellschaftlichen Position zu fragen: Er war der König aller Drachen. - Dieser neue Posten für die Drachenmutter hatte einen merklichen positiven Effekt. Sie hörte auf, mich daraufhin zu belauern, ob ich wieder etwas Unerlaubtes täte, stellte keine unnötigen Verbote mehr auf und ich erwischte sie tatsächlich zum ersten mal von Zeit zu Zeit dabei, wie sie etwas Positives über mich dachte.
Das war das erste mal, daß ich davon hörte. Mir fielen sogleich mehrere Sachen ein, zu denen ein solcher Titel gut sein mochte - aber ich verdrängte den Gedanken sofort wieder, weil die Drachin zweifellos mitbekommen würde, was ich dachte, weil wir gerade eine telepatische Unterhaltung führten und ich darin noch nicht so gut war, daß ich private Gedanken vollständig von den für sie gedachten Gedanken trennen konnte.
Ich dachte an meine erste Begegnung mit meinem jungen
Drachen und an das Gefühl, was ich da zuerst gehabt hatte.
Und an das Ende dieser Begegnung.
"Wie groß ist so ein frisch geschlüpfter Drache?" fragte
ich.
"Ein Meter vom Kopf bis zur Schwanzspitze."
"Dann kann es funktionieren. Aber die Menschen sollten
jung sein. Ihr Drachen werdet wesentlich älter (ca. 1000
Jahre) als wir und die Kleinen sollten möglichst alt
sein, wenn ihr Mensch stirbt. Die Bindung ist sehr eng.
- und die Menschen sollten mindestens fünfzehn Jahre alt
sein, damit sie für die jungen Drachen wie
Eltern für ihre Kinder empfinden können. Ich würde
mehrerere Menschen beim Schlüpfen zuschauen lassen, damit
der junge Drache Auswahl hat."
Mir ging es eher darum, daß ich vermutete, daß nicht jeder
Mensch innerlich bereit wäre, einen Drachen so zu lieben,
wie ich es tat. - Und wenn genug Menschen zur Auswahl
standen, dann war sichergestellt, daß der
frischgeschlüpfte Drache sich denjenigen unter den
Menschen aussuchen würde, der bereit wäre, seine Liebe in
voller Tiefe zu erwidern. Und nur so konnte etwas Gutes
daraus entstehen.
"Außerdem würde ich die Menschen gerne öfters besuchen.
Als Mensch in einer Drachenwohnung fühlt man sich so
klein und machtlos. Da kann es leicht passieren, daß man
nicht um die Dinge bittet, die man eigentlich bräuchte
und daß man es nicht wagt, die erwachsenen Drachen auf
Probleme anzusprechen, die sie eigentlich bereitwillig
aus dem Weg geschafft hätten. Sie werden zu mir eher
Vertrauen haben als zu einem Drachen." erklärte ich.
"Aber ich würde so einem Menschlein doch nichts tun."
"Ja. Aber du bist ganz schön groß. Das reicht, um viele
Menschen ziemlich einzuschüchtern. Du brauchst nur ein
wenig unvorsichtig zu sein, um mich zu töten." erklärte ich.
Und dachte an meine erste Begegnung mit meinem jungen Drachen. Diese
Erinnerung reichte, damit sie es einsah.
Am Abend redete ich mit dem Drachenkönig darüber, daß ich
ja, wenn ich Minister wäre, auch die Möglichkeit bräuchte,
mich um die Menschen zu kümmern, für deren Wohl ich
verantwortlich sei. Und deshalb bräuchte ich die
Gelegenheit, sie zu besuchen. Ob ich nicht auf Drachen
dorthinreiten könne... Zuerst war er empört, daß ich
Drachen als bloße Reittiere mißbrauchen wollte, die
zweiffellos besseres zu tun hätten.
"Ich dachte eigentlich an junge Drachen, die noch nicht
in die Schule gehen. Die würden sich sicherlich darum
reißen, mich auch einmal tragen zu dürfen. Ich muß sie
halt nur fragen können." erklärte ich.
Dieser Bitte wurde stattgegeben. Ich erhielt so etwas wie ein Telefon, mit
dem ich bei Drachen anrufen konnte. - Und ich hatte damit die
Möglichkeit das gesamte so erreichbare Drachenland auf
eigene Faust erkunden zu können. Denn die jungen Drachen
rissen sich wirklich darum, mich tragen zu dürfen.
Wenige Tage später wurde ich mit in die nächste für Menschen erbaute Stadt genommen um die Menschen für die jungen Drachen auszuwählen. Auf Befehl der Drachen wurden alle 15 und 16-jährigen Menschen auf den Platz vor dem Drachenlandeplatz geführt und mußten sich in einer Reihe aufstellen. Das waren eindeutig viel zu viele. Ich ließ meinen Drachen dicht an der Reihe vorbeistürmen. - Nicht so dicht, daß es wirklich gefährlich wäre, aber dicht genug, daß 95% dieser Kinder kopflos davonrannten, trotz der Strafen, die ihnen angedroht worden waren, falls sie zu fliehen versuchen würden.
Damit waren schon einmal die Menschen aussortiert, die einfach zu ängstlich waren, um den Dickschädel zu haben, den sie brauchen würden, um einen jungen Drachen zu erziehen. Dann redete ich mit jedem der übrigen einzeln. - Das waren immerhin 200. Mitgenommen wurden nur die, die nachdem ich ihnen erklärt hatte, worum es ging und was sie damit erreichen konnten, es versuchen wollten und die gleichzeitig auch noch meinem jungen Drachen gefielen. Von ihnen kehrte nur ein einziger zu den Menschen zurück, weil alle, die bei der Gegenüberstellungen nicht von den beiden frischgeschlüpften Drachen ausgewählt wurden, später Bindungen mit andern jungen Drachen eingingen. So jung, wie meiner gewesen war, als ich ihn kennengelernt hatte, aber sie hatten durch mich gelernt, vorsichtig mit Menschen umzugehen.
Danach wollte jeder junge Drache einen Menschen. Zuerst wurde ich jedesmal um Rat und Mithilfe gebeten, wenn neue Menschen für junge Drachen ausgesucht werden sollten - und so lange schien es auch zu funktionieren.
Dann aber begannen einige Drachen ohne menschliche Helfer Menschen aus den menschlichen Enklaven zu holen. Ich erfuhr es, weil ich einmal erst zu Hilfe geholt wurde, als ein Kind tagelang nur noch hysterisch geschluchzt hatte. Ich brauchte Stunden, um sie so weit zu beruhigen, daß sie mir endlich ihre Geschichte erzählen konnte. Sie hatte mit ihren Eltern ein Feld besucht als plötzlich ein Drache im Sturzflug vom Himmel kam und sie entführte. Sie hatte Angst, daß ihre Eltern tot sein könnten. Ich bekam es ernsthaft mit der Angst, ich könnte da eine Lawine ausgelöst haben, die zu einem hoffnungslosen, extrem blutigem Aufstand gegen die Drachen führen würde.
Zuerst einmal flog ich mit dem Mädchen zu der menschlichen
Enklave, wo ihre Eltern lebten. (In menschlichen Enklaven
dürfen Drachen aus Sicherheitsgründen nur auf speziellen
Drachenlandeplätzen landen.) Landete dort und ging zum
Regierungsgebäude. Dort fragte ich, wo ich die Eltern des
Mädchens finden könne und ließ mich dorthinfahren. Es
herrschte eine frostige Athmosphäre. Ich wurde zum Haus
der Eltern geführt, wurde aber erst einmal nicht
eingelassen.
"Livia, ruf du deine Eltern." bat ich das Mädchen und sie
gehorchte.
Als die Menschen die Stimme ihrer Tochter hörten kamen sie
heraus und umarmten sie. Und würdigten den Rest der
Menschen keines Blickes. Als ich ihnen zuschaute, wie sie
unter Tränen ihre Tochter umarmten, wurde mir siedentheiß
klar, daß ich etwas ganz wichtiges übersehen hatte. Die
Eltern der Jugendlichen, die jetzt Drachen ritten. Ich
selbst konnte mich an meine Eltern nicht erinnern, weil
ich schon als Kleinkind das erste mal verkauft worden
war. Als ich sie fragte, ob ich mit ihnen reden konnte,
antworteten sie einfach nicht. Wieder bat ich Livia, sie
zu überreden und wieder tat sie es.
"Gibt es einen Ort, wo wir in Ruhe miteinander reden
können?" fragte ich.
"Nein." antwortete Livias Vater patzig.
"Ich bin der Minister für die Angelegenheiten der
Menschen in Drachenland. Ihr habt, indem ihr mit mir redet
die Möglichkeit, mitzuentscheiden, wie Menschen und
Drachen in Zukunft miteinander umgehen werden. Und
dafür, daß es keinen anderen Eltern mehr so ergeht wie
euch. Ich habe nur an die Jugendlichen gedacht, die zu
uns kamen und dafür gesorgt, daß es ihnen gut ging. Es
ist einfach so, daß ich mich an meine Eltern
nicht mehr erinnern kann und daß ich selber auch keine
Kinder habe und keine bekommen kann. Ich habe schlicht
vergessen, zu überlegen, was es für Eltern bedeuten
könnte, wenn ihre Kinder zu den Drachen gehen. Ich weiß,
da habe ich einen schweren Fehler gemacht. Und ich will
jetzt von euch wissen, wie ich es besser machen
könnte." entschuldigte ich mich.
"Ach und wenn du Befehle erteilst, werden die Drachen
springen, wie?"
"Ich lege meine Beschlüsse dem Drachenkönig vor, und wenn
sie vernünftig sind, wird er dafür sorgen, daß sie
durchgeführt werden. Bisher hat er jeden meiner
derartigen Beschlüsse unterstützt." antwortete ich.
Ich war mir immer bewußt, wie primitiv meine Pläne im
Vergleich zu den Plänen von Drachen erschienen, und daß
der Drachenkönig sich immer extrem komplizierte Gedanken
machte, in denen er jede Eventualität berücksichtigte, um
Schwachstellen an meinen Plänen zu finden. Dennoch hatte
er die meisten meiner Pläne unverändert gebilligt. Sie
hatten also offensichtlich auch in seinen Augen Hand und
Fuß.
Ich redete also stundenlang mit den beiden Eltern und einer Vertretung der örtlichen Regierung, bis ich mir über deren Bedürfnisse und Sorgen einigermaßen klar zu sein meinte. Dann gab ich ihnen meine E-Mail-Adresse und bat sie, mich zu unterrichten, wenn irgendwelche Probleme auftauchen sollten, die ich eventuell lösen könnte.
Am nächsten Tag sprach ich mit dem Drachenkönig einen ganzen Katalog Gesetzesänderungen durch, mit denen ich sicherstellen wollte, daß durch die vielen Jugendlichen, die mit Drachen Bindungen eingingen, kein böses Blut entstand. Zum ersten sollte jeder Drache verpflichtet sein, die Eltern seines menschlichen Partners bis zu dessen achtzehnten Lebensjahr mindestens einmal im Monat zu besuchen. - Über die Bindung zu einem Drachen kann man solche Besuche sehr leicht vergessen als Mensch, dennoch war es wichtig, daß die Eltern wußten, daß es ihren Kindern gut ging. Dann sollten die Eltern bei der Gegenüberstellung als Gäste anwesend sein dürfen. Dann durften Menschen zu den Gegenüberstellungen nur dann mitgenommen werden, wenn sie freiwillig zustimmten und bei der Auswahl mußte immer ein Drachenreiter mit anwesend sein und zustimmen. Der Drachenkönig fügte noch zwei weitere derartigen Regeln hinzu und akzeptierte alles, was ich forderte.
Na ja, jedenfalls hat sich durch diese Geschichte das Drachenreich verändert. Ein Drache, der einmal eine Bindung zu einem Menschen eingegangen ist, kann nie wieder Menschen als bedeutungslos betrachten, sie verachten oder sie hassen.
Fortsetzung:
F48.
Der Atomkrieg
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
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