vor 26.2.01
Vollkommen unerwartet war bei dem Planeten, an dem ich mit meinem Schiff als Wache stationiert war, eine ganze Flotte von Gehirnkriegsschiffen aufgetaucht und angegriffen. Menschen hatten bei der Evakuierung die geringste Priorität genossen, was aber allgemein so akzeptiert wurde, da bekannt war, daß menschliche Gefangene als einzige im Menschenreich einigermaßen human behandelt wurden. Alle anderen wurden schlimmer behandelt als jedes Tier.
Allerdings waren diese Prioritäten sowieso nahezu bedeutungslos gewesen. Die Raumschiffe hatten gerade genug Zeit gehabt, um diejenigen einladen zu können, die zuerst ankamen und sie sind gestartet, sobald sie so voll waren, wie die Lebenserhaltungssysteme es erlaubten. - Und dennoch hatte die Zeit für einige nicht gereicht - und daß die meisten entkommen konnten, lag nur daran, daß mein Schiff - das einzige Kriegsschiff im System - einen absolut wahnwitzigen Angriff gegen eine mehr als zehnfache Übermacht flog. Dabei wurde dann auch mein Schiff zerstört und ich verlor damit einen Freund, mit dem ich jahrelang jeden Gedanken geteilt habe. Nach den Gesetzen des Drachenreiches hätte ich danach als entehrt gegolten, ohne die geringste Chance jemals die immensen Schulden abzubezahlen, die ein Gehirnschiff hat, da die Baukosten des Schiffsrumpfes ihm zur Last gelegt werden.
Da ich jedoch von Angehörigen des Menschenreiches gefangengenommen wurde, warteten erst einmal monatelange Foltern auf mich, mit denen sie Geheiminformationen über das Drachenreich aus mir herausquetschen wollten.
Danach wurde ich zu Männern geführt, die mir erzählten,
daß ich ja eigentlich den Tod verdient hätte, aber sie
würden mir noch eine Chance geben.
"So, so eine Chance. Worin soll die denn bestehen?" fragte
ich ironisch zurück.
Ich rechnete nicht im Traum damit, daß es etwas sein könnte,
auf das ich mich guten Gewissens einlassen könnte.
"Wir haben einen Drachen gefangen. Wenn du ihn
zähmst, lassen wir dich am Leben."
"Drachen sind keine Tiere." korrigierte ich geistesabwesend
"zähmen dürfte wohl kaum das richtige Wort sein. Habt ihr es
schon mit anderen Leuten versucht?"
"Ja. Zehn Leute. Aber sie haben versagt."
Auf dem Gesicht des Mannes erschien ein häßliches Grinsen.
"Was ist mit ihnen geschehen?" erkundigte ich mich.
"Der Drache hat sie gefressen."
"Himmel! Was habt ihr denn vorher mit dem Drachen gemacht?"
fragte ich entsetzt.
Drachen sind Vegetarier - doch selbst die pflanzliche Nahrung ist nur zum
Wachstum nötig. Sie ernähren sich überwiegend von
Sonnenlicht, das sie über die Haut aufnehmen. Drachen mögen
kein Fleisch und sie vertragen es nicht einmal. Der Drache
mußte dem Wahnsinn nahe sein.
"Und - wie soll das eurer Meinung nach laufen, mit dem
Drachen zähmen?" fragte ich weiter.
"Oh - am Rande des Drachenkäfigs ist ein kleiner geschützter
Käfig für Dich. Die Gitter zum Drachengehege sind so breit
daß du jederzeit hinausgehen und dich vom Drachen fressen
lassen kannst, wenn du möchtest. Jeden Tag wird dein
geschützter Raum etwas schmaler und so nach zwei bis drei
Wochen ist er so schmal, daß der Drache reingreifen und dich
fressen kann."
Ich nickte. Wenn sie ihn nicht vollständig in den Wahnsinn
getrieben hatten, hatte ich vielleicht eine Chance. Immerhin
hatte ich mein Leben riskiert, um Drachen eine Fluchtchance
zu bieten. Und er mochte Verwandte unter den Entkommenen
haben. Abgesehen davon war ich mir immer noch nicht
sicher, ob ich überhaupt leben wollte.
Aber einen Drachen reiten... Das klang, als könnte es etwas
sein, für das es sich zu leben lohnte - wenn er sich darauf
einließ natürlich nur. Es gab im Drachenreich einige
Drachenreiter. Rein nach den Gesetzen der Drachen
galten sie kaum mehr als ein Schoßhündchen, das sich ein
Mensch zuhause hält. Aber ganz offensichtlich war die
Beziehung der jungen Drachen zu ihren Reitern so eng und
liebevoll, daß die Gesetze zur reinen Makulatur wurden. Alle
Drachenreiter, die ich kannte, wirkten entspannt und
selbstsicher im Umgang mit ihren Drachen und wenn man sie
fragte, wie es sei, einen Drachen zu haben, erschien ein
dermaßen träumerischer und liebevoller Ausdruck in ihrem
Gesicht, daß niemand bezweifeln konnte, daß weder der Drache
seinen Menschen noch umgekehrt jemals im Stich lassen würde.
Ja, das lohnte den Versuch. Abgesehen davon natürlich, daß sie
mir sowieso keine bessere Wahl lassen würden.
"Wo ist der Drache?" fragte ich.
"Oh er hat es sogar noch eilig, sich fressen zu lassen."
spöttelte der Mann.
"Nein. Ich ziehe nur die Gesellschaft eines Drachen der
Aussicht vor, mit dir noch länger dieselbe Luft atmen zu
müssen." widersprach ich lächelnd.
Der Mann sah mich wie vom Donner gerührt an. Dann gab er den
Wachen einen Wink und ich wurde abgeführt.
"Hast du denn keine Angst?" fragte einer der Wächter
mitfühlend.
"Ehrlich gesagt bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich
leben will, nachdem mein Schiff tot ist." antwortete ich.
Der Mann sah mich überrascht an:
"Aber du hast Doch nie versucht, Selbstmord zu begehen."
"Das hätte ich auch nur getan, wenn ich mir sicher gewesen
wäre. Der Tod läßt sich so schlecht rückgängig
machen. Abgesehen davon war mir dieser Mann einfach nur unangenehm."
erklärte ich.
Eine Tür wurde aufgeschlossen und ich ging in den Unterstand
im Drachenkäfig. Ich schaute kurz zum Drachen rüber - er lag
lauernd vor dem Gitter und schaute zu mir hinein, wie eine
Katze auf Mäusejagd. Aber den Eindruck, verrückt zu sein,
machte er auf mich nicht. Beruhigend. - Ich legte mich erst einmal
schlafen.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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