vor 26.2.01
Ich setzte mich hin und erwiderte seinen Blick. Ich wandte mich nach innen und suchte nach Ruhe und Frieden. Dann wandte ich mich dem Drachen zu und versuchte, seine Stimmung zu erspüren. Er spürte mich sofort und warf mich mit einer Aufwallung an Wut und Bitterkeit aus seinem Geist, dann schlug er nach meinem Energiefeld und versuchte es zu zerschlagen. Da ich in dem inneren Frieden blieb, keine Gegenwehr leistete, verpuffte sein Angriff wirkungslos. Das verleitete ihn zu einem noch heftigeren geistigen Wutausbruch, der Stunden anhielt - oder zumindest schien es mir so. Eisern hielt ich mein Energiefeld unter Kontrolle, und wartete einfach nur ab, bis er sich ausgetobt hatte. Dann begann er zu weinen. Aber er ließ mich nicht an sich heran.
Zwei Wochen ging das so. Nach und nach rückte die bewegliche
Außenwand meines Unterstands immer näher an die
Gitterstäbe, bis ich nur noch knapp außerhalb seiner
Reichweite war. Und dann, eines Tages, spürte ich, wie
er abends, als er wieder einmal bitterlich weinte,
doch meine tröstende Energie(VA180. Definition Eso) annahm. Ich saß immer
noch ruhig in meinem Unterstand. Schließlich beruhigte
er sich wieder, sah mich schief an und sagte:
"Paß auf. Bald fresse ich dich."
"Das hast du mir gestern abend schon gesagt und jeden
Tag, seitdem ich hierher gebracht wurde. Und wenn
du es dann immer noch willst, werde ich in zwei bis
drei Tagen absolut nichts mehr dagegen tun können."
antwortete ich "Nur verstehe ich nicht, was Du davon
hast - ich meine außer Bauchschmerzen."
"Du hast es verdient. Jeder Mensch hat es verdient."
meinte er in einem bitteren Tonfall.
"Warum meinst du, daß jeder Mensch es verdient hat?"
"Du hättest sehen sollen, was sie getan haben, dann
würdest du keine so dummen Fragen stellen."
"Ach Kleiner, ich bin doch auch nur eine Gefangene.
Ich bin einer von den Menschen, bei denen es
niemanden von ihnen interessiert, ob du mich frißt
oder nicht. Die schicken nicht ihre Freunde hier
herein, sondern ihre Feinde." und ich erinnerte mich
an den Kampf um den Rückzug der zivilen Schiffe zu
decken. Und dann an die Foltern.
Und wieder dachte ich daran, daß mir niemand hatte
verraten wollen, was aus meinen Leuten geworden ist.
Und der Drache folgte meinen Erinnerungen und
verstand.
"Aber das Schiff ist ohne uns weggeflogen. Direkt vor
unserer Nase." beschwerte er sich.
"Welcher Raumhafen?" fragte ich.
"Arianna."
"Das Schiff ist als vorletztes gestartet. Das letzte
ist nur zwei Sekunden später gestartet und die
Schiffe des Menschenreiches haben es abgeschossen und
alle, die darin waren, sind tot. Selbst wenn noch
Platz drin gewesen wäre, wäre es zu spät gewesen,
mein Freund. Wir waren einfach zu wenige. Zu wenige
um den Rückzug zu decken und zu wenige um alle
Drachen wegzubringen." antwortete ich.
Zwei Drittel der Drachen hatten auf dem Planeten
bleiben müssen.
Dann zeigte mir der junge Drache seine Erinnerungen an seine Eltern und seine kleine Schwester. Seine Eltern, die als erwachsene Drachen für zu gefährlich und unzähmbar gehalten wurden, wurden bei lebendigem Leibe gehäutet und der Drachenjunge mußte zuschauen. Seine kleine Schwester war fast noch ein Nestling, nur anderthalb Meter lang. Ihr hatte man die Zähne gezogen und die Krallen herausoperiert und sie an einen Zirkus verkauft, der sie mittels Schmerzsender zu Zirkusvorstellungen abrichtete. Ich konnte mir an fünf Fingern abzählen, daß sie durch dieses Leben sterben würde, bevor sie ausgewachsen war. - Vermutlich würde sie auch nicht mehr wachsen.
Es tat mir in der Seele weh, das im Geiste des jungen Drachen miterleben zu müssen. Und da unter Drachen Geschwister im Geiste immer verbunden sind, wird er es bis zum Ende mitfühlen und miterleben.
"Darf ich jetzt rauskommen?" fragte ich.
"Ja!" antwortete der Drache, doch es schwang so etwas
wie Gier, wie Zorn mit, das mich warnte.
"Nein. Nicht so. Ich will wissen, ob du mich am Leben
läßt. Ich kann dir vermutlich nicht wirklich helfen.
Ich habe keine Macht in diesem Land. Aber ich kann
dir versprechen, daß ich immer zu dir halten werde."
antwortete ich ruhig, ohne Zorn.
Der Drache sah mich nur schweigend und nachdenklich
an. Ich erwiderte ruhig seinen Blick und wartete ab.
Diesmal schlief ich im Sitzen ein.
Und als ich am nächsten Morgen erwachte, hatte ich ein Gefühl, als würde ich in wärmenden, leuchtenden, liebenden Sonnenstrahlen liegen. Dabei lag mein Schlafplatz im Schatten. Ich blickte auf und sah in Drachenaugen. Und diesmal schien mir seine Schönheit unendlich. Leuchtend wie von einem Wesen aus einer besseren Welt aber auch rätselhaft, einem Menschen nicht voll verständlich und ich spürte, daß er mich ebenso ansah. Meinen kleinen, schlanken Körper, der nie richtig zur Frau erblüht war, weil vorher - ich war sieben Jahre alt gewesen damals - auf Befehl meines damaligen Herrn die Geschlechtsorgane herausoperiert worden waren. Das farblos blonde Haar, die leicht ins grünliche spielenden grauen Augen. Meine Augen zwar, die ich lange schon seit Jahren kannte, aber er entdeckte eine Schönheit darin, die ich nie hatte sehen können.
Ich fragte mich, wie viel von der Verachtung und den Mißhandlungen, die ich als Kind erlebt hatte, ich unbewußt und ohne darüber nachzudenken übernommen haben mochte. Denn wenn ich meinen Körper durch die Drachenaugen betrachtete, wurde mir bewußt, daß ich auf meine Weise ebenfalls schön war. - Nicht nach den üblichen Standarts - aber auf die Weise, die meinem Körper angemessen war.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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