F28.

Die Amazonenprinzessin

Der Arzt

In den nächsten Tagen kam ein mir fremder Mann herein, als ich gerade einmal wach war. Ich begrüßte ihn und fragte:
"Wer seid ihr?"
"Der Arzt. Ich will die Verbände wechseln."
"Tut eure Arbeit."

Ich hielt still, während er den verklebten Verband von meinem Auge löste und die Verletzung untersuchte und reinigte. Dann legte er einen neuen Verband an und ich fragte:
"Besteht irgendeine Chance, daß ich mit dem Auge wieder werde sehen können?"
Ich selber hatte nie überprüfen können, wo genau die Verletzung war, hatte nur gemerkt, daß es irgendwo am Auge sehr weh tat. Mit dem Arzt, der mich zuerst behandelt hatte, hatte ich über dringendere Angelegenheiten zu sprechen gehabt.
"Komm Mädchen, mach dir keine Sorgen, es ist schon nicht so schlimm." sagte er.
Ich starrte ihn ungläubig an.
"Was soll das? Ich habe eine Frage gestellt! Ist es so schwer, die zu beantworten? Werde ich mit dem Auge wieder sehen können oder nicht?" fragte ich genervt.
Er druckste herum.
"Ja oder nein?" bestand ich verärgert auf meiner Frage.
"Weißt du, der Augapfel ist getroffen, da kann man nichts machen..."
"Also nein. Du kannst doch antworten. Warum hast du das nicht gleich gesagt?" fragte ich.
"Aber wenn ein Mädchen so eine Narbe hat, dann will sie doch kein Mann mehr haben..."
"So ein Schwachsinn. Ich habe noch nie von einer Amazone gehört, die wegen so einer albernen Narbe keinen Mann gefunden hätte, der ihr zusagt. Aber ich habe schon sehr oft von Amazonen gehört, die als kleines Kind so häßliche Erfahrungen mit Männern gemacht hatten, daß sie für den Rest ihres Lebens genug von Männern hatten." antwortete ich.
"Äh... Hmm..." er machte Anstalten rauszugehen.
Alberner Idiot.
"Hiergeblieben." befahl ich "Du hast noch nicht alle Verbände gewechselt."
Er gehorchte, löste den Verband an meinem linken Oberarm, versorgte die Wunde. Ich hielt so gut wie möglich still, zuckte aber doch manchmal unwillkürlich zusammen, wenn er eine Stelle säuberte, die besonders wehtat. Statt so behutsam wie möglich weiterzuarbeiten, machte er jedesmal eine Pause und laberte mich mit irgendeinam blöden Scheiß zu, obwohl ich ihm mehrfach gesagt habe, er solle seine Klappe halten und arbeiten. Als er fertig war, versuchte er wieder, sich zu verdrücken.

"Hiergeblieben." kommandierte ich "Das Bein muß auch noch versorgt werden."
Während er das tat, hätte ich ihn am liebsten verprügelt, weil sein blödes Gelabere die Behandlung dermaßen in die Länge zog. Da ich Schmerzen hatte, hatte ich wirklich nicht viel Geduld mit ihm.

Als er fertig war, fragte ich, wann ich vermutlich wieder aufstehen könnte.
"Wenn du nicht so verrückt gewesen wärest, mit DEN Verletzungen so weit zu reiten, wären sie schon längst geheilt."
Ich wollte zuerst nicht glauben, daß er das tatsächlich gesagt hatte. So närrisch konnte doch niemand sein.
"Ich habe dich nicht gefragt, was du dazu meinst, wie ich hier angekommen bin, sondern wann ich vermutlich wieder aufstehen kann, ohne daß die Wunden dadurch noch schlimmer werden." fragte ich in einem Ton, der ihm klar machen sollte, daß meine Geduld für seine Narreteien bald zuende sein würde.
"Erst in ein paar Wochen."
Ich nickte und war heilfroh, daß dieser Narr endlich das Zimmer verließ, auch wenn ich ihn ja vorher selbst nicht hatte gehen lassen.

Der Arzt leistete sich keine fachlichen Fehler, die ich hätte erkennen können, was hieß, daß er ein guter Arzt war, denn als Tochter der Amazonenkönigin mußte ich in allen Bereichen des Lebens eine gute Grundausbildung haben. Es mochte sein, daß ich zu ihrer Nachfolgerin gewählt würde. Marri - ihr voller Name lautet eigentlich Temara - gehörte zu meiner Gruppe, da sie wegen ihrer Fähigkeiten ebenfalls die Ausbildung einer Königin erhalten sollte. Mit ihr wurden in meiner Gruppe noch vier weitere Mädchen zu Offizierinnen ausgebildet. Amazonen gewähren ihren Führern keinerlei Privilegien - aber sie stellen sehr hohe Anforderungen an sie. Meine Mutter hätte nichts tun können, um mich zu befreien, was nicht auch für jedes andere Mädchen der Amazonen getan worden wäre - beispielsweise keinen Krieg wegen mir vom Zaun brechen, weil sie deswegen dann sofort abgesetzt worden wäre. Allerdings hätte das, was für jedes andere Mädchen auch getan würde völlig gereicht, wenn ich mir nicht in den Kopf gesetzt hätte, mich um die Fürstentochter zu kümmern, die mit diesem unmöglichen Vater geschlagen war.

Kurz darauf kam der Offizier der Garde, der mich gefangengenommen hatte.
"Der Arzt hat sich über dich beschwert." teilte er mir mit.
Wütend fauchte ich ihn an:
"Dieser blöde Kerl kann keine Frage klar beantworten und ist absolut unfähig die Realitäten des Lebens zur Kenntnis zu nehmen! Weißt du was dieser Narr zu mir gesagt hat? ,Wenn du nicht so verrückt gewesen wärest, mit den Verletzungen so weit zu reiten, wärest du jetzt schon gesund.' Als wenn ich irgendeine Wahl gehabt habe."
"Tut mir leid, Mädchen. Wir befürchteten, verfolgt zu werden." entschuldigte er sich.
"Zu recht. Ihr hattet 24 Amazonen auf eurer Spur. Wenn sie euch erreicht hätten, wäre keiner mehr von euch am Leben." stimmte ich ihm zu.
"So viele?" fragte er erschrocken.
"Mehr waren nicht in erreichbarer Nähe, als sie gesagt bekamen, wo ich bin. Und sie wollten keine Zeit verlieren, denn ein Angriff auf die Burg kommt nicht in Frage, weil das einen Krieg auslösen würde, den wir nicht gewinnen können." erklärte ich.
"Du machst dir so viel Gedanken über Politik, Mädchen?" fragt er überrascht.
"Ich bin in der Offizierinnenausbildung. Da muß man sich über so etwas Gedanken machen." erklärte ich.
"Ich muß schon sagen, Mädchen, du bist immer wieder für Überraschungen gut."
"Na dann will ich mal hoffen, daß mir die Überraschungen nicht gerade im entscheidenden Moment ausgehen." kommentierte ich und grinste.
Er lachte.

"Paß auf dich auf Mädel." sagte er und ging dann, damit ich schlafen konnte.

Kersti

Quelle: Erinnerungen an eigene frühere Leben


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