F34.

Die Amazonenprinzessin

Feigheit

Am nächsten Tag gab der Fürst den Befehl, daß an mich kein Essen mehr ausgegeben werden sollte. Ich sparte mir jeglichen Kommentar dazu. Ich hatte sowieso nicht die Absicht, so lange zu bleiben, daß irgendwelche gesundheitlichen Folgen zu befürchten waren. Bei uns wurde gegen Ende des Winters manchmal das Essen knapp. Ein gesunder Erwachsener wird einen Monat ohne Essen problemlos überstehen. Nur Kinder dürfen nicht so lange hungern. Wir sehen normalerweise zu, daß sie und Mütter mit Kindern, die noch die Brust kriegen, den ganzen Winter über jeden Tag etwas zu essen bekommen, auch wenn die anderen dafür zwei Monate hungern müssen. Aber so schlimm ist es nur selten. Das habe ich bisher einmal erlebt und da zählte ich noch als Kind.

Die nächsten Wochen waren eine Nervenprobe. Salia lag in meinem Bett und schwebte über eine Woche in Lebensgefahr. Jeden Tag, wenn ihre Mutter ihr etwas zu essen brachte, mußten zwei Wächter aufpassen, daß ich nichts abbekam. Sie hatten ein schlechtes Gewissen und waren nervös. Zumal ich schweigend hinter ihnen stand und darauf bestand, daß die Männer zwei Meter Abstand von dem Mädchen hielten, weil ich ihr versprochen hatte, daß niemand sie anfassen würde. Ich achtete darauf, mit allen Anwesenden nur im ruhigen besänftigenden Tonfall zu reden, weil nervöse Krieger leicht etwas als Angriff auffassen können, was eigentlich ganz harmlos ist. Dabei war ich absolut überzeugt, daß mein lieber Offizier für diese heikle Aufgabe nur anständige und verläßliche Männer einteilte, die sich nie an einem kleinen Mädchen vergreifen würden. Nichtsdestotrotz hatte Salia Angst - und die Männer atmeten jedesmal zutiefst erleichtert auf, wenn sie sicher das Zimmer verlassen hatten. Nur die Mutter fühlte sich offensichtlich sicher in unserem Kreis. Wie sie das geschafft hat, wo die Luft so zum schneiden war, ist mir ein Rätsel - aber ich war heilfroh, daß wenigstens sie ruhig blieb und Ruhe auf die anderen abstrahlte.

Den Rest der Zeit saßen Tag und Nacht vier Wachposten vor meiner Zimmertür, damit ich nicht fliehen konnte. Mit ihnen hatte ich keine Probleme, doch der Fürst kam jeden Tag persönlich, um uns zu beschimpfen. Die Wachposten, weil sie angeblich ihre Arbeit nicht anständig täten - was zu meinem Leidwesen nicht stimmte. Aber es machte sie nervös und reizbar, denn sie begannen sich Sorgen um ihr eigenes Leben und ihre Familien zu machen. Mich beschimpfte er, weil er mich fürchtete. Ich hörte mir seine Beschimpfungen schweigend an. Meist jedenfalls. Nur selten ließ ich mich dazu hinreißen, ihm eine passende Antwort zu geben. Und die ganze Zeit war nicht klar, ob ich am Ende würde heimlich fliehen müssen, oder ob wir dem Vater die Erlaubnis abnehmen konnten, seine Tochter mit zu den Amazonen nehmen zu dürfen.

Ich bereitete einen Brief für meine Mutter vor und hoffte, daß Marri rechtzeitig kam, damit meine Mutter uns eine offizielle Einladung der Amazonen an die Fürstentochter zukommen lassen konnte, bevor wir den Königshof auf dem Weg zur Amazonenburg besuchten.

Ich war heilfroh um die Stunden, in denen wir alle trainierten, weil nur in dieser kurzen Zeit alle mit mir redeten und scherzten, als wäre alles in Ordnung. Da wir mit scharfen Waffen trainierten, war das auch nötig. Schließlich muß man sehr aufpassen, damit man einander dabei nicht ausversehen verletzt.

Mein Offizier war innerlich wie zerrissen. Einerseits hatte er dem Fürsten Treue und Gehorsam geschworen und war nicht bereit diesen Schwur zu brechen, andererseits stand sein Herz auf meiner Seite und er schämte sich zutiefst, einem Mann zu dienen, der seine eigene Tochter so mißbraucht hatte. Außerdem lastete es immer noch auf seiner Seele, daß er derjenige gewesen war, der die Männer befehligt hatte, die mich entführt hatten. Ich allerdings freute mich immer, wenn er anwesend war - nicht nur, weil ich ihn liebte sondern auch, weil er zu mir genügend Vertrauen hatte, daß er die Männer dazu bringen konnte, sich zu entspannen.

Eines Tages kam der Fürst wieder in die Halle und er hatte meinen Offizier dabei, der zutiefst bedrückt, ja regelrecht krank wirkte. Mich alarmierte das sofort, auch wenn ich so schweigend und ruhig vor der Tür stand wie immer und den Fürst genauso kalt und wortlos musterte wie jeden Tag.
"Du gehst in das Zimmer und bringst mir das Kind hierher." befahl der Fürst meinem Geliebten.
"Nur über meine Leiche." sagte ich und zog mein Schwert.
"Tut mir leid." sagte mein Geliebter zu mir.
"Ich weiß." antwortete ich "Mir auch."
Dann griff er schnell und entschlossen an. Ich wehrte seinen Hieb ab und meine Parade traf ihn in den Bauch. Er brach zusammen. Eine Wunde die tötlich sein würde. Dann griff ich den Fürsten an, entwaffnete ihn und hieb mit meinem Schwert so gegen die Beine, daß die Sehnen hinten im Knie zerschnitten wurden und er haltlos zusammenbrach. Sofort war ich über ihm und hielt ein Messer an seine Kehle.
"Ihr legt die Waffen weg. Torin du holst den Arzt, Karan, du verständigst den anderen Offizier." befahl ich den Wachposten.
Sie taten, was ich sagte, denn es war das einzig Vernünftige. Die anderen beiden Wachen wagten keinen Versuch, mich anzugreifen und hielten den Abstand, den ich ihnen befohlen hatte, ein. Sonst hätte ich den Fürsten getötet, der diese Schweinerei zu verantworten hatte.

"So," sagte ich "diesmal kommst du mir nicht so einfach davon, Fürst. Ich habe lange genug Geduld mit deinem Verhalten gehabt und jetzt ist das Maß voll. Wenn du den Wunsch hast, den heutigen Abend zu erleben, wirst du in zweifacher Ausführung schriftlich deiner Tochter die Erlaubnis geben, zur Ausbildung zu uns Amazonen zu kommen. Einmal für den König und einmal für uns. Außerdem brechen wir heute noch auf zur Königsburg und du kommst als Geisel mit, damit niemand auf dumme Gedanken kommt." befahl ich.
"Bitte laß mich los. Ich werde alles tun, was du sagst. Ehrenwort!"
"Dein Ehrenwort interessiert mich einen feuchten Kehricht, denn du hast keine Ehre, wie du in meiner Gegenwart mehrfach zweifelsfrei bewiesen hast. Ich werde dich erst dann loslassen, wenn der Brief geschrieben und gesiegelt ist. Dann allerdings hast du mein Ehrenwort, daß ich dich am Leben lasse, wenn du dich anständig benimmst." widersprach ich.
Er begann mitleiderregend zu winseln und zu betteln, ich aber hörte nicht zu, denn der Arzt war gekommen und ich erteilte ihm die Anweisung, sich um den verletzten Offizier zu kümmern. Die Verletzung war so schwer, daß es vermutlich nichts bringen würde, aber dennoch war es nur angemessen, daß der am schwersten Verletzte zuerst behandelt wurde.

Auch die anderen beiden Offiziere des Fürsten kamen gerade. Ich nickte ihnen grüßend zu, erklärte ihnen die Lage und teilte ihnen meine Forderungen mit.
"Danke Mädchen, wir sind schon informiert. Herr, sollen wir die Forderungen des Mädchens erfüllen oder zieht ihr es vor, wenn sie ihre Drohung wahr macht?"
Der Fürst gab keine vernünftige Antwort sondern bettelte nur noch mehr. Ungläubig starrte ich ihn an. So doof konnte man sich doch kaum anstellen. Dann gab ich ihm eine Ohrfeige, um ihn aus seiner Panik herauszureißen und wiederholte barsch die Frage der Wachen.
"Bitte, bitte tut alles was sie sagt, sie bringt mich sonst um..." der Rest der Worte des Fürsten ging wieder in unverständlichem Gebrabbel unter.
Ich sah auf und begegnete dem Blick eines Offiziers, der kaum fassen konnte, daß ein Mensch so feige sein konnte.
"Du hast ja gehört, was er gesagt hat." sagte ich und erteilte detaillierte Anweisungen für alles, was mir auf meiner Reise zum Königshof nützlich erschien.
Bei der Gelegenheit forderte ich auch einen medizinischen Bericht des Arztes über die Verletzungen der Tochter des Fürsten an, den er schreiben sollte, sobald er die beiden Verletzten behandelt hatte.

Kersti

Quelle: Erinnerungen an eigene frühere Leben


F35. Kersti: Die Amazonenprinzessin, Folgendes: Im Königshof
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