10/06

Reinkarnationserinnerung: Joitha der Akrobat

F67.

Ein Grund für eine Freilassung

In dieser Zeit wurden zwei weitere Mordanschläge versucht.

Der erste was wieder im Theater. Diesmal sah ich die Pistole jedoch rechtzeitig, ließ mich fallen und der Schuss ging über mich hinweg. Dann gelang es uns auch noch, den Täter zu fangen.

Und dann kam das Ganze vor Gericht. Daß der Täter ohne Strafe davonkam, wunderte mich nicht. Aber wie mein Herr darüber schimpfte, das wunderte mich.

Im Grunde wunderte mich schon, daß er überhaupt schimpfte, aber andererseits auch nicht zu sehr, denn mir war ja bewußt, daß Menschen die außerhalb der Firma aufgewachsen sind, ganz anders denken, als ich das gewöhnt bin. Verstanden habe ich auch, warum er sie umbringen wollte. Ich habe auch schon mal jemanden umgebracht.

Das war, weil der Lehrer für Hochseilakrobatik Indara vom Seil runtergeworfen hat. Indara war noch klein, aber weil sie krank gewesen war und von der Krankheit ein ständiges Zittern zurückbehalten hatten, wußten wir alle, daß sie in Gefahr schwebte. Indara ist weiblich, weil sie eine Akrobatenzuchtlinie angehört, die direkt vor unserer entwickelt wurde. Die Genabwandlungen in ihrer Linie sind ähnlich wie unsere, aber nicht ganz so wirkungsvoll. Und die sind halt alle weiblich, blond und grauäugig.

Die Firma sagt, daß sie bei der Produktion mit zehn Prozent Ausschuß rechnen. Das hört sich ganz harmlos an, wenn man nicht zum "Ausschuß" gehört. Denn wenn die Firma einen von uns zu "Ausschuß" erklärt, dann werden die Lehrer nicht mehr bestraft, wenn sie ihn umbringen. Sie nennen das "ein Exempel statuieren" und behaupten, sie würden das mit uns allen machen, wenn wir ungehorsam sind. Aber das stimmt nicht, denn sie dürfen das nur mit Leuten, die so krank sind, daß man sie nicht mehr gut verkaufen kann.

Jedenfalls hatte der Hochseillehrer, als wir ihm gesagt haben, daß Indara wegen dem Zittern besser nicht aufs Hochseil sollte, meine Freundin Indara genommen, sie kopfüber möglichst weit vom Seil weggehalten und sie dann runterfallen lassen. Sie war beinahe sofort tot.

Einen Tag später habe ich mir aus der Werkzeugkiste eines Mechanikers ein Werkzeug mit einer scharfen Spitze geklaut und damit das Seil vom Geländer des Korbes, von dem man aufs Hochseil tritt, bearbeitet. Ich habe jede Faser, die zum Seil gehörte irgendwo an einer Stelle, wo sie gerade verdeckt war, zerschnitten. Und zwar genau an der Stelle, wo der große schwere Lehrer sich immer daranlehnt, was von uns niemand macht.

Und noch am selben Tag hat er sich dann im Unterricht wieder darangelehnt, ist runtergefallen und hat sich das Genick gebrochen. Irgendwie ist aus rätselhaften Gründen niemand darauf gekommen, daß das Geländer durchgeschnitten worden ist, obwohl ich das zuerst überprüft hätte, wenn ich so etwas gehört hätte.

Dem Nachfolger des Lehrers haben wir wie immer erzählt, daß es schon unheimlich ist, daß jeder, der einen von uns umbringt, innerhalb von drei Tagen einen Unfall hat. Meist mit tödlichem Ausgang. Manche unserer Lehrer werden regelrecht abergläubisch deshalb, aber irgendwie kommt keiner von ihnen auf altmodische Sabotage. Ich finde halt, niemand zwingt sie, einen von uns umzubringen, und wenn sie das trotzdem tun, haben sie eine Strafe verdient, besonders weil viele Lehrer sich deshalb wirklich nicht getraut haben, mehr als die üblichen Strafen mit unseren kranken Freunden zu machen.

Trotzdem erschien mir das Schimpfen meines Herrn sehr merkwürdig. Besonders die Worte, die er verwendet hat. Ich dachte ja schon, als ich sie hörte, daß die sehr komisch sind. Doch daß ich sie nicht mal im Lexikon gefunden hatte, war noch merkwürdiger. Also suchte ich sie im Internet und fand sie zwar ein paar mal, meist in Geschichten in denen stand, daß das, was der macht, der so schimpft, "fluchen" heißt. Trotzdem verstehe ich nicht wirklich, wozu solche Wörter wie "Drecksack" oder "Arschloch" eigentlich gut sein sollen und niemand von der Truppe konnte mir das erklären.

Ein Paar Tage später gab mir der Herr einen Vertrag und sagte, ich sollte das unterschreiben. Er selbst hatte schon unterschrieben. Ich überflog ihn kurz und stellte fest, daß es eine Freilassungsurkunde ist. Als ich nachfragte, erklärte er mir, daß er das gemacht hatte, damit er das nächste mal, wenn die Firma einen Mörder schickt, mit voller Härte des Gesetzes gegen sie vorgehen kann.

In der Firma hätten wir einen erfolglosen Mordversuch einfach auf sich beruhen lassen. Wir hatten in der Firma nie jemanden bestraft, der etwas getan hat, was weniger schlimm war als ein Mord an einem von uns. Das lag daran, daß alles, was ein erhebliches Verletzungsrisiko für einen der Lehrer barg, bestraft wurde, indem der Täter zu Tode gefoltert wurde. Natürlich nur, wenn sie darauf kommen, daß da einer von uns etwas getan hat. Und so ein Risiko geht man halt nicht wegen Kleinigkeiten ein.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


F68. Kersti: Fortsetzung: Der Herr ist tot
F66. Kersti: Voriges: Interview mit Messerwurf
FI6. Kersti: Inhalt: Joitha der Akrobat
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Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de