4/2010
Mit einem Krankenwagen fuhren sie mich zum Theater meiner alten Truppe und einer der Schauspieler führte mich in die Küche, wo die Kameras nicht offensichtlich aufgebaut, sondern gut versteckt waren. Dann erstarrte ich. Dort saß ein kleiner Junge von meiner Zuchtlinie und an seinem aufgesetzt selbstsicheren Verhalten und der Erleichterung als er mich sah, erkannte ich, daß er nicht wußte, daß das alles gefilmt wurde. Ich verhielt mich genauso, wie damals, als sie Jeremias gekauft hatten und wäre innerlich vor Wut fast geplatzt. Was dachten sie sich dabei, diesen Scheiß zu wiederholen? Und dann noch, ohne ihm zu verraten, was gespielt wurde?
Das schlimme war: Ich war nicht bereit, den Film deshalb platzen zu lassen und ich konnte es mir nicht leisten, den Film deshalb platzen zu lassen. Und das zu wissen, besserte meine Laune nicht im Geringsten, denn abgesehen davon, daß sie, um diesen Film zu drehen, dafür gezahlt hatten, daß ein kleiner Junge gefoltert wurde, war die Gefahr groß, daß er deshalb - ohne etwas dafür zu können - durch die Mörder der Firma erschossen würde.
Und im Gegensatz zu Jeremias ist er nicht vorher gefragt worden, ob er das Risiko eingehen will. Nicht daß ich an der Antwort zweifelte, aber wenn ich es hätte verhindern können, hätte ich es verhindert.
Nachdem die Scene im Kasten war, gingen wir
- ich, mein Chef und Jeredi, der kleine Junge
in das alte Büro meines früheren Herrn. Mein
Chef gab mir ein Blatt Papier und sagte:
"Das ist der Vertrag, den ich gerne mit Jeredi
schließen würde. Ich verlasse jetzt den Raum,
damit du ihm die Situation erklären kannst
und ihn beraten kannst. Wie immer werdet
ihr gefilmt, doch es steht dir frei, die Filme
zu löschen, wenn du nicht möchtest, daß ich
ihren Inhalt erfahre."
Die Vertragsbedingungen waren großzügig - er
würde mit Beginn der Dreharbeiten seine Freiheit und nach Fertigstellung des Filmes eine
gute Gage erhalten, falls er den Vertrag unterschrieb. Sollte er nicht unterschreiben, würde
die gedrehte Scene nicht verwendet und er
würde an ein Theater verkauft, von dem ich
wußte, daß die dortigen Angestellten mit ihrem Herrn zufrieden sind.
Das Ergebnis des Gespräches war vorhersehbar: Jeredi wollte selbstverständlich des Film mit drehen, wenn er der Firma Festrana schadete - daß Jeremias erschossen worden war und mein verletzter Arm beeindruckten ihn nicht im Geringsten. Mord und Folter waren ihm schließlich schon öfter in seinem Leben begegnet.
Und unsere Zuchtlinie war in der Firma Festrana zu recht dafür bekannt, daß jeder der einen der Unseren oder unsere Freunde ermordete, an unerklärlichen Unfällen starb, ohne daß man nachweisen konnte, wer den Mord begangen hatte.
Danach forderte ich, daß öffentlich gemacht werden sollte, wie wütend ich über den Kauf Jeredis war - und mein Chef erklärte sich damit grundsätzlich einverstanden, sofern ich jeden veröffentlichten Artikel mit ihm absprach. Ich erfuhr auch, daß Jeredi nicht direkt bei Festrana gekauft worden war sondern über einen Strohmann.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
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