4/2010
Dafür war eine Zusammenarbeit mit einer großen Universität geplant, bei der ich mich offiziell als Mitarbeiter bewerben mußte und auch angenommen wurde, da der Filmproduzent im ersten Jahr mein Gehalt bezuschussen würde. Ich hatte dann mein eigenes Büro, in das ich auf der Hälfte der Fläche ein Zwischenpodest einziehen ließ, um den Raum besser nutzen zu können.
Das Ergebnis meiner Nachforschungen überraschte mich. Es gab insgesamt siebzehn Zuchtrichtungen der Firma, die in das Land verkauft wurden, wo ich jetzt lebte. Ich bin jedem Hinweis nachgegangen, den ich finden konnte, um sie zu finden.
Zuerst einmal stimmten die Zahlen nicht. Da wir uns für alles interessierten, was eventuell wichtig sein oder uns betreffen könnte, hatten die Jungen unserer Kind-Akrobaten-Zuchtlinie recht genaue Informationen über die Zahlen der in Festrana aufgezogenen Menschen und wohin sie verkauft wurden zusammengetragen und sorgfältig darauf geachtet, daß jeder von uns sie erfuhr, sich merkte und an die Jüngeren weitergab. Nur ein Bruchteil der mir bekannten Verkäufe ließ sich in offiziellen Dokumenten wieder auffinden.
Dann suchte ich diejenigen Menschen auf, die ich gefunden hatte und erlebte die zweite Überraschung. Die Kinder meiner eigenen Zuchtrichtung waren fast zur Hälfte mit ihrem Besitzer zufrieden, wie ich es gewesen war oder sie waren - ebenfalls etwa die Hälfte - nach kurzer Zeit geflohen. Nur einer war offensichtlich von seinem Besitzer ermordet worden. In einem anderen Fall starb der Besitzer eines Theaters, nachdem er ein Mitglied seiner Truppe ermordet hatte, an einem Unfall. Der Täter wurde nie identifiziert. Keiner der Jungen meiner Zuchtlinie hatte auf seinen Besitzer einen schlechten Eindruck gemacht. Alle waren sie bei ihren Kollegen beliebt.
Ganz anders sah die Statistik für die anderen Zuchtlinien aus: Die Zufriedenen gab es auch, aber seltener. Dagegen litten viele von ihnen an schweren Erkrankungen, die durch unzumutbare Lebens- und Arbeitsbedingungen entstanden waren. Geflohen waren wenige.
Natürlich ist es ein Vorteil, ein Schauspieler zu sein, der täglich vom Puplikum gesehen wird und deshalb nicht offensichtlich krank, entstellt oder verletzt sein darf. Doch es gibt genug ekelhafte und grausame Strafen, die nicht zu Entstellungen führen. Und die Mädchen der zweiten kleinen Zuchtlinie, die fast dieselbe Mutation trugen wie wir, hatten diesen Vorteil auch und ihnen ging es im Schnitt genauso schlecht wie allen anderen.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
Internetseite: https://www.kersti.de/,
Kersti_@gmx.de