F939.

Geron war der, der jedem sagte "Das Leben geht weiter!" - aber ich konnte doch sehen, daß sein Leben nur noch Arbeit war

Vorgeschichte: F1022. Geron: Zu meiner Belustigung stellte ich fest, daß Dirk in dem Augenblick, wo er zu uns zu Besuch kam, in die Heulphase kam

Dirk erzählt:
Am ersten Tag dachte ich noch, ich hätte grundlos angefangen zu weinen. Geron war nicht dieser Ansicht, aber seine Begründung lag in der Vergangenheit. Es stimmte natürlich, daß ich mich erst jetzt damit beschäftigen konnte, um vergangene Probleme zu trauern. Also spielte das sicherlich auch eine Rolle. Andererseits war Khar gerade wieder dabei gesund zu werden und wenn nicht gerade ein Dämon vorne war, war er fast der Alte. Das hat man in den letzten Tagen vor meiner Abfahrt daran gemerkt, daß Khar wie selbstverständlich Befehle erteilt, wenn gerade mal kein Dämon vorne ist.

Trotzdem lag mein wichtigster Grund zu weinen darin, daß ich jetzt erfuhr, wie schwer Geron innerlich durch die Foltern verletzt worden war. Vorher hatte ich nur die körperlichen Verletzungen gesehen. Die waren schlimm, aber ich hatte davon schon gewußt und sie hatten mich auch nicht so sehr schockiert, wie man vielleicht meinen könnte. Geron war schon vorher schwer verletzt gewesen und er war nachher wieder so gewesen wie vorher, nur halt älter und weiser.

Jetzt war es anders. Geron war immer noch optimistisch und freundlich zu jedem. Er war der, der jedem sagte "Das Leben geht weiter!" - aber ich konnte doch sehen, daß sein Leben nur noch Arbeit war. Daß er nichts mehr tat, weil es einfach nur Vergnügen war, sondern daß er die ganze Zeit nur darum kämpfte, nicht unterzugehen. Ich konnte sehen, daß er nur lächelte, um andere zu ermutigen und nur Witze machte, wenn es darum ging, sich über die Folgen eigener Verletzungen lustig zu machen.

Die anderen dachten, er tut doch so viel für andere, er hat noch Kräfte übrig. Das stimmte aber nicht. Er tat nur exakt die Dinge, die außer ihm oder Mira keiner erledigen konnte und von denen er wußte, daß alles zusammenbricht, wenn man sie nicht erledigt. Daß er das Gesamtsystem nicht aus dem Blick verliert, egal wie Scheiße es ihm geht, sagt etwas über seine Intelligenz aus - aber nicht darüber, wie viel Kraft er nach dem absolut Notwendigen noch übrig hat.

Ich versuchte ihn so weit wie möglich zu entlasten, hatte aber nicht das Gefühl, damit wirklich Erfolg zu haben.

Kersti

Fortsetzung:
F1027. Geron: Statt mir etwas gegen die Schmerzen zu geben, war der Arzt der Ansicht, daß das gut sei, weil es zeigt, daß da etwas heilt

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben