erste Version: 11/2019
letzte Bearbeitung: 11/2019

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Menschenversuche

F1414.

Eine sinnvolle Aufgabe

Vorgeschichte: F1413. Kersti: Nur eine Untersuchung

Karion erzählt:
Gehorsam stieg ich auf einen der Zeichentische und ließ zu, daß sie mich dort mit den in meine Knochen eingelassenen Schrauben festschraubten. Da ich sehr beherrscht war, ließ der Student, der mich hierherbegleitet hatte, den Gedankenabschirmer aus.

Es wäre die Hölle gewesen, nur an meine Schmerzen und meine düstere Zukunft zu denken. Also sah ich mich um, suchte nach Ablenkung. Eine Studentin kam auf mich zu, setzte sich vor meinen Tisch und begann mein Herz zu zeichnen. Ich beobachtete sie bei der Arbeit. Nach einer Weile dachte ich ihr zu:
*Bist du dir sicher, daß du das richtig gezeichnet hast? Bei allen anatomischen Zeichnungen, die ich bisher gesehen haben laufen die Adern so:* ich überlagerte ihre Zeichnung in ihrem Geist durch Gedankenübertragung mit dem Bild, was ich für richtig hielt.

Sie sah mich an, als hätte plötzlich eine Schnecke zu sprechen begonnen. Ich ließ ihr Zeit sich wieder zu fassen. Statt einer echten Antwort, fing sie laut an, über die besserwisserischen Menschen zu schimpfen, die keine Ahnung hätten.
*Geh hin und vergleiche deine Zeichnung mit den Anatomiebüchern der Bibliothek. Du wirst sehen, daß ich Recht habe.* Ich nannte ihr einige Stellen in verschiedenen Büchern.
*Aber du trägst ja gar keinen Gedankenabschirmer!*
*So ist es.* *Woher weißt du das denn alles?*
*Ich habe jahrelang Medizinprofessoren Ratschläge erteilt, welche der neu erschienenen Bücher empfehlenswert sind. Da lernt man solche Dinge.*
*Aber Menschen sind doch dumm...* meinte sie ungläubig.
*Ja. Ungefähr so dumm wie die Götter, die so hochmütig auf sie herabsehen.* konterte ich.
"Was fällt dir eigentlich ein!" Sie schäumte vor Wut.

Das Mädchen konnte kaum fassen, daß ich es wagte, so etwas auch nur zu denken.
*Weißt du, irgendwann kommt der Punkt, wo sich die Rücksicht auf die Regeln der Höflichkeit nicht mehr lohnt. Viel schlimmer kann es für mich ja nicht mehr kommen, oder?*

Sie sah mich wieder eine Weile sprachlos an. Ich erwiderte ruhig und offen ihren Blick.
*Ja, du hast recht, es sei denn...* sie brach ab.

Ich ergänzte ihren Gedanken ruhig:
*Es sei denn in den Versuchlaboren. Die sind mir sowieso sicher. Alle Menschen hier, kommen nach spätestens zwei Wochen in die Versuchslabore, wenn die Sichtscheibe undurchsichtig geworden ist.*

Sie nickte und fragte:
*Woher weißt du das?*
*Es gibt in der Bibliothek einige Bücher, in denen man das lesen kann.*
*Wie kannst du mit diesem Wissen weiterleben?*
*Für mich ist nicht so wichtig, was andere tun, selbst wenn sie es mir antun. Solange ich selber anständig bleibe, und etwas tue, was ich für sinnvoll halte, ist für mich das Leben wert, gelebt zu werden.*
*Du meinst es reicht dir, wenn wir dir eine sinnvolle Aufgabe geben?*
*Nein. Das wäre eine Sklavenmentalität. Meine Aufgaben wähle ich mir selbst. Jetzt arbeite ich beispielsweise daran, euch Studenten bewußt zu machen, wie grausam, unnötig und verbrecherisch das ist, was hier im Anatomiesaal mit Menschen gemacht wird. Das ich hier für dich als Zeichenobjekt zur Verfügung stehe, ist in meinen Augen lediglich ein Unrecht, gegen das ich mich nicht wehren kann.* erklärte ich. Das stellte ihr Weltbild vollends auf den Kopf.
*Wenn du Fragen zum Lehrstoff hast, kannst du mich in dem Zimmer besuchen, wo ich gefangen bin. Ich helfe dir gerne weiter.* lud ich sie ein.

Sie ging weiter zu einem anderen Menschen. Sie mußte noch einiges zeichnen an diesem Tag. Bis zum Ende der Anatomiestunde hatte ich noch zwei weitere junge Götter zu mir eingeladen. Die drei kammen am nächsten Morgen tatsächlich und löcherten mich mit Fragen zu ihrem Studium. Am Tag darauf waren es schon zehn. Mein Unterricht hatte ihnen so gut gefallen, daß sie ihre Freunde mitbrachten.

Zwei Wochen später war diese Schar auf zwanzig Studenten angewachsen. Ich ging mit ihnen in die Bibliothek und bat Torion, uns einige Bücher herauszusuchen. Als er mit vollen Armen zurückkehrte, fragte er:
"Sag mal Karion, wie schaffst du es, daß die normalen Regeln für dich nie zu gelten scheinen. Du bewegst dich frei in der gesamten Bibliothek, hast immer einen Schwarm Studenten um dich und selbst die Sichtscheibe in deinem Herzen ist noch klar." *Ich weiß nicht. Ich lebe einfach.* antwortete ich.
"Das ist unser Tutor. Wir können ihn doch nicht wie einem normalen Menschen behandeln." sagte einer der Studenten.
"Bevor ich degradiert wurde, war ich Professor. Doch hat keiner meiner Tutanten mich nachher noch einmal als Tutor bezeichnet." entgegnete Torion.
"Nichts gegen dich, Torion. Du warst ein guter Professor und anständiger als die meisten, doch Karion ist anders. Er läßt sich durch nichts unterkriegen, nie entmutigen. Er ist nicht nur klug, er ist brilliant und dabei gar nicht so hochmütig, wie die anderen Professoren. Er würde niemanden etwas Böses tun. Doch er hat den Mut sich mit jedem anzulegen." erklärte einer der Studenten.
"Ihr habt recht. Vor Jahren wurde beschlossen, die Bedarfsplanung in einigen Landwirtschaftsbetrieben Menschen zu überlassen. Ich dachte mir, daß das nicht funktionieren kann, da sie dort auf einen Posten gesetzt wurden, wo sie Göttern Befehle erteilen mußten, aber nicht die Macht in die Hand bekamen, sie auch durchzusetzen. In vier der fünf Betriebe funktionierte es tatsächlich nicht. Im fünften war Karion. Er hat den gesamten Betrieb nach seinen Vorstellungen umstrukturiert, so daß dort heute noch wesentlich mehr geleistet wird als in jedem anderen Betrieb des Landes. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, sich durchzusetzen, doch zu Strafe wurde er schließlich seiner Stimme beraubt." erzählte Torion.

Es ist ein seltsames Gefühl, so gelobt zu werden. Ich hatte einfach nur getan, was ich für notwendig hielt. Hätte ich zusehen sollen, wie ein Gott Menschen foltert, statt sie ihre Arbeit tun zu lassen? Der Mann mußte auf einen Posten, wo er keine Macht über Menschen hat. Meinen Vorgesetzten davon zu überzeugen, dauerte allerdings eine Weile. Einigen Göttern schien meine bloße Existenz Grund genug zu sein, mich so lange mit dem Strafer zu quälen, bis ich nicht mehr aufstehen konnte. Andere haben mich dagegen von Anfang an behandelt wie einen der ihren. Wäre ich unfähig gewesen, unter diesen unmöglichen Umständen die Aufgabe der Bedarfsplanung zu erfüllen, hätte ich es zweifellos leichter gehabt. Die Götter, die die Oberaufsicht über die Landwirtschaft unseres Landes hatten, konnten mir nicht verzeihen, daß ich es nach und nach jeden einzelnen Gott des Betriebes, an dem ich arbeitete, dazu brachte, daß er meine Anweisungen zuverlässig ausführte, da sie sinnvoll waren. Selbst mein direkter Vorgesetzter hat sich am Ende meist an meine Ratschläge gehalten.

Und dann haben sie mich zur Strafe meiner Stimme beraubt. Sie haben ausdrücklich gesagt, daß sie mich genau dafür bestraften, daß ich erfolgreich meine Aufgabe erfüllt hatte. Und ich habe ihnen gesagt, was ich von diesem Unfug hielt. Geholfen hat mir das selbstverständlich nicht. Ich empfand das wie ein Todesurteil. Damals brachte meine Freundin auch meinen Sohn zur Welt. Ich habe ihn nur einmal gesehen. Ich hoffe, es geht ihm gut. Mein damaliger Vorgesetzter, der keine Möglichkeit gehabt hatte, mich vor dem Urteil, das über mich gesprochen wurde, zu schützen, hat mir versprochen, sich um das Kind zu kümmern.

Zu meinem Erstaunen war meine Glasscheibe nach zwei Wochen noch so klar wie am ersten Tag. erst nach einem halben Jahr begann sie langsam Trübe zu werden.

Wir haben einem neuen Menschen eine Sichtscheibe ins Herz gepflanzt
"Karion, wir haben einem neuen Menschen eine Sichtscheibe ins Herz eingesetzt, jetzt befürchten wir, daß sie vor Angst stirbt."

Götter! Ich sah den Arzt an. Offensichtlich hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, daß er mir gerade mein Todesurteil mitteilte. Er hatte nur daran gedacht, daß es mir auch bei den vorhergehenden Menschen gelungen war, sie zu beruhigen. Eine mörderische Wut erwachte in mir. Ich beherrschte mich und folgte ihm schweigend und resigniert. Ich hätte mich um jedes leidende Wesen gekümmert.

Der Arzt öffnete die Tür des Operationssaales und ließ mich eintreten. Auf den Operationstisch gefesselt, mit schmerzverzerrtem Gesicht und vor Entsetzen aufgerissenen Augen lag eine hübsche, junge Frau. Sie konnte nicht einmal mehr schreien. Die Ärzte hatte die entsprechenden Nerven durchtrennt. Manche Götter sagen, daß diese Schreie zu unästhetisch seien. Sie hätten ja Mitleid, aber es sei nötig - wegen der Wissenschaft und für den Fortschritt der Medizin. Welch eine Menschenverachtung! Ich hob den Kopf und sah die Götter - einen Arzt und mehrere Stundenten - an, die das verbrochen hatten.
*Macht das ihr rauskommt!* dachte ich und legte meinen ganzen Zorn in die machtvoll ausgestrahlten Gedanken.

Die Götter fuhren erschrocken und erstaunt zurück. Ich ließ mich sonst nie genug gehen, um anderen meine Wut an den Kopf zu werfen. Bei einigen spürte ich Mitleid. Seltsamerweise verließen sie alle gehorsam den Raum und schlossen die Tür hinter sich ab. Ich hatte fest damit gerechnet, daß irgendjemand mich mit dem Strafer quälen würde. Normalerweise fand sich immer jemand, der sich dazu nicht zu schade war. Zumal ich diesmal wirklich unverschämt war.

Ich atmete tief durch, entspannte mich und öffnete meinen Geist weit. Dann entfernte ich das Gerät von der Stirn der Frau, das ihre Ausstrahlung abschirmte. Eine Welle ihrer Panik und Schmerzen schlug über mir zusammen. Eisern zwang ich mich zur Ruhe, ließ Schmerzen, Panik und Zorn ohne Gegenwehr in mich hinein. Ich umhüllte ihren Geist mit meiner Ruhe, fühlte, wie sie sich zitternd entspannte und an meiner inneren Stärke anlehnte. Ihr Energiefeld war jetzt so eng mit meinem verschmolzen, daß selbst ein Mensch meine Gedanken würde hören können. Sanft löste ich ihre Fesseln und fragte in ihre Gedanken hinein:
*Kannst du es ertragen?*
Mein Mitgefühl konnte sie spüren. Sie sah mich mit großen Augen an und dachte:
*Es tut so weh.*
*Ich weiß.* dachte ich und zeigte ihr daß ich ebenfalls ein solches Fenster in der Brust hatte.

Tatsächlich spürte ich auch ihre Schmerzen in vollem Ausmaß. Aber das konnte sie sich bestimmt nicht vorstellen. Von meinen Schmerzen schirmte ich sie dagegen ab. Sie hatten, seit ich vor drei Wochen aus der Narkose nach der Operation erwacht war, kaum nachgelassen.
*Ich dachte, du bist ein Gott* wunderte sie sich.
*Mein Vater hätte mich nur anzuerkennen brauchen. Er steht hoch genug.* antwortete ich sachlich.

Ich hatte als Kind nicht einmal gewußt, daß mein Herr mein Vater war. Vermutlich hätte ich mir als Gott ebensoviele Probleme eingehandelt wie als Mensch. Die junge Frau lehnte sich an mich. Tränen flossen ihre Wangen herunter. Sie weinte, doch kein Ton war zu hören.
*Aber du bleibst doch bei mir?* fragte sie flehend.
*Nein.* antwortete ich voller Mitleid.

Bei dem Gedanken an meine Zukunft kam mir das Grauen. Ich verdrängte es so gut wie möglich, um sie nicht auch noch damit zu belasten. Ihre eigenen Probleme waren beinahe mehr, als sie ertragen konnte. Ich fragte sachlich:
*Willst du wissen, was auf dich zukommt?*

Sie spürte, daß ich ihr die volle, grauenhafte Wahrheit sagen würde und überlegte, schließlich antwortete sie: *Ja.*

Ich begann zu erklären:
*Die Sichtscheibe dient dazu, daß Studenten dein Herz bei der Arbeit beobachten können. Ein Film würde denselben Zweck genausogut erfüllen. So eine Scheibe wird innerhalb weniger Wochen undurchsichtig. Danach wirst du durch einen anderen ersetzt und in die Versuchslabore geschickt, wo Menschen durch unsinnige Versuche langsam zu Tode gequält werden. Zumindest wären alle Versuche, deren Berichte ich gelesen hatte, durch eine einfache Frage genauso geklärt gewesen. Es wird für dich schlimmer werden, nicht besser und die Schmerzen lassen nicht wesentlich nach.*
*Bist du dir sicher, daß die Versuche wirklich unsinnig sind?* fragte die junge Frau ungläubig.
*Ja und ich habe mehr Ahnung vom Fach, als die meisten Professoren, die ich kenne.* antwortete ich ernst. Die junge Frau wunderte sich. Wie die meisten Menschen, hätte sie es nie gewagt, die Überlegenheit der Götter in Frage zu stellen. Ich weiß nicht, warum ich anders war. Ich hatte eine so tief verwurzelte Selbstachtung, daß auch ein ganzes Leben voll Erniedrigung sie nicht hatte ankratzen können. Ich hatte immer das Gefühl gehabt irgendwie stärker oder älter als die meisten Götter und Menschen zu sein. Und ich hatte mir dieses Gefühl nie erklären können. Sanft hielt ich die junge Frau in den Armen, die sich immer noch an meiner Schulter ausheulte.

Kersti

Fortsetzung:
F1415. Kersti: D

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben