F1474.

Einerseits möchte ich möglichst lange leben, andererseits fühle ich mich behindert, wenn ich die betrachte, die die Operationen hinter sich haben und sich direkt an die Elektronik anschließen können

Vorgeschichte: F1466. Siram XZB12-200-20: So viel Einsicht brachten unsere Freigeborenen Herren aber definitiv nicht auf, also konnten sie es nicht lassen, mich als Versuchsobjekt zu verwenden

Jender LZB99-950-41 erzählt:
Eine Woche hörte man nichts von Teros LZB99-973-12, dann erschien er plötzlich morgens zum Unterricht. Er zog sich aus, stellte sich wie immer, wenn jemand vorführen sollte, was sie mit ihm gemacht hatten, vor die Klasse und zeigte eine große Narbe, die sich über seinen gesamten Bauch hinweg zog. Er erklärte, daß sie ihm jedes einzelne innere Organ des Bauchraumes rausgeschnitten hatten und daß das die vorbereitetende Operation für die Gehirnschiffoperation sei. Die Gehirnschiffoperation selbst sollte aber erst nach dem Abitur stattfinden.

Als jeder einzelne ein paar Fragen dazu stellen sollte, stellte ich nur ein paar sehr allgemeine Fragen und erfuhr, daß die Geschichte damit zusammenhing, daß alle zehn Zuchtmenschen der Kriegerzuchtlinie, dieses Jahr an der Gehirnschiffoperation gestorben waren. Offensichtlich bildeten sich die Freigeborenen ein, daß man die Eigenschaften, die die Kriegerzuchtlinie als Gehirnschiffe ungeeignet machte, irgendwie wegzaubern kann. Ich war überzeugt, daß ihnen das nicht gelingen würde.

Sobald wir während einer der prakitschen Übungen einigermaßen Ruhe für ein richtiges Gespräch fanden, fragte ich ihn nach den Einzelheiten. Teros war zufrieden, daß er als Gehirnschiff ausersehen war und meinte, daß es für ihn auch kein Problem war, daß sie ihn so früh operiert hatten. Jetzt, wo die Bauchwunde verheilt war, ging es ihm gut, denn die technischen Implantate, mit denen sein Zustand stabil gehalten wurde, taten ihre Arbeit gut und da wir darauf gezüchtet waren, mit den Folgen von Operationen im Bauchraum gut zurechtzukommen fühlte er sich auch wohl. Merkwürdigerweise hatte er sogar die Empfindung, als wäre damit eine Last von seiner Seele genommen.

Sorgen machte ihm Siram XZB12-200-20, denn er hatte geklungen, als wäre er lieber tot, als so weiterzuleben. Natürlich hatte er alle Anweisungen gehorsam befolgt, weil Widerstand zwecklos war, aber er schien in einer Weise unglücklich, die Teros noch nie bei einem lebenden Menschen gesehen hatte.
"Ich weiß nicht, warum Siram noch lebt, aber es wirkt, als wäre er aus irgendeinem Grund zu dem Schluß gekommen, daß er unbedingt bis zur Operation am Leben bleiben muß, um irgendetwas zu erreichen." erklärte Teros.
Die Freigeborenen waren der Ansicht, in den letzten 1000 Jahren hätte sich kein Zuchtmensch umgebracht. Darin irrten sie sich aber, denn es gibt schon Mittel und Wege, Selbstmord zu begehen. Es ist nur sehr wichtig, die Freigeborenen nicht merken zu lassen, daß jemand das getan hat, weil die Freigeborenen sonst versuchen, einem den Selbstmord unmöglich zu machen, statt sich mal darum zu kümmern, daß die Bedingungen immerhin so gut sind, daß ein Mensch noch leben will. Jemand der noch bei Verstand ist, sollte darauf kommen, daß es Sinn macht, Menschen, die arbeiten sollen, nicht völlig unnötig zu quälen und bei den für irgendetwas notwendigen Quälereien mit dem Betroffenen zu reden, um den Weg zu finden, der ihn am wenigsten belastet. Aber die meisten Freigeborenen sind nicht nur dumm, was ja kein Verbrechen ist, sondern sie sind auch noch bösartig und absichtlich grausam. Wenn man ihnen sagt, daß man etwas nicht will, weil man sich damit furchtbar fühlt, machen sie es gleich drei mal hinterhander, angeblich damit man sich daran gewöhnt, tatsächlich, damit man jeden Widerstand aufgibt. Sie gönnen uns einfach überhaupt nichts Gutes und wenn sie merken, daß wir einen Wunsch haben, kann das schon ein Grund sein, uns das zu verweigern, selbst wenn sie gerade vorgehabt hatten, uns genau das zu befehlen.

Abgesehen davon ist es ja gar nicht so schwierig, mit Zuchtmenschen so umzugehen, daß sie überhaupt noch leben wollen, denn die Zucht hat eben bewirkt, daß wir das mögen, wozu wir gezüchtet wurden. Das ist zwangsäufig so, denn jeder Mensch arbeitet dann am Besten, wenn er das tut, was er gut kann und was ihm Spaß macht und sie selektieren uns nach Arbeitsergebnissen. Wie weit diese Zuchterfolge gehen, zeigt sich beispielsweise darin, daß Teros sich erleichtert fühlt, nachdem man ihn ausgenommen hat, statt das als die furchtbare Katastrophe zu empfinden, wie ein normaler Mensch es empfinden würde. Andererseits muß man sagen, daß es für normale Menschen nur deshalb eine furchtbare Katastrophe ist, weil sie es so empfinden, befriedigend leben kann man auch so, wie Teros es gerade tut. Da gibt es wirklich Schlimmeres auf der Welt.

Das, wofür wir tatsächlich gezüchtet werden, ist schlimmer. Sie pflanzen und nämlich Drähte in den Körper, die uns nach und nach vergiften. Von fünf Operierten starb im Allgemeinen einer sofort an den Folgen. Trotzdem habe ich selbst dazu gemischte Gefühle. Einerseits möchte ich natürlich möglichst lange leben, andererseits habe ich das Gefühl, behindert zu sein, wenn ich diejenigen unserer Zuchtlinie betrachte, die die Operationen bereits hinter sich haben und sich direkt an die Elektronik anschließen können.

Ich ging also mit gemischten Gefühlen zu Operation.

Kersti

Fortsetzung:
F1475. Jender LZB99-950-41: Ich wußte natürlich, daß Kinder aus meiner älteren Zuchtgeneration die Operationen meist schlechter vertragen, machte mir aber auch nicht ernsthaft Sorgen

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben