erste Version: 11/2019
letzte Bearbeitung: 11/2019

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Gruselige Experimente

F1495.

"Ja, ich habe überlebt und es ist 257 Jahre her. Es war lange, als wäre an diesem Tag mein Leben zuende gegangen. Erst die Zuchtmenschen haben etwas daran geändert." antwortete das Stationsgehirn.

Vorgeschichte: F1494. Kersti: D

Diro von Karst erzählt:
"Ein Straferfilm. Hmmm." sagte die Lautsprecherstimme, dann erschien eine Szene auf dem Bildschirm, die offensichtlich unmodern wirkte. Die Geräte waren, wie sie vielleicht vor 50 oder hundert Jahren gewesen wären. Trotzdem war es offensichtlich derselbe Raum. Die Tür, wo auch Sira aus der Dusche gekommen war, öffnete sich und ein Mann, der sehr ängstlich wirkte, trat zögernd ein. Er näherte sich zunehmend langsam der Behandlungsliege. Als er gebeten wurde, sich hinzulegen, geriet er offensichtlich in Panik und rannte weg. Die Tür durch die er fliehen wollte war aber inzwischen verriegelt und er hämmerte dagegen, brüllte, daß er rauswollte.
"Gehen sie zurück zum Operationstisch!" befahl die Lautsprecherstimme.
Der Mann flehte um Gnade, bettelte, ihn doch rauszulassen, er wolle doch nicht sterben. Dann zuckte er zusammen und schrie auf, weinte:
"Nein, nein laßt mich raus, ich will nicht sterben!"
Er wurde noch einmal aufgefordert, zum Operationstisch zurückzukehren und als er sich weigerte, wieder mit einem Straferimpuls gestraft. Er blieb vor der Tür und bettelte weiter, ihn rauszulassen. Er wurde mit den Impulsen des Strafers gefoltert, bis er als zitterndes Häufchen Elend am Boden lag, dann zum Operationstisch getragen, dort festgeschnallt. Jemand fühlte ihm den Puls, meinte irgendwann, der wäre wieder regelmäßig. Dann sagte er:
"So das reicht. Hör auf zu jammern und mach gefälligst richtig mit. Oder willst du noch einmal so gefoltert werden?"
Er gab ein Wimmern von sich.
"Ich höre dich nicht!"
"Nein ich will nicht gefoltert werden."
"Gut. Wenn du gehorchst und alle Fragen schön beantwortest, wirst du nur operiert, sonst gibt es noch Foltern zusätzlich. Ich denke schon, daß du weißt, welche Variante schlimmer ist?"
"Ja, das weiß ich." antwortete er.
Dann schnitten sie ihm den Bauch auf und er begann wieder zu wimmern und zu schreien. Anders als bei den ersten Fragen gaben sie sich diesmal mit allem zufrieden, was klang, als würde er sich bemühen, eine Antwort zu geben, auch wenn es nicht oder kaum verständlich war. Er klang im Laufe der Operation immer jämmerlicher.

Ich fragte, ob der arme Mann das überlebt hatte.
"Ja, ich habe es überlebt und es ist jetzt 257 Jahre her. Aber ich hatte trotzdem lange das Gefühl, als wäre an diesem Tag mein Leben zuende gegangen. Erst die Zuchtmenschen haben etwas daran geändert." antwortete das Stationsgehirn.
Ich fragte ihn, warum ihm das wie das Ende seines Lebens vorgekommen war und wie in aller Welt die Zuchtmenschen daran etwas hatten ändern können.
"Sie waren so fröhlich. Weißt du, die haben sich bei jeder Gelegenheit eingestöpselt und dann übers Netz mit mir unterhalten und das nachdem mich alle jahrelang nur wie eine Maschine behandelt haben. Das war als würde die Sonne wieder aufgehen. Ich frage mich immer, wo sie diese Fröhlichkeit hernehmen, denn gut behandelt werden sie ja nicht."
Fröhlich? Fröhlich waren mir die Techniker nicht vorgekommen. Ich fragte:
"Sind sie denn im Netz anders als sonst? Mir sind sie immer so reserviert vorgekommen."
"Ja. Sie betrachten das als ihren privaten Chatraum und da ich da zuhause bin, gehöre ich irgendwie dazu. Außerdem solltest du mal bedenken, was für einen Ruf du dir als junger Mann geschaffen hattest. Ich muß dich nur an das Kind erinnern, das du hier gleich um die Ecke gesehen und nur so zum Spaß mit dem Strafer gefoltert hast." sagte das Stationsgehirn.
Mir rutschte ein richtig dummer Spruch raus. Nämlich "Das war doch nur ein Techniker".
"Ich finde es wirklich schade, daß du keinen Strafer unter dem Schulterblatt hast." antwortete das Gehirn.
Ich starrte hoch zum Lautsprecher.
"Da überlegt man sich jeden Tag, ob man nicht noch irgendetwas tun kann, damit sich die armen Kinder nicht jeden Tag in den Schlaf weinen und dann kommt so ein hochgeborener Idiot an, der nichts besseres zu tun hat, als das arme Kind auch noch zu foltern. Der Junge war zehn Jahre alt. Zehn Jahre!"
"Du hast ja recht, aber..."
Das Stationsgehirn ließ sich nicht unterbrechen, sondern zählte mir eine ganze Reihe weiterer solcher Untaten auf und zu meinem Entsetzen stellte ich fest, daß er keinen einzigen Punkt der Liste wiederholte, den Jender bereits genannt hatte. Keinen einzigen, dabei war seine Liste mindestens ebenso lang! Er hatte außerdem recht, denn ich konnte mich an jede dieser Szenen erinnern und wenn nicht lag es nur daran, daß ich zu viele ähnliche Dinge gemacht hatte. Und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und brach in Tränen aus. Das brachte ihn zum Stocken.

"Als 17-jähriger hätte ich gar nicht gewußt, was du mir damit sagen willst, denn mich hat niemand getröstet, wenn ich mich als Kind in den Schlaf geweint habe." sagte ich.
"Aber warum denn nicht?" fragte das Stationsgehirn, als wäre es für ihn völlig undenkbar, daß sich niemand um Kinder kümmert.
"Kennst du auch meinen Vater?"
"Ja, das war genau so ein Arsch."
"Und was glaubst du was die Bediensteten von jemanden der ihre Kinder an die Versuchanstalt verkauft, weil sie ja nur Ärger machen, mit dem Kind von so einem Arsch machen?" fragte ich.
Keine Antwort.
"Woher sollte ich wissen, daß so etwas falsch ist, wenn ich überhaupt nichts anderes kannte, bis ich den damaligen Prinz kennengelernt habe?" fragte ich und konnte mich noch lebhaft daran erinnern, wie sehr es mich als Jugendlicher verwirrt hat, daß ich plötzlich bitte und danke zu Bediensteten sagen sollte.

Ich habe Jahrzehnte gebraucht, bis ich endlich begriffen habe, worum es ihnen damit ging. Ich habe mich zwar sehr darum bemüht, bei ihnen gut gelitten zu sein denn erstens bekam ich Schläge von meinem Vater, wenn ich mir wieder mal einem Verweis aus dem königlichen Palast eingefangen hatte und zweitens wollte ich unbedingt bei dem Prinz sein, wo alles so viel fröhlicher zuging und die Bediensteten freundlich zu mir waren. Wie man sich keine Palastverweise einfängt, lernte ich ziemlich schnell. Die tieferen Gründe für die Verhaltensmaßstäbe, die ich deshalb einstudierte, begriff ich erst sehr viel später. Ich hatte das mit dem Bitte und Danke so mißverstanden daß selbst die Bediensteten der königlichen Familie wichtiger waren als ich, weil auf sie das königliche irgendwie abfärbte.

Kersti

Fortsetzung:
F1496. Kersti: D

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben