F1506.

"Ich verstehe nur nicht, warum man mir erst die Augen rausnehmen mußte, damit ich begreife, daß ich die Schmerzen annehmen muß, um zufrieden zu sein." sagte Savin

Vorgeschichte: F1505. Danien Wolf: "Und weißt du was das gruseligste ist? Ich fange an, mich genauso zu benehmen!" schloß Diever seine Ausführungen

Danien Wolf erzählt:
Aannanns nächste Vorführung bezog sich auf das Schlachten selbst.

Dem fettesten der Menschen wurde mitgeteilt, daß er mitkommen solle, da er jetzt mit dem Schlachten dran sei. Wie ich das von Kelo kannte, schien er keinerlei Vorbehalte dagegen zu haben, diese Anweisung zu befolgen. Aannann erklärte ihm, daß ich zusehen sollte, damit ich wüßte wie so etwas gemacht würde, woraufhin er mich ebenfalls freundlich begrüßte und sagte, daß er damit selbstverständlich einverstanden sei.

Dann gingen wir in einen anderen Raum, wo sich Dinnan, wie der Schlachtmensch hieß auf einen Tisch legen sollte. Als er dort lag, schnallte man ihn fest und erklärte ihm, daß er als Braten für das Fest am nächsten Tag vorgesehen sei. Heute würde er nur ausgenommen und ihm gezeigt, wie man den Bratspieß schluckt, damit er am nächsten Tag wüßte, was er zu tun hätte. Er solle sich auch schon überlegen, was er dann zu den Leuten sagen wolle, die kommen würden, um ihn zu essen.
"Wie viele sind das denn?" fragte er.
"200 Mann." antwortete der Schlachter, der selbst ein Mensch war.
"Braucht man dann nicht mindestens zwei Braten?" fragte der Braten.
"Ja. Kirr ist zu ängstlich für so etwas. Daher dachte ich, wir nehmen Savin dazu." antwortete der Schlachter.
"Ja. Savin hat viel über Zufriedenheit gelernt, seit du ihm die Augen herausgenommen hast. Er kriegt das hin." antwortete Dinnan.
Ich hatte die leeren Augenhöhlen gesehen.

Dinnan hatte offensichtlich trotz dieses seltsamen Messer Schmerzen, als man ihn ausnahm, er bemühte sich aber, stillzuhalten, als man ihm den Bauch aufschnitt und die inneren Organe herausnahm. Mir wurde erklärt, daß man dabei sehr sorgfältig vorgehen und die Adern wieder richtig miteinander verbinden müßte, damit der Braten das Ausnehmen überlebt, am nächsten Tag selber zum Grill laufen und den Gästen an seinem Ehrentag einen guten Appetit und ein schönes Fest wünschen kann.

"So. Ich bin fertig." sagte der Schlachter und machte Dinnan wieder los.
Dinnan wirkte etwas benommen, setzte sich aber auf und sah sich dann um.
"Schau das sind deine inneren Organe." sagte der Arzt.
Dinnan schaute hin und konnte den Blick geraume Zeit nicht mehr davon lösen. Dann zog er den Schnitt auseinander und betrachtete seine leere Bauchhöhle.
"Na? Zufrieden?" fragte der Schlachter.
"Es ist ein sehr seltsames Gefühl, das alles plötzlich da draußen zu sehen. Aber es ist gut. Ich kann das aushalten." antwortete er.
Sie ließen mich mit Dinnan allein, um Savin zu holen. Auf meine Fragen erzählte Dinnan mir, daß es selbstverständlich wehgetan hätte, aber nicht so sehr, wie man sich vorstellen würde, wenn man denkt, man wird ausgenommen, sondern nur sehr gedämpft. Außerdem müßte er das schließlich aushalten, denn man müßte einen Braten ausnehmen. Dazu daß man lernt, auszuhalten, was man aushalten muß, um seine Aufgabe als Nahrung zu erfüllen, wären schließlich die Gehorsamsübungen da. Ob ich denn keine gemacht hätte.
"Doch und ich weiß auch, daß ich alles aushalten kann, was ich aushalten muß. Trotzdem bin ich ein Wildfang und vieles, was ich hier sehe, erscheint mir sehr fremdartig." sagte ich.

Er reagierte wie Kelo, indem er sofort sagte, daß ich ihm alles darüber erzählen mußte, wie es bei mir zuhause ist. Ich habe versucht, Kelo seine Fragen zu beantworten und es war frustrierend gewesen, weil es sehr schwierig war, ihm meine Heimat zu erklären, wo alles so anders war, als er es kannte. Mit Dinnan war das im Grunde noch schwieriger, denn ich hatte weniger Zeit und er weniger Lebenserfahrung, dennoch hatte ich schneller Erfolg, weil ich mit Kelo schon ausprobiert hatte, welche Erklärungen von ihm verstanden werden und welche nicht.

Abgesehen davon hatte ich ja mindestens ebenso viele Probleme, die Zuchtmenschen zu verstehen, wie sie dabei hatten, mich zu verstehen. Komischerweise fiel es mir leichter die Echsen als Persönlichkeiten einzuordnen, als es mir bei meinen Mitmenschen fiel, denen ich hier begegnete.

Sie kehrten zusammen mit Savin zurück, nahmen ihn ebenfalls aus, was er ebenso fügsam über sich ergehen ließ und er sagte nachher ebenfalls, daß es so für ihn OK wäre.

Danach wurden wir wieder allein gelassen und inzwischen war mir klar, daß mir Aannann bewußt Gelegenheit gab, mich in Ruhe mit den Menschen unterhalten, weil er annahm, daß ich ihm die Behauptungen, die er aufstellte, sowieso nicht glaubte und daß ich deshalb nur überzeugt wäre, wenn ich unbeobachtet mit den Leuten redete. Damit hatte er nicht völlig recht und nicht völlig unrecht, denn ich wußte, daß hier überall Überwachungskameras installiert waren. Ich wußte aber auch, daß die Menschen das zwar wußten, aber sich keine echten Sorgen darum machten, denn sie wurden nicht bestraft, wenn sie sich ungezwungen unterhielten. Daß sie, wenn sie unter sich waren, anders redeten als wenn die Echsen anwesend waren, war eher eine Frage der Höflichkeit als eine Frage der Angst vor Unterdrückung. Der Unterschied war trotzdem erheblich und es lohnte sich deshalb, alleine miteinander zu reden.

Ich fragte Savin, was es denn mit der Geschichte mit den Augen auf sich gehabt hätte.
"Ich habe am Anfang nicht genug gegessen und immer alles angeguckt und mich durch alles ablenken lassen. Das war keine Absicht, aber es ist mir einfach nicht gelungen, so viel zu essen, wie ich sollte. Dann meinte der Schlachter, daß er mir eine Hilfe geben würde, damit ich mich leichter auf das Essen konzentrieren kann, hat ein Messer genommen und mir die Augen rausgeschnitten. Es war so ein altes löffelförmiges Messer mit dem das richtig weh tut und er hat die Wunde auch noch ausgebrannt, damit ich nicht zu viel blute. Er hat mir auch gesagt, daß ich mich auf die Schmerzen konzentrieren soll und mir sagen soll, die sind damit ich lerne richtig zu essen."
"Das ist ja schrecklich." sagte ich.
"Ja. Das hat wirklich ziemlich weh getan. Als ich wieder auf die Maststation geschickt wurde, tat es immer noch schrecklich weh und sie haben mir gesagt, ich solle mich auf die Schmerzen konzentrieren und mir sagen, daß sie sind, damit ich essen lerne und ich habe mich bemüht das zu tun."
"Das ist aber wirklich grausam." antwortete ich.
"Ja. Aber das merkwürdige ist: Ich bin davon wirklich viel zufriedener geworden. Früher war ich immer unglücklich, daß ich geschlachtet werden soll und habe mich durch alles ablenken lassen. Danach habe ich mich jedesmal wenn ich gemerkt habe, daß mich etwas ablenkt auf die Schmerzen konzentriert und mir gesagt, daß das dazu da ist, daß ich essen lerne und dann habe ich gegessen. Ich habe dann gemerkt, daß ich gerne esse und mich freue, wenn ich mein Soll erfüllt habe. Und Morgen ist das Fest, bei dem ich aufgegessen werde und ich bin heute zufrieden, wenn man mich dafür ausnimmt und ich habe keine Angst mehr vor den Schmerzen, wenn man mich lebendig röstet. Ich verstehe nur nicht, warum man mir erst die Augen rausnehmen mußte, damit ich begreife, daß ich die Schmerzen annehmen muß, um zufrieden zu sein und daß man mit jedem Los zufrieden sein muß, das einem zugeteilt wird, weil Zufriedenheit letztlich das Leben lebenswert macht. Abgesehen davon brauche die Echsen doch auch etwas zu essen und irgendjemand muß ihnen als Nahrung dienen." antwortete er.

Ich stimmte nicht zu. Das war ja gruselig!

Am nächsten Tag wurde ich mit zu dem Fest genommen, wo es den Braten gab. Aannann sagte mir, daß ich mich frei auf dem Festplatz bewegen durfte, aber nicht versuchen sollte, ihn durch eine der Türen zu verlassen, denn das würde den Strafer auslösen.

Die beiden Menschen, mit denen ich am Vortag gesprochen hatten stellten sich am Anfang des Tages vor und wünschten den Reptos, die sie als Festagsbraten verspeisen würden, ein frohes Fest und guten Appetit. Dann geschah etwas, was mir zeigte, daß da kein Souffleur anwesend war, der ihnen die Worte vorschrieb. Sie sahen mich, riefen mich quer über den Platz und meinten ich sollte herkommen, sie hätten noch ein paar Minuten, in denen wir uns unterhalten können. Ich ging zu ihnen hin und wechselte ein paar Worte mit ihnen. Daher sah ich ganz aus der Nähe, wie sie brav den Spieß schluckten und daran so befestigt wurden, daß man sie über dem Feuer braten konnte.

Ich ging später noch einmal hin, sah mir die Bratspieße an und sah die offensichtlich schmerzverzerrten Mienen. Schreien hatten sie nicht können, weil sie den Spieß ja geschluckt hatten, so daß er den Kehlkopf blockierte. Sie hatten sich nicht gewehrt, an keiner Stelle protestiert aber Schmerzen hatten sie schon gehabt.

Ich aß selbstverständlich kein Fleisch, schließlich war das Menschenfleisch. Das tat auch kein anderer Mensch. Aber es gab reichlich harmlosere Speisen auf dem Buffet, die wirklich sehr gut schmeckten. Das war auch nötig denn es gab mindestens genauso viele Menschen hier wie Echsen. Den Menschen seiner Freunde stellte mich Aannann vor, es waren zwei halbwüchsige Jungen die kastriert worden waren, weil sie im Laufe des nächsten Jahres als Festtagsbraten dienen sollten.

"Glaubst du es tut sehr weh, wenn man ausgenommen wird?" fragte mich einer.
Ich erzählte was die beiden heutigen Braten mir am vorhergehenden Tag dazu gesagt hatten und mich überwältigte dabei wieder einmal das altbekannte Gruselgefühl.

Kersti

Fortsetzung:
F1507. Danien Wolf: Etwas später wurde mir klar, daß Zufriedenheit nicht dasselbe ist wie Glück

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben