F1513.

Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Zuchtmenschen die Fantasie fehlte, um Verschwörungstheorien zu erfinden, daher mußte der Grund für ihr Schweigen woanders liegen

Vorgeschichte: F1512. Danien Wolf: Ich führte Gespräche, erzählte meine Geschichte und beantwortete Verschwörungstheorien, die den menschlichen Offizieren dazu eingefallen waren und erklärte, warum das so nicht stimmen konnte

Danien Wolf erzählt:
Als der erste Sturm an Verschwörungstheorien abgeflaut war, hatte ich den Kopf frei, um über das Beobachtete nachzudenken und stellte fest, daß fast alle Glühwürmchen und Ungeziefer - um mal die Spitznamen zu verwenden, mit denen wir uns gegenseitig belegt hatten, sich am Reigen der Verschwörungstheorien beteiligt hatten, wenn man mal von den drei Zuchtmenschen absah, die aus den Zuchten der Glühwürmchen stammten und zwar durchaus mit mir geredet und einige Testballons gestartet hatten, aber von denen keine einzige solche Verschwörungstheorie gekommen war.

Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß ihnen die Fantasie fehlte, um sich auch so etwas auszudenken, daher mußte der Grund dafür woanders liegen.

Ich dachte mir, daß ich mit jedem von denen noch einmal reden mußte, denn ich ging davon aus, daß ich noch nicht wirklich ihr Vertrauen gewonnen hatte, wenn sie mir ihre Gedanken nicht erzählten. Ich ging also zuerst zu dem Ingenieursoffizier Deris LZB83-541-27, dem hochrangigsten der Zuchtmenschen und nahm diesmal meine menschliche Sekretärin mit, weil ich davon ausging, daß sie einiges was von den hochrangigen Zuchtmenschen kam, richtiger einordnen würde als ich, weil sie als hochrangige Staatsbeamte, die gleichzeitig eine rechtlose Sklavin war, eine den Zuchtmenschenoffizieren sehr viel ähnlichere Lebenssituation hatte als ich.

Ich erhielt, als ich von dem Verschwörungtheorienreigen und meinem Verdacht, daß ich sein Vertrauen noch nicht gewonnen hätte, erzählte, eine Antwort, die ich zwar als Andeutung erkannte, aber einfach nicht einordnen konnte. Meine Sekretärin hörte sich das an, wirkte ein Weilchen sehr nachdenklich und begann dann ausführlich zu erklären, mit welchen technischen Methoden die Gefangenen überwacht wurden und was ihre Echsenvorgesetzten mit ihr über die Einstellungen der menschlichen Gefangenen besprochen hatten. Dabei erzählte sie Dinge, die ich noch nicht über die Einstellungen und Motive der Echsen gewußt hatte. Ich brauchte eine ganze Weile, um zu begreifen, daß Deris mir mit der Andeutung hatte mitteilen wollen, daß er sich Sorgen um Überwachung durch die Echsen machte und daß meine Sekretärin ihn verstanden hatte, weil die von den Echsen gezüchteten Menschen sich wichtige Informationen mit sehr ähnlichen Andeutungen mitteilten. Ich hörte dem sich daraus entwickelnden Gespräch eine ganze Weile schweigend zu und merkte, daß beide Seiten dabei Andeutungen verwendeten, die sie sehr gut verstanden, ich aber nicht. Ich ließ sie reden, weil ich mir recht sicher war, daß was immer sie da den Echsen nicht mitteilen wollten, nicht zum Schaden meiner Heimat war, sondern am wahrscheinlichsten gerade heimlich ein Bündnis geschlossen wurde, mit dem gezüchtete Menschen sich einigten, daß sie sich gegen ihre Herren verbünden wollten, um Reformen durchzubringen, die letztlich zu einer besseren Welt führen würden. Ich hatte Kelo recht gut kennengelernt und wußte, daß er trotz allem, was er erlebt hatte, nicht die Neigung gehabt hatte, Aannann etwas Böses zu wünschen und ging davon aus, daß die beiden, die ich da gerade vor Augen hatte, zwar gebildeter und intelligenter, aber emotional sehr ähnlich gestrickt waren.

Als ich den Eindruck hatte, daß sie alle wesentlichen Dinge über Andeutungen transportiert und alles was sie laut sagen wollten laut ausgesprochen hatten, sagte ich:
"Ich merke schon von gezüchteten Menschen kann man Dinge über Diplomatie lernen, die nirgendwo sonst gelehrt werden."
Die beiden drehten sich sehr erstaunt zu mir um, kurz erschien ein verlegenes und gleichzeitig amusierte Lächeln auf ihren Gesichtern, dann sagten Deris:
"Für jemanden, der nicht selbst gezüchtet wurde, hast du aber auf erstaunlich viele Andeutungen richtig reagiert."
"Ich hatte halt in der letzten Zeit reichlich Gelegenheit, das zu üben." witzelte ich.
"Ja. Das ist aber auch wahr." meinte meine Sekretärin mit einem plötzlich sehr mitleidigen Gesichtsausdruck.
Ich zuckte mit den Schultern und meinte, wir hätten Arbeit zu tun.
"Ich bin der Ansicht, indem du den Echsen verklickert hast, daß Menschenfressen falsch ist, hast du eine dipomatische Meisterleistung hingelegt, die ich jedenfalls nicht hätte hinkriegen können." antwortete mir der Ingenieursoffizier Deris LZB83-541-27.
"Im Grunde hatte ich anfangs Probleme, genau das zu verstehen, was Aannann - der übrigens Verhaltensforscher ist - nicht verstanden hatte und da ich nur beobachten mußte, wie ich selbst mich verändere, um es zu verstehen, konnte ich es nachher erklären."
"Ja. Manchmal lernt man wertvolle Dinge aus Erfahrungen, die man niemals hätte machen wollen." kommentierte Deris und ich mußte darüber lachen, denn er hatte recht. Dann wurde sein Ton plötzlich ernst und er sagte, daß er von mir ganz genau wissen wollte, wie ich das hingekriegt habe, weil sie ganz ähnliche Probleme mit menschlichen Verhaltensforschern hätten.
Ich sagte, daß ich mir das sehr gut vorstellen konnte und erwähnte den Studienkollegen der dieselbe merkwürdige Zweiteilung hinbekam, indem er normalerweise zu seinen Versuchstieren freundlich war, aber sie gleichzeitig zu Tode folterte und dabei offensichtlich überhaupt nichts Falsches entdecken konnte. Ich hatte mich damals von diesem gruseligen Typ zurückgezogen, weil ich damit nichts zu tun haben wollte, besonders weil ich einfach keinen Sinn in seinen bescheuerten Versuchen entdecken konnte.
"Ja sinnlose Versuche. Und das Schlimmste ist, man kann oft nichts dagegen tun, selbst wenn man der Betroffene ist und durchaus bei der Planung mitreden kann." antwortete Deris.
Während sich meine Sekretärin über konkrete Beispiele dafür austauschten, war ich entsetzt, wie viele es davon gab und daß sich Echsen und Menschen, was die Grausamkeit der Versuche anging nichts nahmen.
FI38. Kersti: Inhalt: Gruselige Experimente

Danach kamen wir irgendwie auf seltsame Gefühlslagen bei grausamen Operationen, ein Thema zu dem auch Deris das ein oder andere beizutragen hatte. Dabei machte er mir auch klar, daß es nichts mit diesem fast schmerzlosen High-Tech-Messer zu tun hatte, daß ganz komische Gefühlslagen auftreten können, denn die Operationen, mit denen die Techniker-Zuchtmenschen die Drähte in den Körper eingepflanzt bekamen, die sie brauchten, um später ihre Arbeit tun zu können, waren sehr extrem schmerzhaft.
"Ihr seid immer so zuverlässig und loyal euren Herren gegenüber. So wie sie sich benehmen, haben sie das im Grunde gar nicht verdient." antwortete ich.
"Ach weißt du, wenn sich die Freigeborenen alles verdienen müßten, was wir für sie tun, hätten sie sowieso ein Problem." antwortete Deris.
Ich brach in Lachen aus und konnte nicht mehr damit aufhören. Dabei hatte ich die ganze Zeit Kelo vor Augen, der nachdem er so unglücklich ausgesehen hatte, als Aannann ihm eröffnet hatte, daß er ihm noch am selben Abend beide Arme abnehmen und ihn ausnehmen würde in einem Tonfall, als meinte er das auch noch ernst, gesagt hatte, daß er selbstverständlich auch Aannanns Gästen als gerne Malzeit dienen würde. Wann immer ich danach mit ihm ein paar Worte gewechselt hatte, war er genauso gewesen wie immer. Heiter, humorvoll und entspannt. Ich vermißte ihn heute noch ständig. Außerdem fragte ich mich, was aus Sindo geworden war. Sehr wahrscheinlich war inzwischen schon sein Oberschenkel dran gewesen.

Kersti

Fortsetzung:
F1514. Danien Wolf: Diese sanfte Umarmung von einem Menschen, der um ein Vielfaches stärker war als ich, tat mir unendlich gut und ich weinte lange

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben